Möchte man in Deutschland in einem Unverpackt-Laden einkaufen, ist die Auswahl nicht sonderlich groß. 275 Geschäfte gibt es insgesamt in Deutschland, laut der Stadt Bremen acht im gesamten Stadtgebiet; 35 Läden wurden bundesweit im Jahr 2023 geschlossen, nur fünf kamen hinzu. Viele von ihnen stehen am Rande ihrer Existenz.
Auch die Füllerei, ein Unverpackt-Laden in Bremen-Findorff, hatte die letzten Jahre mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Inhaberin Nora Osler erzählt, wie sie Lösungsmöglichkeiten finden musste, um den Laden zu erhalten, warum Unternehmen und Politik gefragt sind, um dem Kundenmangel entgegenzuwirken – und warum es sich lohnt, für einen faireren und nachhaltigeren Konsum zu kämpfen.
Nora, du bist Inhaberin der Füllerei, die im Februar 2020 eröffnet wurde. Wie genau sieht das aus? Verzichtet ihr vollständig auf Verpackungen?
Natürlich suggeriert der Name „Unverpackt-Laden“, dass alles komplett ohne Verpackung kommt, aber das ist aus vielerlei Gründen gar nicht möglich, u.a. aus Hygienegründen und auch, weil es viele Waren gar nicht anders gibt. Uns sind eben Produkte mit möglichst wenig und möglichst Einwegplastik-freien Verpackungen wichtig – auch das ist nicht immer möglich. Unsere Waren werden natürlich verpackt angeliefert, aber in immer möglichst großen Gebinden, um auf die kleinen Päckchen, die man aus dem Supermarkt kennt – zum Beispiel 100 Gramm Mangostreifen – zu verzichten. Denn auch die Mango wird ja im Großgebinde zum abpackenden Betrieb geliefert und dann da in kleine Verpackungen verpackt. Und diesen Schritt sparen wir dann schonmal ein. Außerdem haben wir viele Produkte, die es gar nicht unbedingt lose gibt, zum Beispiel Aufstriche, möglichst in Mehrwegverpackungen. Säfte, Haferdrinks, solche Sachen.
Doch nicht nur die Reduktion des Mülls, auch faire Produktionsbedingungen sind ein Pfeiler, auf den sich der Laden stützt, oder? Die Großhändler, mit denen ihr zusammenarbeitet, sind überwiegend regionale Unternehmen.
Genau. Es setzt sich eben zusammen aus diesen unverpackten, aber dann auch möglichst fairen Bio-Bedingungen. Wir versuchen kleine Manufakturen zu unterstützen, möglichst regional und saisonal einzukaufen – was natürlich auch nicht immer geht, denn wenn man ein immerhin ansatzweise attraktives Sortiment bieten will in der heutigen Welt, dann müssen eben auch verschiedene Früchte, Nüsse, etc. mit dabei sein. Das wird alles nicht in Deutschland angebaut, schon gar nicht in Norddeutschland, entsprechend gucken wir da dann eben nochmal besonders drauf, mit Firmen zusammenzuarbeiten, die vernünftige Bedingungen garantieren. Nahezu alles ist aus Bio-Anbau, vieles dann eben noch aus Fairtrade-Bedingungen oder anderen kleinen Projekten.
Wo du bereits die Bio-Bedingungen angesprochen hast – ihr schreibt auf eurer Website, dass ihr euch gerade auf die Bio-Zertifizierung vorbereitet. Was ist damit gemeint und auf was für einem Stand seid ihr da?
Es ist leider so, dass sich die Menschen, die Bio verkaufen, zertifizieren müssen, und nicht die Menschen, die nicht Bio verkaufen – obwohl das eigentlich diejenigen sind, die zahlen müssten für die Probleme, die wir in der Umwelt haben. Eigentlich sind wir jetzt aber so weit. Wir haben noch lange darauf gewartet, dass der Unverpackt-Verband eine Rahmenvereinbarung mit verschiedenen Zertifizierungsstellen schließt. Da hat sich jetzt leider Anfang des Jahres rausgestellt, dass das nicht funktioniert, d.h. es muss ohne Rahmenvereinbarung gehen. Aber es ist halt ein ziemliches Angehen, besonders für einen kleinen Laden wie unseren, da es einfach teuer ist. Aber ich denke, dass wir das dieses Jahr hinbekommen.
Was ist mit Obst und Gemüse? Ich habe hier am Eingang gesehen, dass ihr z.B. auch Äpfel und Möhren verkauft. Wie sorgt ihr dafür, dass das nicht sofort schimmelt?
Also wir haben wirklich nur eine winzig kleine Auswahl. Gerade beim Obst und Gemüse sind wir sehr regional. Unser Großhändler bietet direkt die Kategorie „Bio von hier“, d.h. alles im Umkreis von 200km um den Großhändler, der hier in der Nähe ist. Nur daraus wähle ich meine Produkte aus, die ich überhaupt hier aufnehme, und ehrlich gesagt sind die Sachen einfach superfrisch, die bei uns ankommen, und halten wirklich lange. Natürlich hat man immer mal einen Apfel mit einer Stelle, aber das ist ja ganz normal, das passiert auch durch den Transport. Den nehmen wir raus, und dann ist gut. Hier ist noch nichts wirklich schlecht geworden.
Das klingt gut, besser sogar als in den Supermärkten, in denen die Ware wahrscheinlich nicht ganz so genau kontrolliert wird.
Da gibt es halt immer ein Überangebot. Das ist einfach das Problem und eben das, was wir versuchen – Lebensmittelverschwendung möglichst einzudämmen. Das ist ja auch Teil des Konzepts – man kann so viel kaufen, wie man möchte und braucht und muss nicht eine ganze Packung von etwas mitnehmen. Gewürze beispielsweise haben wir auch alle lose. Wenn man dann einmal im Jahr Lebkuchen backt, dann holt man sich eben einen Teelöffel Lebkuchengewürz – oder wie viel auch immer man braucht.
Also bietet ihr die Ware eher in kleinen Mengen an? Oder kann ich hier auch meinen wöchentlichen Familieneinkauf machen?
Das ist beides möglich. In der Säule da sind zum Beispiel ungefähr 10kg Haferflocken, also kannst du zulangen (lacht).
Die Füllerei Findorff wurde 2020 in, wie der Name schon sagt, Bremen-Findorff eröffnet – ein Stadtviertel, das auch bei Studierenden sehr beliebt ist. Schlägt sich das auch in der Kundenzusammensetzung nieder?
Es sind auf jeden Fall Studierende mit dabei. Ich würde sagen, wir sind sehr bunt gemischt – von Studierenden über Familien, auch viele Alleinstehende, die es eben besonders schätzen, dass man auch kleine Mengen kaufen kann, bis hin zu älteren Leuten, die hier in der Nachbarschaft wohnen und sich über den kurzen Weg freuen. Auch manche Kinder, die alleine zum Einkaufen kommen, weil die Eltern das ein bisschen überschaubarer finden und die sich hier gut auskennen und wissen, dass wir gut aufpassen und alle sich wohlfühlen. Also sehr bunt gemischt.
Das klingt so, als würdet ihr vordergründig eine Stammkundschaft bedienen – Menschen, die immer wiederkommen, mit denen ihr euch auch unterhaltet und die nicht nur schnell ihre Sachen holen, um dann wieder zu gehen. Stimmt das?
Auf jeden Fall, da legen wir auch viel Wert drauf. Wir haben eine tolle Stammkundschaft, von denen wir viele mit Vornamen kennen, mit denen man sich auch drumherum unterhält, die auch unsere Beratung sehr gerne in Anspruch nehmen. Das ist eigentlich immer ein sehr schöner Austausch. Es fühlt sich ein bisschen wie zuhause an, wenn hier die Leute reinkommen, die man kennt.
Hast du das Gefühl, dass diese Verbundenheit neue KundInnen davon abhält, bei euch einzukaufen, also diejenigen, die nur schnell rein und wieder raus wollen?
Ich zwinge niemandem ein Gespräch auf; da bin ich auch überhaupt nicht der Typ für. Ich versuche auch immer, zum Beispiel an der Kasse, die KundInnen mit hohem Gesprächsbedarf zur Seite zu nehmen und zu sagen: „Warte mal kurz, ich kassiere eben die Person hinter dir“, weil der Verkaufsprozess hier natürlich Priorität hat und ich weiß, dass manche Menschen es auch eilig haben. Das versuche ich und hoffe, dass es klappt, allen möglichst gerecht zu werden.
Laut einer aktuellen Umfrage von YouGov haben 73% der Befragten noch nie in einem Unverpackt-Laden eingekauft – 30% haben auch kein Interesse daran. Was sind die Gründe dafür?
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, denke ich. Wir werden dicht mit Bio assoziiert; ich schätze, die Umfrage würde ähnlich ausfallen für „Hast du schonmal in einem Bioladen eingekauft?“. Manche Menschen wollen oder können sich da einfach keine Gedanken drüber machen und es sich finanziell vielleicht auch nicht leisten. Die Produkte sind nun einmal nicht vergleichbar mit denen im Discounter, überhaupt nicht, weil sie eben auch eine andere Qualität haben und wir ein kleiner Laden sind – das kommt noch obendrauf. Es gibt teilweise nachhaltige Firmen, die an große Ketten ihre Produkte verkaufen, welche die Ware dann zu unserem Einkaufspreis verkaufen. Wenn ich etwas für zwei Euro kaufe und die Supermarktkette verkauft es für zwei Euro, dann habe ich keine Chance. Da sind natürlich auch die Unternehmen gefragt, die Produzierenden, da sie so handeln und den Kapitalismus damit leider komplett unterstützen. Es findet eben auch keine Aufklärung statt. Es ist ja nicht so, dass die große Supermarktkette die Situation erklären würde. Manchen ist es auch definitiv zu aufwändig. Natürlich ist es einfacher, wenn ich vorher nicht planen muss und nicht meine Gefäße mitbringen muss. Ich denke, es ist eine Mischung aus diesen Gründen.
Also ist die fehlende Kundschaft nicht unbedingt ein Problem, das intern gelöst werden kann, sondern bei dem eben auch die Unternehmen gefragt sind…
… und vor allem die Politik. Es ist einfach total wichtig, dass klar ist, dass man sich nicht alles diktieren lassen kann, sondern dass eigentlich kleine, nachhaltige Unternehmen supportet werden müssen.
Und das anscheinend dringend. Auch die Füllerei hatte bereits mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Im September 2022 habt ihr auf eurer Homepage darauf hingewiesen, dass nun Maßnahmen ergriffen werden müssten, um den Laden zu erhalten, und im November 2023 berichtete der Weser Kurier von einer erneuten wirtschaftlichen Schieflage. Waren das noch immer die Nachwehen von Corona oder kamen andere Probleme auf euch zu?
Naja, das letzte Jahr war einfach extrem schwierig. Wir wissen es alle, die Inflation und allgemein die instabilen Verhältnisse führen bei vielen Menschen einfach dazu, dass sie vorsichtig sind und auf ihr Geld achten – obwohl die Preise im Bio-Bereich viel weniger angestiegen sind als im konventionellen Bereich.
In dem Gespräch hast du eine Lösungsmöglichkeit vorgestellt: KundInnen, die dazu bereit waren, sollten am Monatsanfang eine festgelegte Summe zahlen, die ihnen dann im Monat als Guthaben diente. Du hast von einem Ziel von 100 UnterstützerInnen und einer Traumvorstellung von 200 UnterstützerInnen gesprochen. Wo steht ihr jetzt?
Bei 85. Ich finde, das ist eigentlich für die Kürze der Zeit ein ziemlich guter Schnitt. Es ist auch gut angelaufen und hat uns tatsächlich die erhoffte Entspannung am Anfang des Monats gebracht. Eine gewisse Kundenbindung entsteht ebenfalls und ein Verständnis der Leute dafür, was sie mit ihrem Einkauf hier bewirken können, dass sie einen Unterschied machen – und bei der Supermarktkette eben nicht. Sie unterstützen hier eben was, was auf vielen Ebenen positiv wirkt. Das den Menschen nochmal zu verdeutlichen, hat, glaube ich, gut funktioniert.
Was hat es mit den Schildern auf sich, die hier auf den Spendern kleben und auf denen „Spenderpate“ steht?
Das war eine Unterstützungsaktion letztes Jahr, wo wir den Menschen nochmal die Möglichkeit gegeben haben, uns finanziell zu entlasten, indem sie eine Patenschaft für einen Spender übernommen und sie ihn uns so abgekauft haben. Wir sind hier am Anfang mit einer großen Investition reingegangen und um das ein wenig abzupuffern, gab es dann eben Menschen, die wollten, dass es weitergeht.
Die Füllerei Findorff ist also nicht einfach ein Supermarkt für das Erledigen von notwendigen Einkäufen. Sie ist ein Ort für Menschen mit einer Idee, die sie verbindet, und auf diese Menschen zählt die Füllerei, damit diese den Laden und das Konzept unterstützen. Nehmen immer mehr Menschen dieses Angebot wahr, kann die Zahl der geschlossenen Unverpackt-Läden innerhalb eines Jahres hoffentlich gesenkt werden und Geschäfte wie die Füllerei können auf eine breitere Kundschaft zählen, sodass der Einsatz für fairen und nachhaltigen Konsum nicht mehr mit der ständigen Angst um die wirtschaftliche Existenz verbunden ist. Das geht jedoch nicht allein, sondern nur, wenn Politik und Großunternehmen die Notwendigkeit dieses Einsatzes erkennen und ihren Beitrag leisten.
Interview geführt von Anica Lindenau.