Donald Trump ist der erste Präsident, dessen Wahlerfolg Computerprogrammen nachgesagt wird. Verlieren wir die Demokratie an Bots?
Die Karriere der Spambots: Vom Viagra-Verkäufer zum Wahlkämpfer
Spambots bevölkern seit langem Kommentarspalten und Internetforen. Dass sie für den Wahlkampf eingesetzt werden, ist in der öffentlichen Wahrnehmung relativ neu.
Bei Bots handelt es sich um autonome Programme, die Eingabeformulare erkennen, vorbestimmte Inhalte eingeben und absenden. Deshalb sind inzwischen viele öffentlich zugängliche Kommentarfunktionen durch verschiedene Mechanismen geschützt, die das unliebsame Unterfangen der Bots vereiteln sollen. Doch solche Captchas treiben auch menschliche Nutzer in den Wahnsinn und verschlingen weltweit bis zu 150.000 Arbeitsstunden täglich, was in etwa 75 Jahren Vollzeitarbeit entspricht. Die zusätzliche Sicherheit vor Spam wird also meist mit sinkender Nutzerfreundlichkeit bezahlt.
Weil deshalb nicht alle Eingabeformulare auf diese Weise geschützt werden können, gibt es besonders auf sozialen Netzwerken keinen konsequenten Schutz vor Bots. Zu sehr würde die Kommunikation der Nutzer durch regelmäßige Sicherheitsabfragen gestört.
Eingesetzt wurden diese Bots lange vor allem für die massenhafte Verbreitung von Werbung wenig seriöser Anbieter. In letzter Zeit wird jedoch ein ganz neues Anwendungsgebiet diskutiert: Als Albtraum der Demokratie könnten sie zukünftig Diskurse unterwandern, Meinungsbilder verzerren und Fake-News streuen. Davor hat jüngst auch Bundeskanzlerin und Neuland-Expertin Angela Merkel in der Generaldebatte im Bundestag gewarnt.
Den Bots ist damit der Aufstieg aus der Viagra-Gosse in die Feuilletons und Politikjournale der überregionalen Qualitätsmedien gelungen. Und sie sind dabei gewachsen: Längst sind diese Programme wesentlich komplexer. Durch künstliche Intelligenz können sie komplexe Aktionen eigenständig ausführen – und so auch mit anderen Nutzern interagieren. Auch wenn einige Sätze der Softwares heute noch etwas ungelenkt klingen: Zukünftig werden die Programme noch besser. Durch die privaten Informationen, die viele Internetnutzer öffentlich teilen, können individualisierte Werbebotschaften generiert werden. Big Data macht es möglich. Zusätzlich gibt es auch weiterhin einfache Nachrichtenschleudern, die zwar von menschlichen Eingaben abhängig sind, aber über Automatisierung Beiträge über verschiedene Accounts und Plattformen streuen.
Welchen Einfluss haben Social Bots?
Nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika entflammte eine rege Debatte, ob Fake-News gestreut durch Social Bots dem umstrittenen Unternehmer ins Amt verholfen hatten. Mit einem bangen Blick zur Bundestagswahl in diesem Jahr sorgt sich auch die Hauptstadt vor den algorithmischen Gefahren. Doch von welcher Gefahr wird da gesprochen?
Tatsächlich wurden während des US-Wahlkampfes Unmengen an Beiträgen, viele davon Falschmeldungen, von Bots veröffentlicht. Das Oxford Internet Institut hat dafür den Begriff „computinal propaganda“ erdacht und teilt Erkenntnisse und Forschungsberichte auf der Plattform Politicalbots.org. Demzufolge habe jeder dritte Tweet für Trump von einem Bot gestammt. Für Clinton waren es „nur“ 22 Prozent.
Die Unmenge von Beiträgen zu sichten und dabei das Falsche vom Richtigen zu trennen, stellt selbst die Forschung vor eine große Herausforderung. Eine Mehrheit der US Bürger nutzte die sozialen Netzwerke um sich während der Wahl über die aktuellen Nachrichten zu informieren. Für viele dürfte es unmöglich gewesen sein, dieser Herausforderung Herr zu werden. Und so waren die meistgelesenen Beiträge in sozialen Netzwerken Falschmeldungen. In unzähligen Artikel wurde erklärt, weshalb Donald Trump nicht ohne Social-Bots und Fake-News Präsident geworden wäre und das Ende der Demokratie ausgerufen. Doch diese Analysen verbleiben im luftleeren Raum.
Der Wahlkampf war noch nie demokratisch
Idealerweise hätte in einem demokratischen Diskurs jeder eine Stimme, die ungeachtet von Status und Ressourcen angehört, auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft und bewertet wird. Doch diese Utopie von Habermas zwanglosem Zwang des besseren Arguments hat mit der Realität wenig gemein: Viel zu oft bestimmen Zeitdruck, Alternativlosigkeit, Fraktionszwang, Scheinargumente und Machtspiele das politische Tagesgeschäft. Das ist nicht nur während der millionenschweren Wahlkämpfe in den USA der Fall.
Wenn es bei der nächsten Bundestagswahl neben der Wählergunst wieder um die Verteilung von Ämtern und Büros geht, wird es in Deutschland wenig anders sein. In jeder Bundestagswahl sind die Chancen ungleich verteilt. Die Demokratiedefizite sind viel tiefer im politischen System der Bundesrepublik verwurzelt. Wenn man schon nicht die politischen Parteien an sich hinterfragen möchte, so genügt doch ein Blick auf die Parteienfinanzierung um das zu bekräftigen: Die staatliche Parteienfinanzierung zahlt für jede Wählerstimme einen Betrag zwischen 70 und 80 Cent an die gewählte Partei aus. Zusätzlich erhalten die Parteien für jeden Euro, den sie über Mitgliedsbeiträge und Parteispenden einnehmen weitere 38 Cent. Je größer eine Partei ist, desto mehr Geld erhält sie auch. Für die Wahl bedeutet das, dass entsprechend mehr Anzeigen geschaltet, Wahlkampfhelfer bezahlt und Plakatwände gemietet werden können. Ohne moralische Empörung können so auch im Internet auf Facebook, YouTube und Co enorme Reichweiten gekauft werden. Der öffentliche Raum ist als Kommunikationsmedium ohnehin den zahlenden Kunden vorbehalten.
Ganz nebenbei bedeutet das auch, dass der Staat auch Spenden von Lobbygruppen vergoldet. Im Jahr 2009 erhielt die FDP 1,1 Millionen Euro von der Substantia AG. Deren Inhaber, August von Finck, war ebenfalls Mehrheitseigner der Hotelgruppe Mövenpick.
Kurz darauf forcierte die FDP Steuersenkungen für Hotelübernachtungen im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Der Staat legt über die Teilfinanzierung 418 000 Euro auf die Spende der Substantia AG oben drauf.
Social Bots sind nur ein weiteres Instrument im ungleichen Kampf der Parteien
Neu an Social Bots ist, dass sie weniger in das politische System eingebunden sind. Ganz ohne Programmierkenntnisse können sie von jedem Laien eingerichtet werden. Die Kosten sind überschaubar:
Das Unternehmen MonsterSocial ist nach eigenen Angaben mit über 2000 Kunden der größte Anbieter von Social-Network-Bots. Mit Hilfe des Programmes kann eine Vielzahl von Accounts synchron genutzt werden, etwa um Freundeslisten aufzubauen, einen bestimmten Inhalt zu liken oder eigene Beiträge über verschiedene Accounts zu streuen. Es kostet pro Jahr zwischen 100 und 200 US-Dollar – je nach Umfang. Eine detaillierte Videoanleitung ist inklusive, bei weiterführenden Fragen kann ein E-Mail-Support kontaktiert werden.
Social Bots sind nur ein weiteres Instrument im ungleichen Kampf der Parteien. Eine differenziertere Analyse an der Standford Universität weist darauf hin, dass nur 14 Prozent der Amerikaner soziale Netzwerke als wichtigste Nachrichtenquelle nutzten und, dass eine einzige Falschmeldung die Überzeugungskraft von 36 Fernsehkampagnen gehabt haben müsste um den Ausgang der Wahl zu verändern. Medien und Politiker sollten sich nicht zu leichtfertigen Schlussfolgerungen über die Gefahren von Fake-News und Social Bots verleiten lassen. Natürlich müssen angemessene Lösungen für den Umgang mit bestehenden Problemen gefunden werden. Doch Social Bots offenbaren vor allem ein strukturelles Problem des politischen Systems, an dessen übliche Formen wir uns inzwischen gewöhnt haben. Was viele erschreckt, ist der drohende Kontrollverlust. Auch das Versprechen der politischen Parteien der Bundesrepublik, ihren Wahlkampf nicht mittels Social Bots betreiben zu wollen, ist daher allenfalls ein gutgläubiger Vorsatz. Denn vom lockeren Sympathisanten über das Basismitglied bis zum Mitglied der obersten Führungsriege kann jeder entsprechende Programme einrichten – ohne dabei an Weisungen gebunden zu sein.
Lennart Thamm
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