Glitter, Glanz und bunte Gestalten. Völlig ahnungslos besuchte unsere Redakteurin das Musical “Kinky Boots” auf der Reeperbahn und wurde in eine Welt voller gestandener, breitschultriger Männern mit tiefen Stimmen entführt, die auf ihren High Heels eine flotte Sohle aufs Parkett legen.
Überall wirbeln grelle Lichter und bunte Gestalten um mich herum, als ich auf der Reeperbahn aus dem Auto steige. Völlig ahnungslos hatten wir uns auf den Weg zum Operettenhaus gemacht, ohne zu wissen was uns erwarten würde. „Kinky Boots“ sagte mir nichts, hörte sich aber lustig an, sodass ich das Theater vorfreudig betrat.
Die Lichter gehen aus in dem eher kleinen, gemütlichen Theatersaal und die Show beginnt sofort. Meine einzige Information war, dass das Musical von Harvey Fierstein auf einer wahren Begebenheit beruht und bereits verfilmt wurde. Die erste Überraschung lässt nicht lange auf sich warten, denn die Songs, geschrieben von Cindy Lauper, werden auf deutsch performt. Es dauert nicht lange, sich daran zu gewöhnen, da die Story die volle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Auf den Schuh gekommen…
Es wird die Geschichte zwei kleiner Jungs erzählt, die im selben Ort der Midlands, England, aufwuchsen. Der eine ist Charlie Price, Sohn eines Herrenschuhverkäufers, der andere Simon, der Boxersohn mit einer besonderen Vorliebe für Frauenschuhe. Zunächst folgt die Handlung Charlie, der versucht das schlecht laufende Geschäft wiederzubeleben. Verzweifelnd nach einer Lösung suchend, fährt Charlie nach London, wo ihm die rettende Idee kommt.
Bei einem Überfall lernt er Simon, aka Lola kennen. Durch ihn lernt er die Welt der Dragqueens kennen und erfährt schließlich von ihrem Schuhproblem.
Zurück in den Midlands entwickelt sich daraus eine Geschäftsidee: Frauenschuhe für Männer zu entwickeln, die deren Körpergewicht tragen könnten. Die Idee birgt ein Risiko, da die neuen Schuhe nur ein Nischenprodukt wären. Dennoch will Charlie versuchen, die Fabrik seines Vaters so vor dem Ruin zu retten.
Schnell wird klar, dass Charlie keine Ahnung von Frauen(schuhen) hat, weshalb er sich schwertut seine Idee umzusetzen. Schließlich bittet er Lola und ihre „Angels“ um Hilfe.
Zunächst läuft alles nach Plan, bis Lola sich einen Alleingang erlaubt. Die Situation eskaliert, als Charlie Lola bezüglich ihrer Weiblich- bzw. „fehlenden“ Männlichkeit auf persönlicher Ebene angreift. Lola verlässt die Fabrik, die Arbeitsmoral ist gebrochen und auch Charlies Verlobte verlässt ihn kurzerhand. Es sieht so aus, als müsse Charlie die Fabrik doch noch schließen.
Jedoch hat er nicht mehr mit seiner treu ergebenden Mitarbeiterin gerechnet, die es schafft alle bis auf Lola erneut zu versammeln. Charlies Versuche sich bei Lola zu entschuldigen, bleiben jedoch fruchtlos. Ohne sie fehlt der Kollektion die Glaubwürdigkeit und Ausdruckskraft, die sie benötigt, um die Kollektion zu einem Erfolg zu machen. Dennoch versuchen alle ihr bestes und hoffen weiterhin auf Lolas Rückkehr…
Let’s go Lola
Zwei kleine Jungs, die nicht unterschiedlicher hätten aufwachsen können, treffen als Erwachsene aufeinander. Beide Teil von vollkommen verschiedenen Welten, überwinden diese Grenzen, um sich auf neutralem Boden, der Schuhproduktion, zu treffen.
Fragen nach „wahrer“ Männlichkeit, Akzeptanz und gestörter Vater-Sohn-Beziehung ziehen sich durch das scheinbar quirlige, bunte Musical und verdichten es damit um eine Tiefgründigkeit, die die ZuschauerInnen hinter die Fassaden unterschiedlichster Charaktere blicken lässt. Charlie und vor allem Lola werden mit ihren Wurzeln konfrontiert und müssen sich zwischen eigenen Wünschen und väterlichen Erwartungen zurecht finden.
Die Show wird in erster Linie durch den Hauptdarsteller der Lola getragen. Eine große, „männliche“, muskulöse Erscheinung mit tiefer Stimme, führt jede Bewegung auf ihren „Kinky Boots“ so elegant aus, dass ich, in Gedanken bei meinen Sneakern, nur neidlos staunen konnte. Wenn Lola dann noch zu singen begann, war der Kontrast von körperlicher Hülle und Showpräsenz perfekt. Begleitet von ihren Angels werden gerade diese Performances zu Highlights der Show.
Denn die Figur der Lola ist die ideale Verkörperung einer tief widersprüchlichen Persönlichkeit, die sich jenseits von konventionellen Rollenverteilungen bewegt. Mal komplett Lola, mal Simon, mal eine Mischung aus beiden Persönlichkeiten – so wird dem Publikum eine Thematik näher gebracht, die nicht alltäglich und deshalb umso relevanter ist.
Schrill, laut, bunt… und rund
Auch wenn man, wie ich, keine wirkliche Vorstellung von dem Musical hatte, spricht der Name der Show doch für sich. Spektakuläre Tanz- und Gesangseinlagen erfüllten zunächst die Versprechungen des Titels und es schlich sich der Eindruck ein, dass es genau dabei bleiben sollte.
Doch vor allem im zweiten Akt wird die Story entfaltet und Grundsatzfragen behandelt.
Die bunt verpackte Aufforderung zu Toleranz und einem Miteinander statt bestenfalls einem Nebeneinander oder schlimmstenfalls sogar Gegeneinander, regt zum Nachdenken an und liefert trotzdem den Spaß, den man sich von einem solchen Abend verspricht.
Besonders die Verortung auf der Reeperbahn verleiht dem Musical eine Authentizität, die das Erlebnis komplettiert.
Rundum ein gelungener Abend, bei dem sowohl Augen, Ohren und auch Emotionen auf ihre Kosten kommen. Anfänglich zunächst etwas oberflächlich, wird die Thematik rund um Transsexualität nur oberflächlich behandelt, später jedoch vertieft und erweitert auf generelle Akzeptanz. Somit spricht die Handlung auf einer abstrakteren Ebene auch allgemein zu vermittelnde Werte an und ist ein rundes Erlebnis, gut balanciert zwischen Show, Ernsthaftigkeit, Extravaganz und einer Spur Witz. Geführt und gerührt von der schillernden Lola, ohne ein Gefühl von Belehrung oder Schwere und trotzdem aufmerksam gegenüber Akzeptanz und Toleranz, verließ ich summend das Theater…
Von Eleni Maurischat