Ich lasse Südamerika hinter mir. Nach sechs Monaten auf mehr oder weniger befestigten Straßen in Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien mache ich mich auf nach Mittelamerika. Mit Wind und Regentropfen, wilden Blitzen am Horizont und flatternder Gepäckplane rast unser hölzernes Speedboot in Richtung Carti. Fünf Tage dauert der harte Weg nach Panama: Durch den Darien Gap – eine der artenreichsten, aber auch gefährlichsten Regionen Lateinamerikas.
Auf der Karte sieht es eigentlich ganz einfach aus. Dort verbindet ein schmaler Zipfel den großen Kontinent Südamerika mit Panama. „Oh wie schön ist Panama“, sagte schon Janosch und deswegen packe auch ich meinen Rucksack und verlasse Kolumbien. 45.000 Kilometer Strecke und 14 Länder verbindet die Panamericana von Süd- bis Nordamerika. Doch zwischen Alaska und Feuerland klafft in der berühmten Straße eine Lücke, die Reisende dazu zwingt, umzudenken.
Paradies mit Schattenseiten
Hier liegt der Darien-Nationalpark im Süden Panamas. Hier endet die Straße im Urwald. Doch wegen seiner unerforschten und seltenen Pflanzen und Tiere ist der Ort heute UNESCO-Weltnaturerbe. Aber über dem Paradies liegt ein Schatten. Bei Überfällen und Unfällen forderte die artenreiche Region schon zahlreiche Opfer und auch bei Mordanschlägen – denn der Drogenhandel floriert in der wilden Lücke. Im Reisehinweis des Auswärtigen Amts für Panama heißt es dazu: „Entgegen den Angaben auf verschiedenen Landkarten gibt es auch keine Straßenverbindung nach Kolumbien.”
Daher nehmen die meisten Touristen ein Flugzeug von Bogota oder mieten sich ein Segelboot. Enrico und Paolo, zwei Reisende aus Italien, erzählen mir von einem kleinen Flughafen in Puerto Olbadia am Darien Gap, eine Siedlung ganz im Norden Kolumbiens. Ich beschließe, mich in die Region zu wagen und studiere meine Karte. Mit dem Bus fahre ich schließlich von Cartagena Turbo – von dort aus soll es mit dem Boot weitergehen.
Perfekte Schnorchelbedingungen und keine Touristen
Erst nachts komme ich in der Hafenstadt Turbo an. Am Busbahnhof lungern dunkle Gestalten, die Leuchtanzeige eines Kiosks flackert unregelmäßig. Ein alter Mann starrt mich an und kickt dann lustlos eine Blechdose mit dem Fuß von der Bordsteinkante. Schnell suche ich mir das erste Hotel und warte, bis ich am nächsten Morgen die ersten Tickets nach Puerto Olbadia kaufen kann. Mein Zimmer ist fensterlos, der Ventilator wirbelt warme, stickige Luft auf.
Am nächsten Morgen startet das erste Boot in Richtung Grenze. Ein Händler hat seine Hühner an den Füßen zusammengebunden und über die Schulter geschlagen. Andere verladen schwere Kisten mit Tomaten und Zwiebeln. Beim Warten auf das Boot am Hafen in Turbo treffe ich auf Jon. Auch er will nach Panama. Zusammen nehmen wir das Boot nach Capurgana. Laut unseren Reisetipps können wir hier zu Fuß durch den Dschungel zumindest bis nach Sapzurro kommen – der erste Ort in Panama.
Als wir den Hügel überschauen können, stockt mir der Atem: Karibischer, weißer Strand, glasklares Wasser, Palmen biegen sich im Wind, keine Touristen. Im Hinterland schlängeln sich kleine Flüsse durch den Urwald, die sich an zahlreichen Abhängen in hunderte von kleinen Wasserfällen aufspalten und wiederum in glasklare Pools münden. Affen kreischen, bunte Schmetterlinge surren um Farne und Orchideen. Wir spannen unsere Hängematte auf und wollen am nächsten Tag nach Puerto Olbadia. Hier soll es einen kleinen Flughafen geben, der Flüge nach Panama City chartert.
Gefangen im Paradies: Kein Flughafen, keine Boote
Doch am nächsten Tag kommt die Schreckensnachricht: Das angenommene Flugzeug von dort nach Panama City scheint nicht zu existieren. Dagegen wird uns eine weitere siebenstündige Bootfahrt offeriert, die jedoch nur „vielleicht“ möglich sei. Der dicke Kapitän im mintgrünen Poloshirt scheint unsere Sorgen nicht zu verstehen. Ein Boot nach Kolumbien? Das gibt es nicht. „Vielleicht nächste Woche“, vertröstet uns Juan, ein Dorfbewohner. Einzig ein Restaurant mit einem Gericht, ein kleines Internetcafé mit Kopierer und ein Hotel gibt es hier. Wir schlagen unsere Hängematten am Strand auf.
Ich frage einen Dorfbewohner von Sapzurro, ob es Pläne gibt, das Loch hier in der Panamericana zu schließen, doch er schüttelt nur seinen kahlen Kopf. Das Auswärtige Amt wird mir später erklären, dass das wohl in den nächsten Jahren nicht passieren wird. Denn die fehlende Straße nach Kolumbien schützt die reiche Natur und die Urvölker im Darien. Außerdem erschwere es die Einfuhr von Drogen, Maul- und Klauenseuche.
Seit 90 Jahren wollen die amerikanischen Staaten das Loch schließen
1925 unterzeichneten 17 amerikanische Staaten in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires einen Vertrag zum Bau der Panamericana. Doch bis heute sind Großteile der Strecke nicht geteert. Die Idee, ganz Amerika mit einer einzigen Straße zu verbinden, ist jetzt schon fast 90 Jahre alt: Im Darien Gap scheint sich aber wenig zu bewegen.
Doch Jon und ich sind nicht die einzigen Gestrandeten. Zwei Kubaner und ein Argentinier mit schweren Motorrädern warten in Sapzurro seelenruhig mit Campingkocher, Zelt und Wasserzugang in einem verlassenen Haus auf Boote Richtung Panama City. Wir schlafen wieder unter freiem Himmel. Zum Abendessen gönnen wir uns einen Milkshake – von der einzigen Frau mit Kühlschrank auf der Insel. Die dritte Nacht im Nichts. Am nächsten Tag erkunde ich die Insel, wir baden in Wasserfällen und sprechen mit den Dorfbewohnern – mit der Hoffnung, doch noch eine Möglichkeit ausfindig zu machen, um nach Panama zu kommen. Doch es scheint aussichtslos.
Die Rettung: Juan und das Speedboot
Je länger Jon und ich hier bleiben, desto mulmiger wird mir das karibische Paradies. War es ein Fehler, nicht gleich einen Flieger von Bogota oder Cartagena nach Panama City zu nehmen? Müssen wir sogar vielleicht wieder umkehren? Wir sprechen noch einmal mit Juan, der den ganzen Tag auf seinem Plastikstuhl sitzt und das Meer beobachtet.
„Wenn ihr zu acht seid, dann kann ich euch fahren“, sagt er schließlich. „Für 100 Dollar.“ Und wie aus dem Nichts taucht gegen Nachmittag eine Reisegruppe fünf gestrandeter Israelis auf. Auch sie wollen nach Panama City. Oh wie schön! Wir handeln mit Juan und steigen am nächsten Tag schließlich in sein hölzernes Speedboot. Kurz vor Dunkelheit kommen wir in Carti an. Panamaisches Festland. Ich bin schrecklich müde und unglaublich froh einen Jeep zu finden, der uns noch nachts nach Panama City fährt – auf der Panamericana. Die Lücke ist überwunden.
Jana Wagner