Die Welt ist krank – sie leidet an Depressionen, Burn-out und weiteren psychischen Störungen. Einer Studie zufolge ist fast jede/r Dritte in Deutschland betroffen und bedarf professioneller Hilfe, meist auch mit Medikamenten. Aber wie sieht es eigentlich bei der Bildungselite des Landes aus? KROSSE geht der Frage „Wie krank sind Studierende wirklich?“ auf den Grund.
Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse leidet in Deutschland fast jede/r Dritte an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung – Tendenz steigend. Während derzeit psychische Störungen auf Rang Drei der Ursachen für Krankschreibungen am Arbeitsplatz sind, geht man davon aus, dass bis 2020 Depressionen die zweithäufigste Erkrankung von Menschen aus Industriestaaten sein wird. Burn-out, Angststörungen und Depressionen sind seit einigen Jahren weder aus der Gesellschaft, noch aus den Medien wegzudenken und prominente Fälle, wie die des Fußball-Torwarts Robert Enke, tragen maßgeblich zur Salonfähigkeit und Debatte über eben diese bei. Doch wie ist das eigentlich bei den Studierenden – der sogenannten Elite unserer Gesellschaft?
Studien zufolge sind Studierende zwar physisch und psychisch gesünder als der Rest der Gesellschaft, doch auch hier ist die Anzahl der Erkrankungen in den vergangenen 10 bis 15 Jahren massiv angestiegen. Während 31% der Bevölkerung zwischen 18 und 65 an einer psychischen Störung leidet, sind es unter den Studis „nur“ 11%. Vergleicht man allerdings Studierenden mit ihren Altersgenossen, die sich im Beruf oder in der Ausbildung befinden, sind die Studis Spitzenreiter. Sie leiden insbesondere unter Depressionen, Angstattacken, Burn-out, Prüfungsangst und Selbstwertstörungen. Psychopharmaka werden ihnen deutlich öfter verschrieben als Gleichaltrigen anderer Statusgruppen. Betroffen sind vor allem Studentinnen, Bachelor-Studierende, die neben der Uni arbeiten und grundsätzlich ältere Studierende.
Psychische Krankheit und Bologna-Reform?
2013 veröffentlichte die Universität Heidelberg eine vergleichende Studie zum Thema „Psychische Erkrankungen bei Bachelor- und Diplom-Studierenden“. Das erschreckende Ergebnis: Das Bachelor-Studium wird von Studierenden als weitaus belastender empfunden. Einen eindeutigen Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und der nun 15 Jahre alten Bologna Reform, die uns das Bachelor-Master-System bescherte, lässt sich zwar bis heute noch nicht wissenschaftlich nachweisen, Vermutungen über mögliche Zusammenhänge liegen aber nahe. So geben viele Betroffene an, unter Zeit- und Notendruck zu leiden. Sie bemängeln die hohen fachlichen Anforderungen im Studium, die Ballung der Prüfungen zum Semesterende und die studienorganisatorischen Probleme. Viele Studierende leiden unter dem finanziellen Druck, parallel zum Studium auch noch für ihren Lebensunterhalt aufkommen zu müssen.
Ihre Freiräume sind zwar größer als bei gleichaltrigen Berufstätigen, Orientierung und Unterstützung von außen sind jedoch deutlich geringer. Mangelnde Unterstützung und Betreuung bei der Lernorganisation und beim Umgang mit Prüfungsangst wird bei Umfragen von Studierenden immer wieder als strukturelles Problem an den Universitäten genannt. Im Rahmen des verkürzten Bachelor- und Master-Studiums weicht die Faszination für Eigenverantwortung und -initiative den Pflichtveranstaltungen und dem prüfungsorientierten Lernen.
Die Anforderungen an Studierende sind rasant angestiegen. Vielseitige Sprachkenntnisse, Auslandsaufenthalte und ehrenamtliches Engagement gehören in unserer heutigen Gesellschaft in jeden Lebenslauf, die kurze Studienzeit hält dafür aber kaum Raum bereit. Die Angst zu versagen, abzurutschen, finanzielle Ängste, dem Leistungsdruck von außen und dem eigenen Anspruch nicht gerecht zu werden, sind alltäglich präsent und bilden fundamentale Faktoren für die Entstehung psychischer Erkrankungen. Die Lösungsansätze sind mindestens so zahlreich wie die psychischen Erkrankungen selbst. Einige PsychologInnen und ForscherInnen fordern mehr psychotherapeutische Unterstützung in den Bildungsinstitutionen vor Ort. Andere plädieren für eine Verbesserung der finanziellen Situation der Studierenden und wieder andere verlangen eine gesamt-hochschulpolitische Reform. Doch bei einem sind sich alle einig: Die Gesellschaft und die Politik muss sich die Frage stellen, wie sie die Menschen, die sensibler sind, integrieren will. Und vor allem muss sie eins: endlich handeln!
Anna Siewert