Das Autokino erwacht zurzeit aus seinem Schneewittchenschlaf, wachgeküsst von Corona. Aber welche Geschichte kann das Autokino überhaupt erzählen? Krosse hat sich für euch schlaugemacht!
Der Auf- und Nieder- und Aufgang des Autokinos
Die ersten Autokinos waren denkbar einfach: Leinwand aufspannen, Lautsprecher aufstellen und mit dem Auto heranfahren. Daher wundert es nicht, dass schon ab 1910 die ersten Autocineasten*innen mit dieser Idee in den USA experimentierten. Jedoch dauerte es bis 1930, als der Geschäftsmann Richard M. Hollingshead, Jr. im Selbstversuch auf der eigenen Auffahrt die optimale Größe der Leinwand und Lautstärke der Tonwiedergabe herausfand und das „Drive-in Theater“ zum Patent anmeldete. Zwar konnte sich dieses erste Autokino nicht lange halten, aber die Idee war da und das Potenzial unermesslich. Im Laufe der Jahre entstanden in anderen Teilen der Vereinigten Staaten weitere, verbesserte Autokinos. Bis zu 4000 sollten es werden. Fast forward: 60er Jahre.
Mit Kind und Kegel ins Kino
Der Erfolg des Autokinos hing mit den Lebensumständen der amerikanischen Mittelschicht zusammen. Viele junge Familien lebten damals in sogenannten Suburbs, den Großstädten vorgelagerte Wohnanlagen, in denen ein Haus dem anderen glich. Suburbs waren Orte zum Wohnen und Schlafen; Müßiggang und Arbeit fand in den Städten statt. Wenn also die Eltern der nachbarschaftlichen Tristesse entfliehen wollten, mussten sie pendeln (anstrengend) und Babysitter organisieren (teuer). Dann eröffneten die ersten Autokinos wenige Autominuten von den Suburbs entfernt und konnten sich, ähnlich wie die Mall, als Institution im ländlichen Amerika etablieren. Von nun an mussten die Eltern nur noch zum Arbeiten in die Städte. Die Eltern nahmen ihre Kinder meist ins Kino mit und konnten sich eine*n Babysitter*in sparen. Die Eintrittspreise waren günstiger als im „richtigen“ Kino und für den Hunger zwischendurch richteten Autokinos Fastfoodrestaurants in den Projektorhäusern ein. Wer die amerikanischen „Straßenkreuzer“ aus Mad Men kennt, weiß, dass diese auf einem Parkplatz mit Leinwand nicht nur bequem waren, sondern auch Privatsphäre boten. Das sollte dem Autokino zum Verhängnis werden. Fast forward: 70er Jahre.
Love Lane
Wie die Zuschauer*innen von amerikanischen Serien wissen, besitzt der gut situierte Teenager ein eigenes Auto. Doch dort, wo der Teenager wohnt, gibt es lediglich zwei Ziele: die Schule und das Autokino. Da man mit einem Date nicht zur Schule fährt, nur noch ein Ziel. Viele Teenager wollten sich von der Prüderie der elterlichen Generation emanzipieren und so war das Ergebnis der Formel: Deckung + Dunkelheit + Date = Gelegenheit macht Liebe. Die Teenager hatten das Taktgefühl, sich dafür in die letzte Fahrzeugreihe zurückzuziehen. Die „Love Lane“ wurde so berüchtigt, dass sich Filme mit ihr befassten. Das war der Anfang vom Ende: Die amerikanischen Durchschnittseltern ließen sich herumknutschende Jugendliche nicht zumuten und da Farbfernsehen und VHS-Rekorder sich durchsetzten, blieben Kund*innen den vormals beliebten Autokinos fern. Das stürzte die Autokinos in eine Krise. Die Kinobesitzer*innen versuchten gegenzusteuern, in dem sie die verbliebenen Kund*innen mit Horrorfilmen und Erwachsenenunterhaltung lockten. Das Imageproblem verbesserte sich so nicht. Seitdem führt das Autokino ein Schattendasein in einer Welt, in der nicht einmal mehr das Auto ein Statussymbol ist. Fast forward: 2020.
Die Auferstehung
Vielleicht wird das Autokino zu einem Helden der Pandemie. Denn die Eigenschaft, die das Autokino zu Fall brachte, ist in einer Pandemie seine größte Stärke. Wer ein Auto hat, kann für ein paar Stunden das Haus verlassen und, vor der Seuche sicher, einen Film genießen. Je nachdem wie lange uns das Coronavirus noch begleitet, könnte das Autokino eine neue Blüte erleben.
von Kai M. K. Müller
Bildlizenz: ErriTollsten, EVENTED AK, CC BY-SA 3.0