Wo heute ein beliebter Ort für Musikfeste und ausgelassene Feiern ist, war im Dritten Reich für Sinti und Roma aus Bremen der Deportationsstart in die Konzentrations- und Arbeitslager. Über den Bremer Schlachthof, seinen Wandel im Laufe der Zeit und das Gedenken an die Schrecken der Vergangenheit.
Der Schlachthof in Bremen-Findorff. Jährlich finden hier bis zu 300 Veranstaltungen mit insgesamt 100.000 Besuchern statt. Ob Konzerte, Theatervorstellungen, Workshops oder Partys – das Kulturzentrum ist vielseitig. Doch was die wenigsten wissen: Da, wo heute getanzt, gelacht, diskutiert und gefeiert wird, wurden während des zweiten Weltkrieges hunderte Sinti und Roma gefangengehalten – für sie erst der Anfang einer langen Leidenszeit.
Im Englischen heißen sie ganz einfach Gypsys. Im Deutschen ist es schon viel schwieriger. „Sinti und Roma“ ist die offizielle Bezeichnung für die Menschen, die früher abwertend als „Zigeuner“ bezeichnet wurden. Doch auch heutzutage haben die Sinti und Roma mit schweren Vorurteilen zu kämpfen: Sie gelten nach wie vor als fahrendes Volk und werden oft abfällig als „schmutzige Bettler“ bezeichnet – woher die Sinti und Roma aber stammen und wie sie leben, ist vielen unbekannt.
Gudrun Goldmann, Redakteurin der Zett im Kulturzentrum Schlachthof, kennt das Problem der Vorurteile gegenüber den Sinti und Roma. „Antiziganismus ist leider immer noch weit in der Gesellschaft verbreitet. Sinti und Roma sind im Alltag allen möglichen Vorurteilen ausgesetzt. Schaut man zum Beispiel in die Fußballstadien, sieht man, dass die Beschimpfungen nach wie vor da sind: ‘Zick-Zack-Zigeunerpack’ steht da auf manchen Schals“, so Goldmann.
Sinti und Roma. Nicht erst heute, sondern schon seit Jahrhunderten werden sie unterdrückt, verfolgt, beleidigt – oder sogar ermordet. Und auch Bremen, genauer gesagt der Bremer Schlachthof, wurde bereits in der Vergangenheit zum Ort von radikalem Antiziganismus. Was geschah?
Vom Schlachthof nach Auschwitz
Nachdem Heinrich Himmler im Dezember 1942 mit dem „Auschwitz-Erlass“ die Deportation sämtlicher Sinti und Roma anordnete, begann auch in Bremen die Endphase des Völkermordes. Bremer Kriminalbeamte richteten hierfür im März 1943 auf dem Gelände des Bremer Schlachthofes ein Sammellager für Sinti und Roma ein. Dann begannen die Verhaftungen.
Hans Hesse, Autor des Buches Vom Schlachthof nach Auschwitz, beschreibt die Situation der Gefangenen. „Insgesamt 275 Sinti und Roma aus dem nordwestdeutschen Raum, darunter Frauen, Kinder und Säuglinge, wurden hier meist mehrere Tage gefangen gehalten – bei laufendem Schlachtbetrieb.“
Die Bedingungen unter denen die Sinti und Roma lebten, müssen laut Hesse skandalös gewesen sein. So mangelte es an allem: Nahrungsmittel, Wasch- und Schlafmöglichkeiten sowie Wolldecken für Frauen und Kinder. „Nach tagelanger Gefangenschaft wurden die Sinti und Roma schließlich in Deportationszügen in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verladen“, so Hesse.
In Auschwitz angekommen erwarteten die meisten Sinti und Roma den Tod. Innerhalb kürzester Zeit wurden mindestens 157 Sinti und Roma ermordet, so das Ergebnis aus dem Entnazifizierungsverfahren gegen Wilhelm Mündtraht, damaliger Kriminalsekretär des Bremer „Zigeunerdezernats“. Wie viele von den insgesamt 275 Bremer Sinti und Roma letztlich ermordet wurden, lässt sich heutzutage nicht mehr feststellen.
,,Gypsy-Festival“ greift Geschichte auf
„Heute erinnert eine Gedenktafel auf dem Außengelände des Bremer Schlachthofes daran, was im März 1943 geschah“, berichtet Goldmann. Und auch das Kulturzentrum trägt seinen ganz eigenen Anteil dazu bei, die Geschichte nicht unvergessen zu lassen. Bereits seit über 20 Jahren herrscht zwischen dem Schlachthof und dem Landesverband deutscher Sinti und Roma in Bremen und Bremerhaven eine freundschaftliche Kooperation. Daraus entstanden in der Vergangenheit viele bunte Veranstaltungen rund um das Thema Sinti und Roma – so auch im September 2012.
Mit dem Bremer Gypsy-Festival gaben die Sinti und Roma einen Einblick in ihr Leben: In Alltag, Kultur und Geschichte. „Uns war es vor allem wichtig, dass nicht nur die Konzerte gut besucht sind, sondern das auch die Workshops und Diskussionen wahrgenommen werden“, so Goldmann. Das Gypsy-Festival soll aufgrund der großen Resonanz ab sofort in einem Zweijahresrhythmus stattfinden. „Das nächste Festival wird im Sommer 2014 stattfinden. Dazwischen soll es kleinere Formate geben“, erklärt Goldmann. Ein weiterer, richtiger Schritt im Kampf gegen Antiziganismus und Fremdenfeindlichkeit.
Kevin Ehlers