Er pöbelt, blödelt und flucht – und sein größter Antrieb ist der Wunsch nach Rache. Deshalb ist Deadpool die vielleicht ambivalenteste Heldenfigur im Marvel-Filmkosmos – aber auf jeden Fall die Komischste!
Comicverfilmungen sind ja derzeit so dermaßen en vogue – es grenzt schon an ein Wunder, wenn sich die Anzahl der Superhelden-Trailer in der obligatorischen Kinovorschau vor dem Hauptfilm auf maximal 2 beläuft. Der Marvel Timetable ist bereits bis 2020 gesetzt. Die großen Kollabos stehen ins Haus – so wird Superman schon sehr bald auf einen klobigen, von Ben Affleck gemimten Batman treffen und Jared Leto als Fashion-Punk-Joker beim Suicide Squad mitmischen.
Das Erfreuliche daran ist, dass sich die Studios mittlerweile was trauen. Das Stilmittel der Selbstironie im Heldenfilm ist 2016 keine Seltenheit mehr. Der von Robert Downey Jr. Verkörperte Charakter des Iron Man beispielsweise ist ein Sprücheklopfer vor dem Herrn. Mit Kickass wurde bereits 2010 einem weiteren gar-nicht-so heroischen Held eine äußerst unterhaltsame Kino-Adaption spendiert. Und als sich Marvel entgegen aller Erwartungen dazu entschlossen hat, nach ihrem Bombast-Epos „Avengers 2 – Age of Ultron“ ausgerechnet den Ant Man auf die Leinwände loszulassen, war das auf eine Weise ein weiterer Emanzipationsschritt für den modernen Comicfilm. Diese Entwicklung kulminiert vorerst im neuesten Streich der Marvel-Schmiede: „Deadpool“. Hier wird bereits im wahnwitzigen Vorspann deutlich gemacht, wie ernst sich der Film nimmt, wenn die Opening Credits den Regisseur als „überbezahlten Honk“ vorstellen und auch mit dem Rest der Verantwortlichen wenig zimperlich ins Gericht gehen. Und die hier vorgegebene Schlagrichtung wird konsequent durchgezogen.
Worum geht’s?
Als sich Wade Wilson (Ryan Reynolds), Söldner mit besonders flapsigem Mundwerk, in die Prostituierte Vanessa (Morena Baccarin) verknallt, scheint noch alles paradiesisch. Kurz darauf ist dann jedoch nichts mehr, wie es war, denn bei Wade wird ein unheilbarer Krebs diagnostiziert. Als ein zwielichtiger Anzugträger ihm von einer Methode erzählt, die ihn vielleicht retten könnte, winkt Wilson zunächst ab. Doch nach einem nächtlichen Sinneswandel setzt er sich der schmerzhaften und gefährlichen Mutationsprozedur unter der Hand des sadistischen Ajax (Ed Skrein) aus. In Folge des Experiments ist zwar der Krebs geheilt, doch Wilson wurde durch Ajax Folter auch furchtbar entstellt. Um Vanessa mit dieser Fratze nicht unter die Augen treten zu müssen, macht er sich auf die Jagd nach Ajax, damit dieser ihn kuriert und im Anschluss für seine Schurkentaten mit dem Leben büßt. Selbst der X-Man Colossus nebst Sidekick Negasonic Teenage Warhead haben ihre liebe Mühe, Deadpool auf den heldenhaften Pfad der Tugendhaftigkeit zu lotsen.
Experiment geglückt?
Deadpool ist der bisher wohl anarchischste Marvel Film und nimmt sich zu keiner Sekunde so wirklich ernst. Das ist eine erfrischende Abwechslung zum hyperintensiven Effektgeballer, das man vielleicht von den Avengers-Filmen gewohnt ist. Der angeschlagene Tonfall ist es allerdings auch, der dem Film in seiner ersten Hälfte ein paar erzählerische Hänger verschafft, eben weil hier auf Linearität gepfiffen wird. Genug zu lachen gibt’s aber trotzdem, denn Deadpools unentwegte Sprücheklopferei sowie die wiederholten Einschübe, bei denen sich der Held direkt an sein Publikum wendet (ein Kniff, der übrigens von den Comics übernommen wurde), halten den Zuschauer dennoch bei Laune. Es wird parodiert, persifliert und wüst geballert, bis das Blut spritzt. Hierbei macht Ryan Reynolds in seiner Rolle als Anti-Held einen tollen Job, verschafft Deadpool an den entscheidenden Stellen den nötigen Tiefgang, lässt aber die meiste Zeit vor allem die zotenklopfende Arschloch-Komponente der Figur raushängen – und verzichtet glücklicherweise hiermit auf das Diktat gängigster Mainstream-Konventionen. So gerät Deadpool zu einer erfrischend unverkopften Trash-Comedy mit tollen Effekten und einer Vielzahl wirklich gelungener Gags. Auch Morena Baccarin spielt Vanessa als selbstbewusste Femme Fatale, die dem Hauptcharakter in ihren Szenen mühelos auf Augenhöhe begegnen kann. Ed Skrein hingegen mimt seinen Antagonisten Ajax vor allem in den düsteren Foltersequenzen mit bedrückender Kälte.
Fazit
Laut, bunt, blutig: Deadpool ist pures Rock’n’Roll-Kino für Fans des abseitigen Superheldenkinos. Fortsetzung erwünscht!
Von Marian Rossol
Bildquelle: Twentieth Century Fox