Die 20. Fußballweltmeisterschaft in Brasilien fand aus deutscher Sicht einen traumhaften Abschluss eines pompös inszenierten Turniers. Welche Bilder in unseren Köpfen in Erinnerung an dieses Ereignis noch lange nachwirken, erfahrt ihr in unseren KROSSE-WM-Highlights.
Die Siegermannschaft: Deutschland
Bei unserem Rückblick muss natürlich an erster Stelle einmal die deutsche Nationalelf gewürdigt werden, die sich mit ihrem 4. Weltmeistertitel an die Spitze des Weltfussballs zurückmeldet. Nach einer eher durchwachsenen Gruppenphase gegen Ghana (2:2) und die USA (1:0) konnten sich Jogis Jungs trotz teilweise harscher Kritik an ihrer taktischen Ausrichtung in der K.O.-Phase stabilisieren. Auch wenn sie gegen Algerien nicht mit einem Hurra-Fußball glänzen konnten, so gelang es ihnen trotz erheblicher Schwierigkeiten, diese Partie in der Verlängerung für sich zu entscheiden. Besonders das schon legendäre Interview nach dem Spiel vom ZDF-Reporter Boris Büchler und Per Mertesacker sorgte für Schlagzeilen in den Medien („Was wollen Sie von mir?“). Im Viertelfinale musste man sich in einer ebenfalls hart umkämpften Partie mit dem Weltmeister von 1998, Frankreich, um einen Platz in das Halbfinale duellieren. Am Ende entschied ein Hummels-Kopfball in bester Uwe-Seeler-Manier das Spiel zugunsten unserer Mannschaft. Was allerdings im altehrwürdigen Estadio do Maracana am 8. Juli 2014 geschah, wird für alle Zeiten einen Platz in der Fußballhistorie einnehmen. In einem denkwürdigen Spiel zwischen den Fußball-Großmächten Deutschland und Brasilien, dominierte die DFB-Auswahl den Gastgeber und führte sie phasenweise vor. So musste der brasilianische Torhüter Julio Cesar bereits in der ersten Halbzeit satte fünf Mal den Ball aus dem Netz holen. Auflösungserscheinungen bei der Selecao, Rauschzustand der deutschen Mannschaft – ein Spiel, von dem wir selbst unseren Kindern noch später erzählen werden. Am Ende demütigte unser Team die Kicker vom Zuckerhut mit 7:1. Eine berauschende Fußballnacht, die ganz Deutschland euphorisierte und dem Traum vom Titel neue Nahrung verschaffte. Im alles entscheidenden Finale begegnete die DFB-Auswahl dann der „Albiceleste“ aus Argentinien um den besten Fußballer der Welt, Lionel Messi. Das Team des ehemaligen Weltfußballers zeigte sich bei dieser Weltmeisterschaft im Vergleich zu vorherigen Turnieren deutlich stabiler, und verstand es durch kontrollierte Defensive die Gegner zur Verzweifelung zu bringen. Auch Deutschland konnte sich erst in der Verlängerung trotz zahlreicher Chancen mit einem Joker-Tor durch Bayern-Spieler Mario Götze den Weltmeistertitel sichern. Anschließend gab es sowohl bei der Mannschaft, als auch bei gefühlten 80 Millionen Fans kein Halten mehr: Straßen wurden von siegestrunkenen Fans besetzt und Autokorsos zogen durch sämtliche Großstädte in der gesamten Bundesrepublik. Nach dem WM Titel 1990 in einer magischen Nacht von Rom und den dritten Plätzen bei den vergangenen zwei Weltmeisterschaften, zelebrierte ganz Deutschland eines der größten Fußballfeste.
Die Überraschungsmannschaft: Costa Rica
Doch nicht nur die teilweise wechselhaften Leistungen der deutschen Mannschaft sind bei diesem Turnier hervorzuheben, sondern auch vermeintliche Underdogs prägten das Bild dieser Weltmeisterschaft, allen voran Costa Rica. Das Team um den kolumbianischen Trainer Jorge Luiz Pinto setzte sich in einer Gruppe mit England, Italien und Uruguay überraschend durch. Sowohl der ehemalige Weltmeister aus Italien als auch die „Three Lions“ bissen sich die Zähne an den „Los Ticos“ aus und unterlagen im direkten Aufeindertreffen, die mit Hilfe des Youngsters Joel Campbell vom englischen Erstligisten FC Arsenal entschieden wurden. Auch als Kollektiv überzeugte diese Mannschaft vollends durch schnelle Konter und eine geschlossene Teamleistung. Letztlich mussten sie sich in einem packenden Elfmeterschießen gegen die Niederlande geschlagen geben. Dennoch muss man ein solch fußballerisch gesehen „kleines“ Land ein großes Kompliment aussprechen. Hut ab vor dieser Mannschaft!
Überraschungen waren auch in negativer Sicht reichlich vorhanden, allen voran der Ex-Weltmeister aus Spanien, der sich nach erschreckend schwachen Leistungen bereits in der Vorrunde aus dem Turnier verabschiedete. Die Weltranglisten-Ersten konnten sich in ihrer Gruppe mit Niederlande, Chile und Australien nicht durchsetzen und gewannen nur das Spiel gegen die Australier mit 3:0. Ehemalige Führungsspieler der Spanier wie Iniesta oder Xavi scheinen langsam ihrem Alter Tribut zu zollen, und konnten die Partie zu keinem Zeitpunkt an sich reißen. Das viel gefürchtete Tiki-Taka, also das schnelle und auf Ballbesitz ausgerichtete direkte Passspiel zwischen den Mitspielern, das sie bei der WM 2010 in Perfektion darboten, endete durch eine schwache Abwehr in vielen Kontermöglichkeiten für die Gegner. Was man gegen die Elf von der iberischen Halbinsel machen musste, demonstrierte Niederlande um Bondscoach Louis van Gaal eindrucksvoll bei der 5:1-Demontage.
Auch die europäischen Spitzenteams wie Italien, England und Portugal mussten mit ihren Stars nach der Gruppenphasen die Koffer packen.
Der Star: James Rodriguez
Ein Spieler, der die große Fußballbühne nutzte, um sich in das rechte Licht zu rücken, und der meiner Meinung nach auch beste Spieler des Turniers ist der kolumbianische Mittelfeldspieler James Rodriguez, der mit fünf Treffern zum Torschützenkönig dieser WM avancierte. Spätestens nach seinem Traumtor gegen Uruguay, bei dem er aus 20 Metern einen krachenden Volleytreffer versenkte, kennt die ganze Fußballwelt den Namen des 22-jährigen Spielers vom französischen Erstligisten AS Monaco. Dieser technisch-versierte und äußerst abschlussstarke Mittelfeldspieler traf in jedem WM-Spiel für Kolumbien und zieht nun das Interesse der Königlichen aus Madrid auf sich, die angeblich bereit sind etwa 80 Millionen Euro an die Monegassen zu überweisen. Warum dieser Spieler letztlich von den FIFA-Offiziellen nicht mit dem Goldenen Ball zum besten Spieler des Turniers ausgezeichnet, und stattdessen Messi ein Trostpflaster verpasst wurde, bleibt mir unerklärlich, zumal Messi lediglich in der Gruppenphase für Argentinien dem Spiel seinen Stempel aufdrücken konnte.
Suarez biss sich die Zähne aus
Während für Rodriguez die WM als erstklassige Bewerbung für internationale Spitzenclubs fungierte, so war sie für den Uruguayer Luiz Suarez trotz Weiterkommens seiner Mannschaft bereits schon nach drei Gruppenspielen beendet. Der „Kannibale“ hatte wieder einmal zugeschlagen – pardon! – zugebissen, um genauer zu sein. Was Suarez schon bei seinen Vereinen Ajax und Liverpool berühmt und auch berüchtigt gemacht hatte, waren neben seiner überragenden Abschlussqualität auch seine groben Unsportlichkeiten gegenüber den Gegnern. Was damals Branislav Ivanovic zustieß, musste nun auch der italienische Innenverteidiger Georgio Chiellini am eigenen Leibe oder besser gesagt, an seiner Schulter erfahren. In einer harmlosen Spielsituation gerieten die beiden bei einem normalen Zweikampf um den Ball im Strafraum aneinander, wobei Suarez sich einen Happen der italienischen Schulter genehmigte und anschließend selbst mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden fiel. Schiedsrichter Marco Rodriguez sowie die anderen Offiziellen übersahen dieses Vergehen; erst ein paar Tage nach der Tat wurde Suarez für diese Aktion für das gesamte Turnier und zusätzlich für vier Monate Vereinsfußball gesperrt. Suarez entschuldigte sich via Twitter bei Chiellini und wechselte kurz darauf für etwa 75 Millionen Euro zum FC Barcelona, für den er nun dank der Sperre erst im Oktober auflaufen darf.
Starke Torhüter
Nicht nur die Feldspieler wussten mit ihren Fähigkeiten zu beeindrucken, auch oder gerade die Torhüter der WM zeigten sich in einer selten dagewesenen Form. Vor allem Manuel Neuer, der weltbeste Torhüter, wusste immer wieder mit seinen spektakulären Paraden die Schüsse seiner Gegner abzuwehren. Lediglich vier Gegentreffer in sieben Partien ließ der Münchener zu, und leistete damit einen wichtigen Beitrag für die vierte Weltmeisterschaft Deutschlands. Aber auch seine Kollegen der anderen Mannschaften zeigten der Fußballbühne ihr ganzes Können zwischen den Pfosten: Keylor Navas (Costa Rica), Guillermo Ochoa (Mexiko), Tim Howard (USA) – alles Torhüter, die sich während der WM einen Namen machen konnten und nun das Interesse großer Vereine auf sich ziehen. Wie inzwischen bekannt wurde, steht der costa-ricanische Torhüter Navas kurz vor einem Wechsel zu Real Madrid.
Schwache Schiedsrichterleistungen
Schlagzeilen in negativer Hinsicht machten bedauerlicherweise die Schiedsrichter bei dieser Weltmeisterschaft, die in vielen Spielen oftmals mit ihren Entscheidungen (vorsichtig formuliert) unglücklich erschienen. Schon im Eröffnungsspiel zwischen dem Gastgeber aus Brasilien und Kroatien fiel der japanische Referee Nishimura auf eine inszenierte Flugshow des Stürmers Fred herein und zeigte zu Unrecht auf den Elfmeterpunkt. Am Ende hatte diese Entscheidung zwar nicht allein das Spiel entschieden, trotzdem sollte es sich wie ein roter Faden durch das komplette Turnier ziehen. Immer wieder vermeintlich gesehene Abseitspositionen und strittige Entscheidungen, bei denen in letzter Konsequenz Tore fälschlicherweise aberkannt wurden, zogen großen Unmut der anwesenden Fans auf sich. Exemplarisch das 1:0 von Mexiko gegen Kamerun, bei dem gleich zwei Mal der Linienrichter die Fahne hob, obwohl kein Abseits vorlag. Prompt reagierte die FIFA und schloss den Linienrichter vom Turnier aus. Dass die Beißattacke von Suarez ebenfalls im Spiel keine Konsequenzen nach sich zog, erwähnte ich ja bereits. Auch wer das Finale sah, konnte kaum fassen, wie viele Fouls am deutschen Kapitän Bastian Schweinsteiger ungeahndet begangen wurden. Trotz neuer Innovationen wie dem Freistoßspray oder der neu eingeführten Torlinientechnologie, die erstmalig ein Tor technisch als gültig erklärte, konnten sich die Schiedsrichter nicht von ihrer Schokoladenseite zeigen.
Was am Ende bleibt
Angesichts der großen Protestbewegungen vor der Weltmeisterschaft muss man sich allerdings wundern, wo dieser entschlossene Protestwille der brasilianischen Bevölkerung während der vier Wochen geblieben ist. Von großen Protestveranstaltungen mit zahlreichen Demonstranten war noch vor einigen Wochen die Rede gewesen, doch angesichts der spärlichen und eher klein ausgefallenen Proteste scheint es eher, als habe sich das Volk durch dieses Ereignis blenden lassen und seine Liebe zum Fußball und zur Selecao den Vorrang eingeräumt. Einen Beitrag dazu geleistet hat allerdings auch das hohe Sicherheitsaufgebot der Polizei, die energisch gegen Demonstranten vorgingen. Doch was bleibt den Brasilianern nun noch von der Weltmeisterschaft? Leerstehende Millionen-Arenen, weiterhin hohe soziale Armut der Bevölkerung und enorme Staatsschulden. Keine sonderlich rosige Aussicht um Präsidentin Dilma Roussef, die nun versuchen muss, ihre unpopuläre Stellung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen zu retten. Schon während des Turniers war der Unmut der Brasilianer zu spüren; jedes Mal, als die regierende Präsidentin oder FIFA-Chef Joseph Blatter auf einer Videowand eingeblendet wurde, ertönte ein gellendes Pfeifkonzert im Stadion. Wie sich die Lage in Brasilien nun nach der WM entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
Fakt ist: aus sportlicher Sicht war das Turnier ein großes und eindrucksvolles Ereignis mit Höhen und Tiefen, bei dem am Ende das beste Kollektiv den Titel holte. Aus politischer Sicht muss man allerdings hinterfragen, ob dieses Spektakel mit ethischen und moralischen Werten zu vereinbaren ist.
Chris Ohmstedt