Die Oscars kommen heutzutage wohl ohne vorherigen (politischen) Trubel nicht mehr aus. Und auch nicht ohne Nachherigen. Was passiert ist, was sich ändern sollte und wer die großen Gewinner des Abends waren, erfahrt ihr hier.
Nach der Information, dass Moderator Kevin Hart wegen früherer homophober Tweets nicht durch die Show leiten würde, folgte die Ankündigung, dass Preise während der Werbepausen vergeben werden sollten, u.a. der Preis für die beste Kamera. Letzterer Shitstorm wurde aus gutem Grund wieder bereinigt und so konnten alle Preisvergaben live mitverfolgt werden, nur eben ohne Moderator. Doch wie sich herausstellte, tat das der Veranstaltung gar nicht mal so schlecht. Die unterschiedlichen Hosts brachten ihren je ganz individuellen Humor hinein und ließen die Show sich wieder auf das besinnen, was sie ist: Eine Preisverleihung für Künstler unterschiedlichster Art und keine Late-Night-Show.
Pop-Filme
Bohemian Rhapsody, das biografische Drama über das Leben des furiosen Ausnahmemusikers Freddie Mercury, gewann bei 5 Nominierungen ganze 4 Auszeichnungen und gilt somit als großer Gewinner des Abends. Neben den technischen Auszeichnungen für den Ton überraschte wohl eher der Sieg in der Kategorie „bester Hauptdarsteller“. Zumal Mercury-Darsteller Rami Malek mit Verwandlungskünstler Christian Bale, der als Dick Cheney kaum wiederzuerkennen war, und Willem Dafoe, als wahnsinniger Maler Vincent van Gogh, große Konkurrenten hatte. Szenenbild, Filmmusik sowie Kostümdesign gingen an Black Panther, der mit 7 Nominierungen an den Start ging. Auffallend ist, dass die Academy verstärkt an der Nominierung von Blockbustern interessiert ist. Zuvor gab es bereits Pläne, eine Kategorie rein für die populären Filme einzuführen, doch wurde dieses Vorhaben zurückgezogen. Die Academy will die Einschaltquoten ankurbeln, deswegen auch die Verkürzung der Dankesreden auf 90 Sekunden pro Gewinner. Die Sorge ist berechtigt, dass Blockbuster zukünftig vermehrt hochwertige Independent-Produktionen verdrängen könnten und so filmische Diversität verloren geht.
Die kleinen und großen Perlen
Alfonso Cuarón konnte für sein Drama Roma, welches in intensiven Schwarz-Weiß-Bildern das Leben eines mixtekischen Zimmermädchens porträtiert, drei Auszeichnungen einsacken. Darunter in den Königsdisziplinen Beste Kamera sowie Beste Regie. Als Favorit galt er auch in der Hauptkategorie “bester Film”, wurde jedoch mit dem Preis als Bester fremdsprachiger Film vertröstet. Der Preis ging letztendlich an Green Book. Das Feelgood-Drama über die Freundschaft zwischen einem schwarzen Musiker und seinem weißen Chauffeur gewann weiterhin den Preis für das beste Originaldrehbuch sowie für den besten Nebendarsteller, der an Mahershala Ali ging. Ergreifend und aufgeregt waren die Dankesreden von Olivia Colman, die den Preis als Beste Haupdarstellerin für den Film The Favourite gewann und ihm somit Favoritin Glenn Close wegschnappte, und dem Filmteam von Skins, die den Preis als Bester Kurzfilm erhielten. Auch der Sieg von Stigma Monatsblutung, der von dem Tabuthema Menstruation in Indien erzählt, als Bester Dokumentar-Kurzfilm und die darauffolgende Dankesrede waren rührend und humorvoll zugleich. Solche Dankesreden geben der Show ihre nötige Authentizität und ihren emotionalen Wert. Der Preis für den besten Filmsong ging an A Star is Born. Das Lied Shallow von Lady Gaga und Bradley Cooper wurde auch live performt und ist zurecht ein Siegersong, der über den Film hinauswirkt.
Die Rassismus-Debatte
Die grundsätzliche Frage nach der Wertschätzung von People of Color wird in den Filmen sowie bei den anschließenden Dankesreden immer neu beleuchtet. Es ist ein wichtiges Thema und Politik sollte selbstverständlich in Kunst und Kultur eine tragende Rolle spielen. Spike Lee, der mit seinem Film BlacKkKlansman den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch gewann, war anscheinend nicht gerade begeistert über den Sieger Green Book. Auch in den sozialen Medien hagelte es Hate-Kommentare und dem Film selbst wurde sogar Rassismus vorgeworfen, da die Erzählperspektive von einem Weißen ausgeht, der etwas über Schwarze aussagt. Doch Green Book ist das genaue Gegenteil. Der Film erzählt von einer Freundschaft, in der der weiße primitive Chaffeur Tony Lip (Viggo Mortensen) von seinem schwarzen Beifahrer Don Shirley (Mahersala Ali) durch die Zeit lernt, mit Alltagsrassismus umzugehen. Ein Film, der für Zusammenhalt und Liebe beider Hautfarben plädiert und das in Form einer aufheiternden Tragikomödie. Ebenso gelingt es Roma auf besonders cineastische Art einen Zugang zum mexikanischen Alltagsleben herzustellen. Ganz anders als Blockbuster Black Panther, der durch den ersten schwarzen Superhelden in der Hauptrolle heraussticht, sich jedoch dramaturgisch und auch sonst kaum von anderen Marvel-Filmen unterscheidet und somit reine Symbolpolitik darstellt. Kunst mit Politik: Ja. Politik mit Kunst: Nein!
von Martin-Oliver Czaja
Bildquelle: Ivan Bandura, Oscars for sale