Vom 19. bis 21. Juni war in Scheeßel mal wieder Ausnahmezustand: Hurricane! Mehr als 60.000 Besucher feierten in diesem Jahr zur Musik von Placebo, Marteria, Florence + The Machine und Co. Doch was genau soll eigentlich so toll daran sein, drei Tage im Dreck zu campen, sich rund um die Uhr zu betrinken und sich dabei auch noch stundenlang die Füße vor den Bühnen wund zu stehen? Ein Erlebnisbericht eines Festival-Neulings bei dem Versuch herauszufinden, was unzählige Musikbegeisterte jedes Jahr wieder reizt, das Hurricane Festival zu besuchen.
Für die meisten Festival-Fans geht ein Festival ja bereits am Vortag los. So auch für mich. Nachdem ich die halbe Nacht damit verbracht hatte, noch alles Mögliche von genügend Klopapier, über Gummistiefel bis hin zum Panzertape (dein Freund und Helfer in der Not!) zusammenzusammeln und gleichzeitig an dem Versuch gescheitert bin, das unhandliche Gepäck auf das Minimalste zu reduzieren, ging es am Donnerstag endlich los: Mit dem Auto zum Hurricane Festival 2015 nach Scheeßel. Angeblich gibt es die noch härteren Festival-Liebhaber, die ihr Gepäck freiwillig mit auf eine fröhliche Zugfahrt schleppen. Der Gedanke war mir in Anbetracht meiner zwei Riesen-Taschen (eine für Kleidung, eine für Verpflegung), dem Schlafsack und der unhandlichen Luftmatratze (aber man will’s ja bequem) eher fern – und achja, das Zelt.
Das Camping-Gelände öffnete um 14:30Uhr. Wir fuhren natürlich überpünktlich los, damit wir um 12Uhr da sein konnten und noch das Vergnügen hatten, zweieinhalb Stunden anzustehen – äh, anzusitzen. Das allseits verhasste Anstehen geschieht hier nämlich ganz gemütlich mit Campingstuhl, Musik und dem ersten Bier. Was tut man nicht alles für einen guten Campingplatz.
Eine halbe Stunde vor Einlass fand dann auch die Gemütlichkeit ihr jähes Ende: Jeder will der Erste sein auf dem Campinggelände, um den besten Platz für sein Zelt zu bekommen, also schon mal an die Gitter quetschen und warten, bis die Bändchenausgabe eröffnet. Nach einer halben Stunde stehendem Warten kann bei einem Festivalbesucher jedoch schon mal Langeweile aufkommen, so werden dann schließlich auch die ersten Gitterabsperrungen crowdsurfing-mäßig abtransportiert.
Mit ein wenig Verspätung ging dann der Einlass los – und damit das Chaos. Von Festivalbändchen, die man dieses Jahr vorab mit Geld aufladen konnte, da das Hurricane erstmals komplett bargeldlos ablief, jedoch keine Spur. Die konnte man auf Grund anfänglicher technischer Schwierigkeiten schließlich erst am Nachmittag bekommen, allerdings musste man die eine oder andere Stunde Wartezeit einplanen. Kein besonders guter Start für das neue Bezahlsystem.
Doch erstmal ging es rauf auf den Zeltplatz. Für die „Normalos“ unter den Campern (die VIPs und die Green Camper ausgenommen) gibt es zwei Campingplätze: Eine etwas kleinere, beschauliche Ackerfläche frei von staubaufwirbelndem Sandboden, auch liebevoll das Auenland genannt, und Mordor – bei Sonne die Inkarnation einer Wüstenlandschaft und bei Regen ein Traum von Schlammbad. Um sich diesen Spaß zu ersparen war also schnell sein angesagt.
Ist dann der ideale Campingplatz gefunden, geht es los: Zelt aufbauen und sich mit Nachbarn verbünden, die einen Pavillon dabei haben – da hilft man doch gerne beim Aufbau, man sitzt ja schließlich ungern im Regen. Nach getaner Arbeit setzt man sich dann mit dem dritten Bier und dem Campingstuhl an den Weg und beobachtet die nach und nach ankommenden Nachbarn. Nicht weiter wunderlich ist es, wenn direkt neben einem die Schlümpfe campen – inklusive Papa Schlumpf und Schlumpfine. Und ja, sie waren alle blau (auch äußerlich). Bei der Kostümierung haben sich die Hurricane-Besucher in diesem Jahr keine Grenzen gesetzt. Besonders beliebt schienen dabei die Tierkostümierungen gewesen zu sein. Und auch der Pikachu-Ganzkörperanzug lief besonders gut, denn davon liefen auf dem Festivalgelände mehr rum als in der gesamten Pokéwelt.
Wie es beim Hurricane nun mal Programm ist (der Name beschwört es ja schließlich schon herauf), ging der richtige Festivalspaß am Freitag dann regnerisch los. Spätestens am Abend beim Headliner Placebo waren wir bereits komplett durchnässt und angesichts der eher niedrigen Temperaturen konnte man nur beten, dass einem die Erkältung wenigstens noch für ein paar Tage verschont blieb. Wie das durchgefroren schon mal passieren kann, kam dann auch schnell Müdigkeit auf, welche in Anbetracht des Auftritts von Placebo nicht gerade gemindert wurde. Eine Einbindung des Publikums fehlte bei dem Konzert der britischen Rockband völlig und auch die Bühnenshow schien eher lustlos. Zum Ende musste man sich wirklich zusammenreißen, dass einem nicht gleich die Augen zu fallen. In der Zugabe kam es dann noch einmal zum kleinen Höhepunkt mit dem Hit „Running up that hill“, bei welchem der ein oder andere doch noch mal wieder aufwachte. Insgesamt jedoch definitiv nicht Headliner-würdig.
Da sah der zweite Festivaltag doch schon etwas anders aus. Wen die Sonne schon früh aus dem schnell aufgeheizten Zelt gekitzelt hat, der konnte sich mittags schon mal von Tonbandgerät einstimmen lassen. Am Nachmittag und frühen Abend wurde dann den Hip-Hoppern unter den Festivalbesuchern mit SDP, Alligatoah und Cro einiges geboten.
Am Abend konnten das Farin Urlaub Racing Team und Marteria überzeugen, wobei letzterer es sogar trotz abendlicher Frische geschafft hat, das Publikum dazu zu bringen sich die T-Shirts vom Leib zu reißen und auf die Bühne zu werfen. Auch wenn sich dabei einige unliebsame Anblicke auftaten, gab es dennoch einen Trost für die Frauen: Auch Marteria zog sein T-Shirt aus. Und so konnte man an seinem Konzert höchstens die Musik von Marsimoto und den dabei plötzlich stark auftretenden Gras-Geruch als störend empfinden. Doch tatsächlich soll ja auch Marsimoto Fans haben.
Am Sonntag war im Nachmittagsprogramm noch einmal für jeden etwas dabei: Neben Jupiter Jones, Olli Schulz, Milky Chance und Of Monsters And Men waren auch Noel Gallagher’s High Flying Birds zu Gast. Den meisten Applaus bekam der Ex-Oasis-Lead-Gitarrist, der sich 2009 aufgrund der Streitereien mit seinem Bruder und Bandkollegen Liam von der Band trennte, jedoch nicht für die Songs seines Solo-Projekts, sondern für den Oasis-Hit „Don’t look back in anger“, den er zum Abschluss seines Auftritts zum Besten gab. Vielleicht doch noch mal drüber nachdenken, ob man sich nicht wieder mit dem Bruder verträgt, lieber Herr Gallagher?
Am Abend musste dann das Konzert von Ben Howard aufgrund einer Erkrankung des Künstlers ausfallen. Zur Trauer einiger, aber zur Freude vieler, denn stattdessen kamen Madsen, die dem Publikum noch einmal ordentlich einheizten, bevor der Headliner des Abends kam. Per Plakat wurde sich sogar bei Ben Howard dafür bedankt. Den perfekten Abschluss fand das Hurricane Festival 2015 dann bei Florence + The Machine. Wie ein Flummi hüpfte die Sängerin im Abba-Gewand über die Bühne – und legte dabei eine super Show ab.
Auch wenn viele das Line-Up wesentlich schlechter als in den letzten Jahren fanden, so war doch eigentlich jeden Tag etwas dabei, dass man sich anhören konnte. Und das Wetter war mit nur einem Regentag allemal besser als die meisten Hurricane Festivals der letzten Jahre.
Mein Fazit
Sauberkeit ist auf Festivals ja meist ein heikles Thema. Was ich erwartet habe: Alles verdreckt, überall liegt Müll und verschmutzte Toiletten. Was ich vorfand: Abgegrenzte Müllinseln, in denen sogar tatsächlich der Großteil des Abfalls landete, verhältnismäßig saubere Toiletten und haufenweise Menschen, die ihren Müll in Abfallsäcken sammelten und gegen einen Müllpfand abgaben.
Trotz eines holprigen Starts lief auch das bargeldlose Bezahlen per Chip am Festivalbändchen super. Von häufigen Festivalgängern ließ ich mir sagen: Damit geht alles viel schneller. Und das Bezahlen ging wirklich schnell und war auch noch super praktisch. Kein Rumschleppen von Bargeld und keine Angst, dass es einem geklaut wird. Von vom Bändchen abgerissenen Chips hatte ich zumindest nichts gehört.
Wer weniger auf das Campen steht, der konnte seine Zeit gut auf dem Fesitvalgelände verbringen. Neben der Musik auf drei Bühnen, die jeweils mit den Tier-Logos der letzten Jahre gestaltet wurden (die Eule aus dem vorletzten Jahr an der Red Stage, der Wolf aus dem letzten Jahr bei der Blue Stage und das diesjährige Wildschein an der Green Stage) gab es hier noch jede Menge anderes zu entdecken. Essensstände ohne Ende, reichlich Sponsoren-Stände mit Chill-Lounge, Musik und Aktivitäten, ein Riesenrad und auch Bungee-Jumping für schlappe 70 Euro sorgten für reichlich Unterhaltung. Und nebenbei konnte man die verrücktesten Figuren und Kostümierungen über das Gelände spazieren sehen, wie auch Mammuts, geritten von Steinzeitmenschen.
Doch im Mittelpunkt stand natürlich die Musik – und als so genannter Festival-Newie war ich absolut begeistert. Nirgends sonst als auf einem Festival hat man die Gelegenheit innerhalb von drei Tagen unzähligen Bands zu lauschen und sich von ihrer Musik mitreißen zu lassen oder sich seine Lieblingskünstler anzuschauen und es mit jeder Menge genauso begeisterter Fans zu teilen. Das Hurricane Festival ist eher weniger ein riesiges, sinnloses Besäufnis, wie es ihm fälschlicherweise meist attestiert wird, sondern eher ein euphorisierendes Erlebnis, von unbeschreiblicher Atmosphäre und dem Gefühl des gemeinsamen Feierns. Und wo sonst hat man die Möglichkeit, mal so richtig die Sau raus zulassen, als wenn keiner zuschaut.
So hat auch mich inzwischen das Festivalfeeling erreicht und in seinen Bann gezogen. Das nächste Hurricane Festival lasse ich mir auf jeden Fall nicht entgehen.
Julia Gwiasda