Cyberpunk 2077 ist endlich draußen, wenn auch nach drei Verschiebungen seitens des Entwicklers CD Projekt Red. Ein Grund zur Freude – oder? Ob das Game den Erwartungen gerecht wird und ob sich der Kauf trotz der lauten Kritik lohnt, diskutiert unsere Autorin in diesem Review.
5 Jahre nach CD Projekt Reds RPG-Meisterwerk „The Witcher 3 – Wild Hunt“ hat es nun auch der nächste große Titel des Studios in die Läden geschafft. Bereits als 2018 auf der Messe E3 der erste größere Trailer zu Cyberpunk 2077 veröffentlicht wurde, kam der Hype-Train richtig ins Rollen. Verständlich – denn nachdem The Witcher 3 gezeigt hatte, wie ein Open-World RPG funktioniert, war die Messlatte hoch angesetzt. Einige Gameplay-Trailer und Auftritte von Keanu Reeves später schien das Spiel fast zu schön um wahr zu sein. Sollte euch die grobe Handlung sowie das Setting bekannt sein, könnt ihr den folgenden Absatz überspringen. Doch für alle anderen, zuerst einmal: Worum geht es überhaupt?
In dem bereits 2013 angeteaserten Cyberpunk 2077 spielt ihr einen, wahlweise männlichen oder weiblichen, Söldner namens V. Dieser erhält den Job mit seinem Kumpel einen Biochip eines großen Konzernes zu entwenden. Da dies allerdings gewaltig nach hinten los geht endet ihr mit der digitalisierten Version des sturen Rockers Johnny Silverhand (gespielt von Keanu Reeves) im Kopf in der „Stadt der Träume“ Night City, in der das Leben nur selten traumhaft ist. Jetzt geht es ums Überleben: In der weitläufigen Open-World müsst ihr herausfinden, wie es nun weitergeht und trefft dabei, wenn ihr wollt, auf einige interessante Charaktere und Geschichten. Das „wenn ihr wollt“ steht dabei im Vordergrund, denn je nach dem was ihr in Night City erlebt, variieren die Enden des Spiels.
Never change a running system
Doch im Spiel angekommen merkt man sofort: Diese Geschichte erzählt CD Projekt Red. Jeder Charakter fühlt sich einzigartig an, die Dialoge sind auf den Punkt und selten nehmen Spiele einen nach wenigen Stunden emotional so mit.
Auch die Chemie zwischen V und Johnny ist stimmig. Letzterer steckt ständig seine Nase in Vs Angelegenheiten, was oft lustig ist, aber manchmal auch ernsthaft, melancholisch oder traurig.
Wie schon bei The Witcher 3 nehmen die spannend gestalteten Nebenquests einen Großteil des Spieles ein. Ohne viel zu spoilern, könnt ihr beispielsweise einem prominenten Ehepaar helfen eine verzwickte Verschwörung aufzudecken oder mit einem eher eigenständigen Polizisten einige Jugendliche aus wirklich gruseligen Zuständen befreien. Es ist möglich in gut 20 Stunden strikter Hauptstory das Ende zu sehen oder, wie ich, nach 50 Stunden noch nicht einmal bei der Hälfte zu sein.
Auf meiner Reise habe ich mich das ein oder andere Mal dabei erwischt, wie ich minutenlang die Skyline von Night City bewundert habe, denn grafisch und vom Detailgrad her ist die Umgebung eine Wucht. Die Orte haben Sinn und Wiedererkennungswert und mit dem Motorrad durch die Straßen zu jagen macht einfach Spaß. Besonders mit Untermalung durch den grandiosen Soundtrack. Die ganzen 11(!) Radiosender reichen von Industrial Rock, über Metal bis zu Jazz. Alle Lieder wurden von verschiedenen Interpreten extra für das Spiel komponiert. Das Kampfsystem ist in Ordnung und macht vor allem im Stealth-Modus Laune, mit einem Shooter oder Fighting-Game darf man es allerdings nicht vergleichen.
Wer A sagt muss auch B sagen
Neben technischen Schwierigkeiten, die gleich noch einmal zur Sprache kommen, gibt es trotz viel Lob auch Kritik. Die überall in der Spielwelt verteilten Fixer- oder NCPD-Aufträge sind bis auf ein paar Ausnahmen einfach stumpfe Füller, um an etwas Cash zu kommen. Nur selten werden dabei interessante Storys erzählt. Auch wirkt die Stadt für eine überfüllte Megalopolis zu leer. Es sind zwar viele Leute und Vehikel unterwegs, zahlenmäßig allerdings eher auf dem Level von Hamburg. Und trotz sehr guter Quests sind einige davon nicht immer schlüssig zu Ende erzählt. Außerdem bleiben die meisten Orte verschlossen, bis euch eine Quest hineinführt.
Ein weiterer Kritikpunkt sind die gestrichenen Features. Wo man vor gut einem Jahr noch deutlich detailliertere Möglichkeiten zur Gestaltung von V’s Vorgeschichte hatte, stehen jetzt nur 3 Lebenswege zur Wahl, welche (bisher) auch nur die ersten 20 Minuten und ein paar wenige Gesprächsoptionen verändern. Die Einschnitte rühren vermutlich daher, dass an dem Projekt nur rund 500 Entwickler beteiligt waren, während an vergleichbar großen Spielen, wie The Last of Us Part 2 ganze 2000 Menschen gearbeitet haben.
Technisch ein Desaster
Nichts hat in der Gaming-Welt in letzter Zeit für mehr Furore gesorgt als der verpatzte Release von Cyberpunk 2077. Und doch: Bei meinen 50 Spielstunden störten Bugs meist nicht die Immersion. Bis auf eine sich festgefahrene Quest, einige FPS-Drops oder kleine optische Fehler lief Cyberpunk technisch in Ordnung. Allerdings rede ich hier über meine persönliche Erfahrung mit der PC-Version auf einem High-End PC.
PS4 und Xbox One Spieler schauen da nämlich leider in die Röhre. Während das Game auf den Next-Gen Konsolen PS5 und Xbox Series X bisher gut läuft, ist Cyberpunk auf den Last-Gen Konsolen technisch ein Desaster. Neben der allgemein schlechten Performance mit matschigen Texturen, niedrigen FPS und langen Ladezeiten reihen sich allerhand Bugs und Glitches, die das Spiel teilweise unspielbar machen. Ein paar Beispiele dafür sind glitchende, zufällig auftauchende oder verschwindende Objekte und Charaktere, das Feststecken des Spielers oder fehlerhaft abgespielter Dialog. Und auch die häufigen Spielabstürze können für Frust sorgen. Bugs mit Humor zu kaschieren, wie es noch bei The Witcher 3 der Fall war, ist hier schlicht nicht mehr möglich.
Allerdings hat der technische Zustand des Spiels bereits zu Konsequenzen geführt. Neben diversen Gaming-Redaktionen, welche eine Kaufwarnung für die PS4 und XBox One Versionen ausgesprochen haben, hat Sony nun die digitale Version von Cyberpunk 2077 vorläufig aus dem Playstation Store entfernt. CD Projekt verspricht jedoch Besserung in Form von Patches und will unzufriedenen Spielern sogar dabei helfen, ihr Geld zurückzubekommen.
Das heißt?
Wer Cyberpunk 2077 spielen möchte, sollte PS4 und Xbox One meiden und die PC-Version wählen. Wer bereits eine PS5 oder XBox Series X sein Eigen nennt kann ebenfalls zugreifen oder warten bis 2021 die Next-Gen Updates kommen, welche dem Spiel auf den neuen Konsolen Raytracing und Grafikupdates bescheren. Wenn ihr eure Version gefunden habt, wartet ein detailverliebtes Spiel mit spannenden Geschichten und einer Spielwelt auf euch, die den Maßstab für die nächste Spielegeneration setzt – wenn es dann technisch läuft.
Von Shajana Reuter