Wie würde eine Stadt aussehen, in der Nachhaltigkeit und Lebensqualität perfekt harmonieren? Bremen im Jahr 2038 ist eine Stadt im Wandel, die vor großen Herausforderungen steht. Auf meinem Spaziergang durch die Hansestadt versuche ich ein Bild zu entwerfen, wie diese Zukunft aussehen könnte.
Es ist das Jahr 2038, und Bremen hat sich in eine Stadt verwandelt, die ihrer Zeit weit voraus ist. Die Idee einer nachhaltigen, lebendigen Innenstadt nimmt hier Gestalt an. Die morgendliche Sonne färbt die Dächer der typischen roten Backsteinhäuser in warmes orange-goldenes Licht, während ich mich auf den Weg mache, einen Tag in dieser sich im Wandel befindenden Stadt zu verbringen.
Den Weg zur Klimaneutralität beschloss die Hansestadt bereits im Mai 2022. Herausgearbeitet wurden die Maßnahmen und Ansätze von einer Klimaenquettekommission. Dieser Kommission gehörten neben den Politiker*innen der Regierungsparteien ebenfalls fachkundige Wissenschaftler*innen und Expert*innen an. Mittlerweile wurde aus den Ergebnissen der Kommission eine Klimaschutzstrategie entwickelt, deren Maßnahmen teilweise im Bremischen Klimaschutz- und Energiegesetz verbindlich festgehalten sind.
Mit den Öffis in die Stadt
Schon bei der Anreise zeigt sich, wie viel sich hier geändert hat. Ich entscheide mich für die Straßenbahn, um in die Innenstadt zu kommen, deren Haltestellen modern und hell gestaltet sind. Die Wände der Stationen sind grün mit Pflanzen bewachsen, die nicht nur dekorativ sind und ein lebendiges, gesundes Stadtbild vermitteln, sondern auch die Luftqualität verbessern.
Neben der Verpflichtung zu klimaneutraler Nutzung der stadteigenen Gebäude und Flächen durch die Anbringung von Photovoltaik an Gebäudefassaden, Neubau nur mit ressourcenschonenden Materialien, gehört auch die Gebäudebegrünung zu den Empfehlungen der Enquettekommission. Mehr Straßenbäume, begrünte Verkehrsinseln, sowie eben auch die Begrünung von Bahn- und Buswartehäusschen dienen der Erholung, der Bewahrung von biologischer Vielfalt, auch in Städten, sowie der Frischluftzufuhr. Neue Fassaden sollen zum Zwecke des Hitzeschutzes nur mit hellen Baumaterialien gebaut werden. Die Empfehlung der Enquettekommission, die im Aktionsplan Klimaschutz verpflichtend festgehalten wurde, ist eine Kombination aus Dachbegrünung und Solaranlagen.
Dank des deutlich gesenkten Fahrpreises für Tickets in die Innenstadt ist die Bahn voll besetzt, aber dennoch angenehm ruhig. Anstelle des hektischen Autoverkehrs höre ich das leise Surren der elektrischen Straßenbahn, die angeregten Gespräche der Menschen in der Bahn und das Zwitschern der Vögel, sobald sich die Türen öffnen.
Auch die Bremer Verkehrsgesellschaft BSAG, die für den städtischen Personennahverkehr zuständig ist, verpflichtete sich bis 2038 klimaneutral auf den Bremer Straßen unterwegs zu sein. Die Straßenbahnen fahren bereits mit Ökostrom und die Busflotte der BSAG wird auf Elektrobetrieb getauscht. Der emissionsfreie Stadtverkehr steht allerdings auch vor Herausforderung, wie der Notwendigkeit des Umbaus von Betriebshöfen, da die bestehende Infrastruktur noch nicht ausreichend ist, um alle Busse mit ausreichender Stromladung zu versehen.
Klimaverkehr statt Autoverkehr
Als ich an der Haltestelle Schüsselkorb in der Innenstadt ankomme und in Richtung Domshof gehe, breitet sich vor mir eine grüne Oase aus. Die einst von Asphalt und Beton dominierte Stadtmitte ist heute von großzügigen Grünflächen durchzogen, die zum Verweilen einladen. Schon um diese frühe Uhrzeit sehe ich Menschen, die auf Bänken unter Bäumen sitzen oder über die Rasenflächen schlendern. Kleine Blumenbeete säumen die Wege und Straßen, die jetzt ausschließlich zu Fuß Gehenden und Radfahrenden vorbehalten sind. Autos sind hier Fehlanzeige. Stattdessen gibt es noch breitere Fahrradwege, die einen die Stadt in kürzester Zeit komplett durchqueren lassen. In unterirdischen Fahrradtiefgaragen, die innovativ und gleichzeitig platzsparend und ökologisch gestaltet sind, parken Hunderte von Fahrrädern. Neben einer Vielzahl an Möglichkeiten die Batterie des E-Bikes zu laden, lässt sich hier auch im Handumdrehen ein Fahrrad oder Roller ausleihen. In der Bremer Innenstadt gibt es keine Hektik mehr, nur entspannten Genuss. Die Straßenbahn fährt mittlerweile durch eine andere Nebenstraße und nicht mehr durch die zentrale Obernstraße. Die Autos wurden gleich ganz aus der Innenstadt verbannt.
Die Umgestaltung der Innenstadt, insbesondere des Domshofs steht schon länger auf der Agenda des politischen Treibens in Bremen. Wie schwer die Einigung auf ein Konzept ist, sieht man an den Versuchen der vergangenen Jahre. Immer wieder gibt es Konzepte zur Umgestaltung, die dann in Kritik geraten, um schlussendlich doch nicht umgesetzt zu werden. Wie zuletzt ein Konzept mit großer Fahrradtiefgarage, das die ansässigen Einzelhändler*innen und Vereine der Denkmalpflege ablehnten. Die Entsiegelung von Flächen soll hier zum Erhalt und weiteren Ausbau der Grün- und Freiflächen beitragen. Die klimagerechte Stadtentwicklung sieht durch eine Reduzierung des Parkraums eine Erweiterung des Raums für Rad- und Personenverkehr vor. Ab 2030 soll die Innenstadt Bremens autofrei sein. Durch Taktverdichtungen der Linien der BSAG, sowie der Integration von bedarfsorientierten Mobilitätsangeboten wie Bike- und Carsharing, soll die Mobilität der Bürger*innen jedoch nicht eingeschränkt werden. Eine autofreie Innenstadt, die so oft gefordert wird, trägt allerdings laut Kommission nicht unbedingt viel zum Klimaschutz bei, da bereits eine sehr gute Anbindung der Innenstadt durch den ÖPNV besteht. Stattdessen sollte lieber der ÖPNV im Umland ausgebaut werden, damit dieser dort attraktiver wird und in den innenstadtferneren Gegenden auf Autos verzichtet werden kann. Eine autofreie Innenstadt wäre, wenn sie denn kommt, nur ein wichtiger Beitrag zur Attraktivitätssteigerung der Innenstadt und würde Platz machen für weiteren Einzelhandel und Gastronomie. Der erste Schritt in diese Richtung wurde mit dem Beschluss zum Abriss des Parkhauses Mitte schon getan. Im Neubau soll Platz sein für Wohnungen und neue Geschäfte.
Leerstand – Der Einzelhandel in der Krise
Ich bummle durch die kleinen Geschäfte, die mit ihrem vielfältigen Angebot jeden Geschmack treffen. Es gibt Läden, die nachhaltige Mode und Kosmetik anbieten, und andere, die auf lokale Handwerkskunst spezialisiert sind. Die großen Handelsketten sind gewichen für individuelle Concept Stores und Pop-Up-Shops, die mit kreativen Ideen frischen Wind in die Innenstadt bringen und sowohl Bremer*innen als auch Tourist*innen hierherlocken.
Mittags zieht es mich zum traditionellen Wochenmarkt auf dem Domshof, der mittler-weile das Herz der Stadt ist. Dieser ist nicht nur größer als früher, sondern auch viel-fältiger. Zwischen den Ständen mit frischem Obst und Gemüse aus der Region, duftet es nach frisch gebackenem Brot und exotischen Gewürzen. Der neu gestaltete Markt-platz lädt durch seine zahlreichen Sitzgelegenheiten zum Verweilen nach dem Einkauf ein. Auf den begrünten Flächen sitzen Menschen mit Kaffee in den Händen und die ersten Bremer*innen genießen ihre Mittagspause in der Sonne mit einem Snack der vielfältigen, internationalen Auswahl des Marktes in der Hand. Die Menschen unterhalten sich miteinander und wirken zufrieden, fast wie auf einem kleinen Dorfplatz – die Innenstadt als Treffpunkt für alle.
Die Realität in Bremen sieht insbesondere aus Einzelhandelssicht eher düster aus. Ein Geschäft nach dem anderen verlässt die Innenstadt. Die Mietobjekte stehen dann monatelang leer. Neben fehlenden Geschäften lädt auch die kaum vorhandene (Außen-)Gastronomie nicht wirklich zum Verweilen in der Innenstadt ein. Ebenfalls wurden die Überlegungen zur Verlegung der Straßenbahn in die Martinistraße, um eine sichere und attraktive Fußgängerzone zu haben, inklusive rollender Köpfe im Senat, anschließend verworfen. „Zu teuer“ waren am Ende die letzten Worte in dieser Debatte
Die Innenstadt als Zentrum von Kultur?
Nach einer kleinen Pause auf einer der zahlreichen neuen Sitzgelegenheiten – jede umgeben von bunt bepflanzten Kübeln, setze ich meinen Weg fort in Richtung Weser-promenade. Am Nachmittag wartet das abwechslungsreiche, bunte Kulturprogramm auf mich. Seit die Universität in die Innenstadt expandiert ist und bezahlbarer Wohn-raum geschaffen wurde, ist das Leben hier spürbar jünger und lebendiger geworden. Kleine Galerien und Ateliers haben sich in ehemaligen leerstehenden Gebäuden an-gesiedelt, und die Straßen sind erfüllt von Musik, Kunst, Kreativität und auffällig vielen jungen Menschen. Eine kleine Open-Air-Bühne am Ufer der Weser zieht Tourist*innen und begeisterte Zuhörer*innen an, die sich auf den Grasflächen niederlassen und den Klängen der Bands lauschen. Regelmäßig finden hier Kulturveranstaltungen statt, die von Studierenden und der Stadt gemeinsam organisiert werden und das kulturelle Le-ben der Stadt bereichern.
Die Bemühungen der Innenstadt neues Leben durch Kulturveranstaltung einzuhauchen, funktioniert zumindest der Quantität an Veranstaltungen nach zu urteilen, schon ganz gut. La Strada, Open Space Domshof, Musikfest, HOEG-CitySommerFest sollen im Sommer die Menschen in die Innenstadt locken. Jedoch werden auch kritische Stimmen von Veranstaltern laut, die sich dazu gezwungen sehen ganze Feste absagen aufgrund fehlender Sicherheit im Innenstadtbereich. Auch der Umzug einiger Fachbereiche der Universität in leerstehende Gebäude in der Innenstadt gelang erfolgreich und trägt zu mehr, vor allem jüngeren Menschen in der Stadt bei.
Eine Stadt mit Zukunftsgedanken
Zum Abschluss meines Tages schaue ich noch einmal zurück auf diese Stadt. Hier, wo aktuell Asphalt, Autos und leerstehende Gebäude dominieren, soll ein Ort der Begegnung und der Natur entstehen. Die Pläne für neue Wohnräume, die es den Menschen ermöglichen, mitten in einer lebendigen Stadt zu wohnen, sowie grünen Gärten auf den Dächern die als Gemeinschaftsflächen dienen, während die Straßen darunter von Leben erfüllt sind, klingen erst einmal gut, doch ihre Umsetzung ist noch in weiter Ferne. Bremen muss sich also ranhalten, um seine Ziele zu erfüllen. 2038 ist nicht mehr allzu weit entfernt und die Klimaschutzstrategie sehr ambitioniert. Oberste Priorität in Bremen sollte wohl der Ausstieg aus der Kohle sein, da die ansässige Stahlindustrie hier ungefähr die Hälfte aller CO2-Emmissionen ausmacht. Wie gut und schnell dieser Ausstieg realisiert werden kann, bleibt abzuwarten.
Ein letzter Blick in meinen Tag im utopischen Bremen 2038: Die Stadt hat sich neu gefunden: Eine Stadt, die nicht nur lebt, sondern auch atmet – grün, nachhaltig und voller Leben. Die Ideen sind hier zur Realität geworden. Bremen ist ein Vorreiter nach-haltiger Stadtentwicklung geworden. Ein Ort, an dem Zukunft, Nachhaltigkeit und Tradition zusammen funktionieren. Und während ich mich auf den Heimweg mache, weiß ich, dass ich bald zurückkehren werde, um mehr von dieser Stadt zu entdecken, die ihren Menschen eine lebenswerte Welt schenkt.
von Jessica Mertens