Wir leben in einer Gesellschaft, die nach unendlichem Wachstum strebt, in einer Welt, die endlich ist. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Konsum als Freizeitbeschäftigung gilt. Klar ist, dass es auf Dauer nicht so weitergehen kann. Der Aktivist Tobi Rosswog hat zweieinhalb Jahre geldfrei gelebt und sensibilisiert nun in seinen Vorträgen dazu, solidarischer zu leben und dementsprechend zukunftsfähige Alternativen zu suchen. Im Rahmen seiner Vortragsreihe war er auch in Bremen zu Gast.
Anfang 2013 begann Tobi Rosswog, Aktivist, „Mitweltpädagoge“ und Speaker beim Projekt-und Aktionsnetzwerk „living utopia“, konsequent geldfrei zu leben. Nun haben er und Pia Damm, Aktivistin, Bloggerin und „Freilernerin“, die Kampagne „Geldfreier leben“ gestartet und halten Vorträge über die Erfahrungen, die sie in zweieinhalb Jahren geldfreien Lebens gemacht haben.
In seinem Vortag in Bremen stellt Tobi Rosswog 7 Dinge vor, die er während seiner geldfreien Zeit gelernt hat. Vorab macht er jedoch darauf aufmerksam, dass Geld nicht das Böse sei, man es jedoch kritisch reflektieren sollte, und dass es sich im Folgenden nicht um ein Survival-Guide handle, sondern um einen Impuls, seine eigenen Talente frei und selbstbestimmt zu entfalten und die eigene Utopie zu leben. Dabei sei die gelebte Utopie als Motto der Veränderung zu verstehen und das geldfreiere Leben eine bewusste und freiwillige Entscheidung.
1. Das Nachhaltigste was wir, die in einer Überflussgesellschaft leben, tun können, ist Vorhandenes sinnvoll zu nutzen. Wenn wir uns vor Augen führen, dass in Deutschland pro Person 82 kg Lebensmittel pro Jahr weggeworfen werden, jede*r Deutsche 40 bis 70 Kleidungsstücke pro Jahr konsumiert und 300.000 Menschen in Deutschland ohne Obdach leben, obwohl genug Wohnraum vorhanden wäre, ist es das Beste, keine neue Nachfrage mehr für ein Angebot zu schaffen, das ohnehin schon im Überfluss vorhanden ist. Stattdessen sollten wir Alternativen finden und die vorhandenen Ressourcen sinnvoll nutzen, wie zum Beispiel durch foodsharing , Umsonstläden oder Wohnen für Hilfe.
2. Fast alle sozialen Interaktionen sind auf die Rollen des Produzenten und des Konsumenten reduziert. Es gibt nur wenige Momente, in denen wir uns auf der menschlichen Ebene begegnen und nicht eine Rolle oder Funktion innehaben. Dessen sollten wir uns bewusst sein und öfter darüber nachdenken, in welchem Verhältnis wir mit anderen leben und leben wollen.
3. Wir neigen dazu, die Menschen in Besitzende und Besitzlose einzuteilen. Geld und Besitz bedeuten für uns Sicherheit und Unabhängigkeit. Allerdings sind wir uns oft nicht dessen bewusst, dass wir Besitz, Geld und Prestige genau so schnell verlieren können, wie wir es bekommen haben. Die Frage ist, was dann aus uns wird. Die Einteilung in Kategorien ist bewusst, aber nicht notwendig.
4. Anstatt so viel Zeit in Bürokratie zu investieren, sollten wir die Zeit lieber nutzen, um den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben und zukunftsfähige Alternativen zu finden. Ohne Bürokratie wären wir effizienter und hätten mehr Zeit für das Gemeinwohl.
5. Unerfüllte soziale Grundbedürfnisse, zu denen zum Beispiel Anerkennung oder sinnvolles Tun gehören, führen zu Unzufriedenheit. Die hat häufig zur Folge, dass wir überflüssige Konsumgüter kaufen, um unsere vermeintlich materiellen Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings handelt es sich hierbei nur um kurze Glücksmomente und schon bald benötigen wir mehr Geld, um uns mehr Konsumgüter zu kaufen.
6. Mehr Geld bedeutet jedoch nicht mehr Glück. Das Easterlin Paradox, benannt nach dem amerikanischen Ökonomen Richard Easterlin, einem Pionier in der ökonomischen Glücks- und Geldforschung, macht deutlich, dass mehr Reichtum nicht zu mehr Glück führt, wenn die grundlegenden Bedürfnisse gestillt sind. Ab einem gewissen Punkt empfindet man sogar weniger Glück aus Angst, sein ganzes Geld zu verlieren.
7. Um die Herausforderungen unserer Zeit zu lösen, sollten wir außerhalb der Box denken und kreativ werden. Wenn wir den Rahmen der gewohnten Konventionen verlassen, können wir utopietaugliche Alternativen für die bestehenden Verhältnisse finden und den gesellschaftlichen Wandel anstoßen. Nur weil etwas gerade undenkbar scheint, heißt es nicht, dass es unmöglich ist.
Die anschließende Diskussion macht deutlich, dass die Meinungen zu dem Thema „Geldfreier leben“ auseinandergehen. Einige Stimmen behaupten, es reiche nicht aus, eine andere Lebensweise zu haben, um unsere heutigen Strukturen zu ändern. Natürlich kann Tobi Rosswog mit seiner Kampagne keine Allgemeinlösung für einen gesellschaftlichen Wandel geben, aber in erster Linie geht es auch darum, die Leute zu sensibilisieren und Impulse zu geben. Insgesamt fand ich den Vortrag sehr interessant, obwohl ich zunächst, auch in Anbetracht des Titels der Veranstaltung, konkretere Beispiele zur Umsetzung im Alltag erwartet hatte. Dennoch war es ein guter Anstoß, um seine eigene Lebensweise zu reflektieren.
Lina Weimann
Bildquelle: KROSSE