Mehr als 33 000 Demonstrationen wurden allein im vergangenen Jahr in Spanien angemeldet. Die meisten richteten sich gegen die Sparpolitik der rechtskonservativen Regierung des Landes. Nun will diese kritische Bürger_Innen mit einem Anti-Demogesetz mundtot machen. Was das genau bedeutet hat Krosse für euch herausgefunden.
Als die Dresdener Polizeidirektion am 19.Januar aufgrund von Hinweisen auf einen Terroranschlag das Demonstrationsverbot für den 13.Spaziergang von „Pegida“ aussprach, wurde die öffentliche Debatte über Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit allgegenwärtig zum Selbstläufer.
Hitzig diskutierten Politiker_Innen und Medienmacher_Innen das Für und Wider des Verbots – einige nahmen die Polizei in Schutz, andere sprachen von Demokratieabbau. Bei einem allerdings waren sich alle einig: Es muss sich bei diesem Verbot um eine Einzelfallentscheidung handeln.
Und während also in Deutschland nun wieder alles beim Alten ist, Pegida und Co. abermals durch die Straßen ziehen, das Thema „Versammlungsrecht“ langsam an medialer Brisanz verliert und das Dresdener Demo-Verbot zum absoluten Ausnahmefall erklärt wird, ist Spaniens Regierung drauf und dran, die Demonstrationsfreiheit im eigenen Land schlichtweg ganz abzuschaffen und den Protest auf Spaniens Straßen zu kriminalisieren.
Dass es kaum ein anderes europäisches Land gibt, in dem die Bürger_Innen das Versammlungsrecht so massiv wahrnehmen, wie in Spanien, ist eigentlich wenig verwunderlich.
Denn Spanien gehört zu den Verlieren der Finanzkrise, die tiefe und unübersehbare Spuren im ganzen Land hinterlassen hat.
Eine schlechte Gesundheitsversorgung, hohe Arbeitslosigkeit und sozialer Abstieg führten dazu, dass allein im vergangenen Jahr mehr als 33 000 Demonstrationen in Spanien angemeldet wurden – allein 4000 in Madrid.
Spaniens Bevölkerung wehrt sich gegen die massive Sparpolitik ihrer rechtskonservativen Regierung „Partido Popular“, die nicht nur wegen Korruptionsvorwürfen regelmäßig in den Medien ist.
Ihr Protest gilt den sozialen sowie politischen Missständen und dem Spardiktat unter Ministerpräsidenten Mariano Rajoy . Die Forderungen der mittlerweile breit gefächerten Protestbewegung sind nur die logische Konsequenz Rajoys Politik :
Ein personeller Wandel im Regierungsgebäude.
Die Proteste begannen eigentlich als spontane, überparteiliche Demonstrationen,. Doch aus den über Wochen und Monate hinweg anhaltenden Massenprotesten bildeten sich diverse Bündnisse, die sich vor allem in sozialen Medien organisieren und auch über diese mobilisieren. Im Kern der Proteste entstand schnell die linke Volkspartei „Podemos“, die schon kurz nach ihrer Gründung bei der Europawahl 2013 aufgrund ihres überraschenden Wahlergebnisses von 7,97 Prozent für Aufregung sorgte. Die Protest-Partei als auch die Protest-Bündnisse arbeiten massiv auf den 20.Dezember 2015 hin, denn dann stehen nach Griechenland auch in Spanien die Parlamentswahlen an.
Der klare Sieg der griechischen Linkspartei „Syriza“ vom 25.Januar 2015, dürfte für die aktuelle spanische Regierung ein herber Schlag sein, hat dieser durchaus das Potential der Linken im eigenen Land weitere Stimmen einzubringen und die Bewegung, die medial hier und da auch schon mal als „Spanische Revolution“ bezeichnet wird, noch weiter voran zu treiben.
Doch „Partido Popular“ bewegen diese Ereignisse keineswegs zu einem politischen Wandel. Nicht nur hält die aus der Franco-Diktatur hervorgegangene rechtspopulistische Regierung an ihrem Spardiktat fest und verabschiedet weitere Kürzungsmaßnahmen in
Bildungs – und Gesundheitswesen, sie beschließt klammheimlich schon im November letzten Jahres ein Anti-Demogesetz, um die Empörten mundtot zu machen.
Angst verbreiten. Mundtot machen.
Das am 31.3.2015 veröffentlichte „Gesetz zum Schutz der Sicherheit der Bürger“ enthält einen Katalog von 45 möglichen Verstößen gegen die Sicherheit der Bürger_Innen. Je nach Schwere des Verstoßes gegen die geplante Ordnung, werden diese mit Geldstrafen von bis zu 600 000 € geahndet.
So darf in naher Zukunft nicht mehr an Orten demonstriert werden, an denen Dienstleistungen für Bürger_Innen angeboten werden. Spontane Proteste rund um das Abgeordnetenhaus , den Senat oder Regionalparlamenten stehen ebenfalls unter hoher Geldstrafe. Proteste an Orten, die vermeintlich stets für Alle zugänglich sein müssen oder die für die spanische Infrastruktur wichtig sind, ebenfalls – welche Orte das sind entscheidet allein die Polizei. Auch Aufrufe zu Demonstrationen über soziale Netzwerke, das Fotografieren und Filmen von Polizeieinsätzen und das Twittern „gegen Polizei oder Staat“ gelten demnächst als Straftat.
Insbesondere äußerst schwammig formulierte Absätze, wie etwa die Strafe wegen „Respektlosigkeit gegenüber Polizist_Innen“ lassen vermuten, zu wessen Schutz dieses Gesetz eigentlich ist.
Besonders perfide: Die Strafen werden direkt von der Polizei verhängt, die keine Verurteilung durch Gerichte mehr braucht und die demnächst willkürlich schalten und walten kann. Dass diese nicht gerade zimperlich mit spanischen Demonstrierenden umgeht und Proteste mit massiver Gewaltanwendung zu unterbinden versucht, geht aus unzähligen Medienberichten hervor.
Wochenlang hat „Partido Popular“ versucht die Demonstrationen als „linksradikalen Extremismus“ zu verkaufen, doch die Protestwelle brach nicht ab. Nun muss sie sich scheinbar eines wirkungsvolleren Mittels über gesetzliche Regulierungen bedienen. Das bereits durch die Regierung verabschiedete Gesetz bemächtigt sie ihre Korruption und Sparpolitik weiter voran zu treiben, ohne dabei mit lästigem Gegenwind von der eigenen Bevölkerung zu rechnen. Ihr Ziel kann nur sein, die so erfolgreiche Bewegung und den gegen sie gerichteten Protest im Keim zu ersticken, um möglicherweise doch die kommende Wahl zu gewinnen, ganz gleich, dass dieses Gesetz jeder demokratischen Grundordnung fundamental widerspricht.
Dass der Entwurf dennoch so unproblematisch und kritiklos im Parlament verabschiedet werden konnte, liegt daran, dass „Partido Popular“ die absolute Mehrheit der Regierung stellt.
Die spanische Opposition hingegen kritisiert das Knebelgesetz scharf und kündigte an, gegen dieses vorzugehen und in letzter Instanz auch nicht davor zurückzuschrecken den europäischen Gerichtshof einzuschalten.
In Spanien sorgt das Gesetz für Empörung und massenhaft Proteste auf Spaniens Straßen.
Darüber hinaus aber bleibt es verdächtig still. Weder die deutsche Bundesregierung, noch die EU haben sich bis heute zu dem Anti-Demo-Gesetz geäußert.
Nicht zu selten erheben sie sonst den moralischen Zeigefinger gegen ungewollte Entwicklungen andere Länder. Dass sie das in diesem Fall nicht tun und über die erschreckende Entwicklung Spaniens schweigend hinweg sehen, mag daran liegen, dass es hier um mehr geht als ein bisschen Menschenrecht. Denn es geht um die Rettung des Euros und des Bankenwesens, um die Zufriedenheit der Märkte und der Mächtigen. Es geht um Spanien als EU-Garant. Was macht da schon so ein bisschen Demonstrationsverbot.
Die spanische Bevölkerung mundtot zu kriegen, dürfte für die spanische Regierung kein leichtes Unterfangen sein.Neben den Protesten, gewinnt auch die linke „Podemos weiter an Zuwachs. In aktuellen Wahlprognosen liegt sie bei bei 28,7 Prozent und somit auf Platz Eins, das regierende Kabinett mit 19,2 Prozent nur auf Rang Drei. Griechenland als politisches Vorbild könnte für weitere Stimmen sorgen. Man kann nur hoffen, dass selbiges auch für das Anti-Demo-Gesetz gilt und sich die Spanier_Innen weiterhin laut empören, denn die Konsequenz kann nur ein noch lauterer und kraftvollerer Protest sein. Ebenso laut sollten aber auch die europäischen Stimmen aus Politik und Medien sein und diesem Skandal genauso viel Aufmerksamkeit schenken, wie es noch vor einer Woche in Dresden rund um das Demonstrations-Verbot von Pegida der Fall war.
Denn: Versammlungsrecht ist Menschenrecht.
Update: Am Juli 2015 ist das versammungsrechtbeschneidene Gesetz verabschiedet worden. In den deutschen Medien ist es kaum eine Randnotitz wert.