In der Bremer Neustadt kennt fast jeder den SPAR-Markt in der Gastfeldstraße – und seinen Besitzer Björn Harste. Der 39-Jährige ist Einzelhändler mit Leib und Seele. Nur ist er etwas anders als seine Kollegen. Denn Björn Harste ist „Der Shopblogger“! Aus dem Hinterzimmer seines Marktes schreibt er ein Blog über das Leben im Supermarkt…
Außerhalb seines Marktes ist Björn Harste schwer anzutreffen. So hatte er auch keine Zeit für ein „ordentliches“ Interview. Termine auszumachen, sagte sein Mitarbeiter am Telefon, sei eigentlich sinnlos. Am besten, man kommt einfach im Laden vorbei. Bei der Begrüßung sind Björns erste Worte: „Eigentlich hab ich grad viel zu viel zu tun. Können wir das so nebenbei machen?“ Und dann eilt er in seiner roten Weste durch die Regalreihen davon, dass man kaum hinterher kommt.
Bei Björn ist eben alles etwas unkonventionell. Während er mit seinem Klemmbrett vor der Gemüseabteilung steht und seine Bestellungen notiert, beantwortet er gut gelaunt alle Fragen. Gleichzeitig über Salatköpfe, Karotten und Kartoffeln nachzudenken und Interviews zu geben, ist für ihn eine leichte Übung. Schließlich ist es nicht sein erstes Mal. Nahezu sämtliche regionale Fernsehsender und Tageszeitungen haben bereits über ihn und seinen Laden berichtet. Denn wie erwähnt, ist Björn Harste kein gewöhnlicher Einzelhändler.
Wir gehen zu Björn
Ein Supermarkt ist eigentlich kein Ort, an dem man Kreativität vermuten würde. Menschen hasten durch vollgestopfte Gänge und werfen Lebensmittel in ihre Körbe – Hauptsache, schnell wieder nach Hause! Die Kassierer schieben lustlos ein Teil nach dem anderen über den Scanner, das monotone Piepen der Kasse vermischt sich mit Musik, die ununterbrochen aus dem Radio dudelt… Falsch! Nicht bei Björn. Seit zwölfeinhalb Jahren betreibt er nun bereits seinen Laden in der Gastfeldstraße. Angefangen hat er in diesem Gewerbe 1994 als Auszubildender im Einzelhandel. Eigentlich war nach dem Fachabitur ein Studium als Bauingenieur geplant, doch ein Nebenjob bei „Comet“ neben der Schule machte ihm so viel Spaß, dass er sich für die Karriere im Supermarkt entschied. Heute ist er Besitzer von zwei Läden, dem SPAR und einem „Nah und Gut“-Markt in Findorff. Er ist Chef von 37 Mitarbeitern und versorgt täglich über tausend Kunden mit allem, was das Herz begehrt – und noch ein bisschen mehr.
„In Studentenkreisen hier in der Neustadt heißt es nicht: ‚Ich geh zum SPAR‘, sondern ‚Ich geh zu Björn‘“, erklärt der Delmenhorster stolz. „Wir sind hier so was wie eine Institution im Stadtteil.“ Das verwundert nicht. Allein beim Betreten des Ladens wird man sofort mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßt. Außerdem findet man hier vieles, was es anderswo nicht zu kaufen gibt. „Manchmal suchen Kunden nach bestimmten Artikeln und die bestellen wir dann oder nehmen sie dauerhaft ins Sortiment auf“, sagt Björn und dann: „Warte mal kurz!“
Ein älterer Herr steht vor ihm und hat eine Frage. „Herr Harste, Sie hatten doch sonst immer so schöne Weihnachtskarten…“ Und weg ist Björn und zeigt dem Kunden das Regal, in dem die Karten stehen. Als er gleich darauf zurück kommt, fragt er: „Wo waren wir?“
Bei der Kreativität, Herr Harste. Denn die freundliche Atmosphäre im SPAR ist nicht der Grund, weshalb Björn Harste eine lokale Berühmtheit wurde. Es sind seine außergewöhnlichen Ideen.
Einkaufen in der Geisterbahn
Irgendwo im Inneren ist jeder Mensch noch ein Kind. Bei Björn hat dieses Kind einen Supermarkt als Spielwiese, um sich auszutoben. So verdunkelte er kurz vor Halloween seinen ganzen Laden ab 21 Uhr bis auf ein bisschen Schwarzlicht, dekorierte ihn mit Spinnweben und steckte seine Mitarbeiter in Horror-Kostüme. Vor dem Eingang des SPAR bildete sich eine Menschenmenge wie vor einer Diskothek – Glühwein wurde ausgeschenkt und im Inneren, zwischen Konserven und Tiefkühlkost kicherten und kreischten erwachsene Menschen in den Gängen herum.
Auf dieses „Scary Shopping“ angesprochen, leuchten Björns Augen freudig auf.
„Ja, da war dieses Jahr wieder Bombenstimmung. Die Idee kam mir vor vier Jahren an Halloween im Heidepark Soltau. Ich dachte: ‚So was müsstest du mal im Laden machen!‘ Das erste Jahr haben wir alles einfach improvisiert und es war gleich ein super Erfolg!“
Wenn auch nicht unbedingt finanziell. Denn eins ist klar: In einem stockfinsteren Laden hat niemand wirklich den Überblick und Ladendiebe haben praktisch freie Hand. Ob er an diesen Tagen mehr oder weniger Umsatz gemacht hat, kann Björn nicht genau sagen. Es ist ihm jedoch auch gleichgültig. Er macht diese Dinge, weil er daran Spaß hat und weil es etwas Besonderes ist. „Vielleicht schütteln die anderen Einzelhändler den Kopf über mich, keine Ahnung.“ Björn zuckt die Achseln. „Aber das sind halt wir!“
Der Blog als Tagebuch
Björn nimmt kein Blatt vor den Mund – auch nicht in seinem Blog. Das Gespräch kommt nun auf diese vielleicht bemerkenswerteste seiner Ideen. Inzwischen ist Björn von der Gemüsebestellung zur Weinabteilung übergegangen und sortiert die Flaschen aus den Kisten ins Regal ein. „Bremer Supermarkt erobert das Internet“ titelte der Weser-Kurier vor einem Jahr. Tatsächlich bloggt Björn nun schon seit sieben Jahren. Inspiriert vom „law blog“ des Düsseldorfer Rechtsanwalts Udo Vetter, kam ihm eines Tages die Idee, einen Blog über seine Arbeit im Supermarkt zu schreiben. Und weil Björn ein Mann der Tat ist, war „Der Shopblogger“ bereits einen Tag später im Netz. „Ich glaube, ich habe damals die Berufsblog-Welle stark mit beeinflusst“, erzählt er. „Zu der Zeit war das noch völlig neu.“
Seitdem schreibt er eigentlich täglich seine Gedanken im Blog nieder, direkt von der Arbeit aus – vom Computer im Hinterzimmer. „Andere gehen in der Pause eine rauchen, ich schreibe“, sagt Björn schlicht. Und er dokumentiert: die Marotten seiner Kunden („Da erlebt man die beklopptesten Sachen!“), witzige Preisschilder oder Verpackungen und natürlich seine eigenen Events.
Dass er mit dem Blog so einen großen Erfolg landen würde, damit hat er nicht gerechnet. Inzwischen erreicht er täglich ungefähr 30-35.000 Leser. Die genauen Zahlen interessieren ihn aber nach eigenen Angaben nicht. Viel mehr freut er sich über das positive Feedback seiner Kommentatoren: „Das ist das Salz in der Suppe!“ Leser schicken ihm Fotos von SPAR-Märkten auf der ganzen Welt und kommen in seinen Laden, um ihn mal mit eigenen Augen zu sehen.
Vielleicht ist „Der Shopblogger“ so erfolgreich, weil er unkommerziell und völlig frei Schnauze schreibt. Wenn Björn die Menschen im Laden auf die Nerven gehen, lädt er sich im Blog den Frust von der Seele. Ob er damit Kunden vergrault, wenn sie sich selbst dort wiederfinden? Er zuckt nur die Achseln. „Ich mach das für mich. Das Blog hat sich zu einer Art persönlichem Archiv entwickelt, wo ich selbst oft Dinge nachschlage, um mich zu erinnern. Es hat eher Tagebuch-Charakter.“ Auf die Frage, was sein Ziel mit dem Blog sei, hat er eine klare Antwort: Keines. Wenn überhaupt, möchte er die Menschen unterhalten und als Nebeneffekt ein bisschen informieren, einfach so.
Ein Leben für den Supermarkt
Es ist schon bemerkenswert, was Björn Harste alles „einfach so“ macht. Er betreibt seine Supermärkte und bietet einen Teil seines Sortiments auch noch in einem Online-Shop an. Darüber hinaus hat er noch zwei Webseiten: Für seinen SPAR-Markt und sein Blog.
Björn steht hier absolut im Mittelpunkt. Er ist das Herz, der Kopf und die Beine des Ladens, er steht keine Sekunde still. Auf die Frage nach seinem Privatleben schnauft er kurz auf.
„Privatleben? Was für ein Privatleben?“ Dann erzählt er davon, wie er am Anfang, nach der Eröffnung des Ladens im April 2000, achtzig bis hundert Stunden die Woche gearbeitet habe.
Eine Zeitlang wagte er das Experiment, rund um die Uhr geöffnet zu haben. Auch damit war er in der Presse. Aber vor drei Jahren kapitulierte Björn dann vor dem Stress. „Das war einfach auf Dauer zu hart!“
Doch auch so lebt der Mann in seinem Laden, wenn nicht physisch, so doch in Gedanken. Sogar seine Freundin Ines arbeitet mit ihm zusammen dort. Die beiden sehen die Trennung von Arbeit und Beziehung nicht als Problem an. „Nein, wir trennen das eigentlich nicht“, erklärt Ines, während sie Regale einräumt. „Nur nach Feierabend wird nicht mehr über die Arbeit geredet. Da machen wir einen Cut und sind einfach mal wir.“ Die drei gehören vielleicht einfach zusammen, Björn und Ines und der SPAR.
Zukunftspläne und der große Traum
Wenn er noch mal ganz von vorne anfangen könne, sagt Björn nach kurzem Nachdenken, würde er etwas machen, wo er keine Mitarbeiter brauche. „Dann ist man nicht von anderen abhängig. Dritte werden den eigenen Ansprüchen eben selten gerecht.“ Ein Satz, der einen Hang zum Perfektionismus erahnen lässt. Aber alles allein machen kann auch Björn nicht, obwohl er es auf bemerkenswerte Art schafft, all seine Projekte zu managen.
Und natürlich muss er sich auch Gedanken machen, wie es in Zukunft mit seinem Laden weitergeht. Nächstes Jahr droht dem SPAR der Umbau zum „Edeka“-Markt. Die große Supermarktkette ist dabei, die SPAR-Märkte „platt zu machen“, wie Björn es ausdrückt. Er hat sich damit abgefunden und wirkt gelassen, obwohl er zugibt, dass es schade ist. Weil sein SPAR eine solche Institution ist. Und man fragt sich natürlich, wie es dann mit dem Blog weitergeht – ob ihm seine Leser auch Fotos von „Edeka“-Märkten zuschicken und ob das dann überhaupt noch Sinn macht.
Für sich persönlich träumt Björn davon, früh in Rente zu gehen. Ob er mit seinen 39 Jahren schon müde wird? Eigentlich macht er nicht den Eindruck. Aber vielleicht wünscht er sich auch einfach ein bisschen mehr Freizeit. Er fährt gern Fahrrad, hat ein Boot an der Weser und bringt sich selbst das Banjo spielen bei. Einfach so. Ein normaler Mensch ist er eben auch, der Björn, auch wenn er die Dinge etwas anders macht, als die anderen.
Alice Echtermann