Ist die Regionalliga das “Missing Link” für Fußballfans, die ein gutes Spiel und eine tolle Atmosphäre erleben möchten, sich aber von Übervermarktung und Überbezahlung lossagen wollen? Mit einem Spiel des Bremer SV bietet sich die perfekte Bühne, um dem nachzugehen.
Sonntag, der 14.05.2023. Es ist 15 Uhr und ein Duft aus Bier, Würstchen und Schweiß liegt in der Luft. Was nach einem sommerlichen Nachmittag bei einem Familientreffen in der Kleingarten Parzelle unsere Onkel klingt, entpuppt sich als das Stadion am Panzenberg, die Heimat des Bremer Sportvereins.
Vor dem Betreten der Spielstätte wird durch Ordner der Weg gewiesen. An einem Backsteinhäuschen angelangt wird für einen Stehplatz 8 Euro und für einen Sitzplatz 10 Euro verlangt. Ist ein Rollstuhl mit von der Partie so sind nur 4 Euro zu zahlen.
Fußball in Bremen Walle
Nach dem Erwerb des Tickets liegt rechts der kompakte Bau des Vereinsheims. Hier sind die Kabinen und Toiletten untergebracht. Zudem auch das Lokal, wo der Wirt die Luft aus dem Glas macht und die Wände mit vergangenen Titeln, Trophäen und blau-weißen Schals geschmückt sind.
Ein anderer Ort wo es Essen und Trinken gibt sind die Buden auf dem Weg zum Spielfeld. Trikots können hier erworben werden, Pommes wandern im Tausch gegen Geld über eine Theke und Frikadellen gibt es auch in veganer Variante. Neben dem Bier beim Wirt kümmern sich 4 Menschen auch außerhalb des Lokals um die durstigen Fans.
Das Spiel beginnt
Die Regionalliga Nord begeht den 36. Spieltag und beim Bremer SV gastiert Blau-Weiß Lohne. Um die 700 Zuschauende haben sich zusammen hier eingefunden, um 90 Minuten dieses Fußballspiel zu erleben. Die treppenartigen Tribünen umarmen den grünen Teppich an den langen Seiten des Feldes. Manche verfolgen das Geschehen überdacht und von einer Sitzschale aus, andere Stehen in der prallen Sonne auf der Gegengerade.
Der Himmel gleicht einem blauen Meer, in dem sich immer wieder weiße Inseln verirrt haben. Wie damit abgestimmt betreten die beiden Mannschaften in blauer und weißer Spielkleidung das Feld und der Schiedsrichter gibt das Spielgerät frei.
Anfeuerungschöre ertönen, Fahnen werden geschwenkt. Die Anhänger peitschen ihr Team nach vorne, doch das, was sie selbst antreibt, alle 2 Wochen hier zu einem Regionalliga Verein zu gehen, das ist die Frage, der ich in diesem Text nachgehen will.
“Ich wohne in Walle.”
Michael, Fan des Bremer SV
Ich habe begonnen mich durch das Stadion zu fragen. 3 Reihen über mir und 70 Meter nach rechts habe ich den ersten Fan getroffen, Michael. Ich frage ihn, weshalb er heute zum Bremer SV gekommen ist. “Also ich wohne in Walle.”, sagt er, doch früher kam er öfter. Jetzt hat er nicht mehr so viel Zeit dafür.
Er schaut den BSV aber nicht nur aus Heimatverbundenheit, sondern auch wegen der anderen Atmosphäre, denn hier ist die Fannähe gegeben. Nicht nur zu Spielern, nein auch zum Platz selber. Luftlinie unseres Gesprächs zur Grasnarbe ca. 10 Meter.
Sinnbildlich für die Nähe des Vereins zu den Menschen ist die Lage des Stadions, es liegt inmitten einer Wohnsiedlung. Anwohnerinnen und Anwohner könnten so, wenn sie wollten aus den Fenstern unter dem Dach, die Partien des BSV verfolgen.
Beim Bundesligist SV Werder Bremen ist das Schauen etwas anderes. Ist keine der seltenen Dauerkarten im Besitz, so ist Glück vonnöten, um Zugang zum Stadion zu erhalten, denn die Tickets werden unter den Nachfragenden ausgelost. Der dann erhaltene Platz ist oft eher dann im Oberrang der Spielstätte angesiedelt. Hier beträgt die Entfernung zum Rasen dann deutlich mehr als 10 Meter.
Ein Schuss, kein Tor!
Der Kampf um den Ball auf der Wiese vor mir scheint ausgeglichen zu sein. Beide Teams drücken auf Chancen, doch die Hausherren setzen mit mehr Elan nach, was früh in der Partie schon zu mehreren Ecken geführt hat, welche aber bisher noch nicht mit einem Tor gekrönt wurden.
Die Fans aber wechseln minütlich ihren Gesang und gehen immer wieder auf die sich gerade präsentierende Spielsituation ein.
“Hier heult keiner und rollt sich auf dem Boden herum”
Andreas, Fußball-Scout
Den zweiten Fan fand ich etwa auf Höhe der Torauslinie am anderen Ende des Platzes, weitab von dem Gedränge der fanatischen Anhänger des BSV. Andreas ist sein Name. Er schaut das Spiel heute nicht aus Überzeugung zum Club, wegen eines Spielers oder aufgrund der gewissen Atmosphäre. Andreas arbeitet von der Tribüne aus.
“Ich bin Scout und tingel hier von Spiel zu Spiel rum!” sagt er, lacht und schaut den Spielern beider Vereine wieder bei der Arbeit zu. Ich hake nach was er für ein Scout sei. Andreas analysiert das Spielgeschehen und scoutet Taktiken und Fußballrelevante Daten. Er vertritt also keinen Verein und scoutet, um den besten Spieler zu suchen.
Sein Job begrenzt ihn nicht auf die Regionalliga doch für mich war es trotzdem wichtig zu wissen, was er meint, was die 4. Liga besser kann als die Bundesliga. Er lacht und zeigt auf den Platz: “Hier heult keiner und rollt sich auf dem Boden herum!”. Der Profifußball bringt laut ihm keine guten Vorbilder hervor. Zu früh zu viel Aufmerksamkeit und zu viel Geld machen für ihn den Sport und die die ihn ausführen, kaputt.
Privat schaue er auch nur Fußball im Stadion, ausschließlich die Regionalliga. Denn Andreas will den Kommerz der 1. und 2. Bundesliga nicht unterstützen. Nicht mit einem Besuch zum Beispiel im Weserstadion, wo eine Dauerkarte für die Stehtribüne 202 Euro für Vollzahlende und 130 Euro in der ermäßigten Variante kostet. Zum Vergleich, beim BSV liegt der Preis für eine Stehplatz Dauerkarte bei 100 Euro und ermäßigt bei 80 Euro. Das ist immer noch viel Geld, aber die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich das Erlebnis Stadion zu bekommen ist größer als zum Beispiel bei Werder Bremen.
Für Andreas kommt auch das Schauen der Spiele auf Sky, DAZN und etc. nicht infrage, da die großen Vereine so auch vom TV-Geld profitieren würden. Denn akkumuliert, um alle möglichen Partien der Saison der 1. und 2. Bundesliga im Fernsehen schauen zu können, müsste ein Betrag in Höhe von 44 Euro an die Anbieter gezahlt werden.
Das erste Tor der Partie
In der 50. Spielminute gehen die Gäste in Führung. Um mich herum verstummt kurz das Gegröle der Anfeuerungsrufe. Fans und Mannschaft müssen sich von dem Gegentreffer erst einmal erholen. Doch mit einem neuen Gesang von den Rängen der BSV-Anhänger und dem Anpfiff des Schiedsrichters nach dem Tor, nimmt auch die 11 auf dem Rasen den Spielbetrieb wieder auf.
“It´s a nice club with good people!”
Sue, Mutter eines Bremer SV-Spielers
Ich spreche ein Paar an und frage sie wie sie die Atmosphäre aufnehmen und wie ihnen das Regionalliga-Stadion gefällt. Ich werde verdutzt angesehen. Die Antwort folgt auf Englisch. Ich tue es ihnen gleich und wiederhole mein Anliegen auf Englisch.
Für Dan und Sue ist es das erste Mal, das sie die Hansestadt besuchen und das erste Mal, dass sie den Bremer SV im Stadion besichtigen. Sie kommen aus Irland und ihr Sohn ist Spieler des Vereins. Sue gefällt es hier sehr gut: “It´s a nice club with good people!”, sagt sie während Dan ihr ihre Apfelschorle anreicht. Ich gehe nochmal darauf ein, wie sie das Stadion finden, Sue antwortet direkt mit: “It has a lovely atmosphere. Even if we watch it on livestream, you can hear the fans shouting!”.
Ich wende mich nun Dan mehr zu und frage ihn wie er die vierte Liga findet. Für Dan ist die Regionalliga toll, obwohl er sich natürlich das Beste für seinen Sohn wünscht, was für ihn und Sue die höchstmögliche Spielklasse ist. Aber er gibt an, dass für ihn ein Club wie der BSV ehrlicher ist als zum Beispiel ein Verein, der in der 1. Liga spielt.
VAR und der wirkliche Jubel
Doppelschlag. Der Ausgleich fällt in der 69. Minute des Spiels, 2 Minuten später helfen die Gäste per Eigentor nach und bringen die Bremer in Führung. Das heißt Riesenjubel beim Bremer SV und hängende Köpfe bei BW Lohne. Doch diese Entscheidungen und die daran hängenden Emotionen lassen sich sind genauso nur noch hier finden. In der Bundesliga gibt es nämlich seit der Saison 17/18 ein großes Streitthema: den Videobeweis. Wenn sich dort ein Fan freut, ist es meist nur ein halbgares Jubeln, denn es besteht immer ein gewisses Risiko, dass bei wichtigen Ereignissen, wie einem Tor noch einmal der Videoschiedsrichter eingreift.
So ist es hier nicht. Die Ränge toben und auf dem Platz bildet sich eine euphorische Traube aus den Spielern des Bremer Sportvereins.
“Es gibt hier keine Ausschreitungen, hier kannste mit deinen Kindern hinkommen!”
Silke, Barkeeperin beim Bremer SV
Die Menschen, die in der Bude arbeiten, die das Bier bereitstellt, haben ihre eigene Geschichte, warum sie hier beim BSV gelandet sind. Manche haben bei Werder bereits in einem Stadionkiosk gearbeitet und andere sind quereingestiegen.
“Mathias hat hier angefangen und uns dann nach und nach alle hergeholt.”, sagt Silke, zapft zwei Pils und stellt sie einem durstigen Fan auf den Tresen. Nachdem dieser bezahlt hat, führt sie ihren Punkt weiter: “Hier kannst du mit deinen Kindern hinkommen, hier gibt’s keine Ausschreitungen.”, und das ist eine gute Beschreibung dessen, was alle die hier am Bierwagen arbeiten, geschlossen sagen und weshalb sie auch geblieben sind. Es ist das familiäre des Vereins, was sie hier hält. Da ein Schnack, hier ein Scherz und dann ein Tor. Alles hier am Panzenberg.
Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann?!
Es ist also als Resümee festzuhalten, dass sich zwischen viel Geld und dem wie Michael es sagt “Fußball so wie wir ihn kennengelernt haben” 3 Ligen befinden.
Eine Entfremdung von den Akteuren auf dem Platz zu denen auf den Rängen herrscht vor, zudem sind die Ticketpreise und das Schauen von 1. und 2. Bundesliga im TV eine Diät für den Geldbeutel.
Doch was als Sinnbild, als Paradebeispiel für den Unterschied, das wahre Erlebnis vom Fußball steht, ist das Fehlen des Videobeweis in der Regionalliga.
Zum Rasenduft, zum Bier in Plastikbechern, zu den harten Grätschen gesellt sich das, was den Fußball ausmacht, warum er so geliebt wird. Denn hier in der Regionalliga bleibt eine Entscheidung eine Entscheidung. Ein Tor bleibt ein Tor. Eine Emotion bleibt eine Emotion.
Von Linus Winter
Anmerkung der Redaktion:
Dieser Artikel wurde vor den Geschehnissen des 38. Spieltags geschrieben. An diesem letzten Spieltag in der Regionalliga Nord kam es in der Partie des Bremer SV und Teutonia Ottensen nach Aussage des Gästeteams zu einer rassistischen Äußerung seitens eines Spielers des BSV gegenüber einem Spieler der gegnerischen Mannschaft.
Teutonia Ottensen ging danach geschlossen vom Feld. Die Schiedsrichter und das Team der Bremer geben an, diese Aussage nicht gehört zu haben. Das Spiel wurde 5:0 für den BSV gewertet, der sich so in die Relegation gerettet hat und die Klasse durch diese 2 Spiele sogar gehalten hat.
Der Abstieg der 2. Mannschaft von Werder Bremen aus der Regionalliga ist somit besiegelt.