Eine Liebesgeschichte zu beenden ist eine Sache. Man macht Schluss, vergießt eimerweise Liebeskummer-Tränen, geht sich – zumindest für einige Zeit – aus dem Weg und verflucht die gesamte Beziehung. Irgendwann sind dann die tiefen Wunden und die bösen Worte vergessen und die leere Betthälfte wird von einem neuen Herzensmenschen bewohnt. Aber wie macht man mit einer Freundschaft Schluss? Unsere Redakteurin hat vor kurzem eine jahrelange Freundschaft beendet und spricht über die Tücken einer Trennung und das Ende einer Ära.
Als sich mein Exfreund vor geraumer Zeit von mir trennte, zerriss es mir das Herz. Ich heulte Rotz und Wasser, trank Unmengen an Alkohol und konnte nicht fassen, dass der Mensch, der für mich meinen absoluten Lebensmittelpunkt darstellte, plötzlich und unerwartet aus meinem Leben schied. Ich glaubte, die Liebe zwischen mir und ihm sei für die Ewigkeit und überstehe alles. Dass dem nicht so war, traf mich damals tief.
Zu jener Zeit hielt meine beste Freundin meine Hand – jeden Tag. Wenn ich mit geschwollenen Augen aufwachte, saß sie an meiner Bettkante, wenn ich reden wollte, war sie zur Stelle, wenn ich um Drei Uhr morgens betrunken beschloss noch feiern zu gehen, quälte sie sich aus dem Bett. Sie war immer da. Und nun nicht mehr.
Unsere Freundschaft war groß und unübersehbar. Ein jeder wusste gleich, wir gehörten zusammen.
Nina* und ich lernten uns vor gut 9 Jahren im Spanisch-Unterricht der elften Klasse kennen. Ich kam gerade aus Südamerika, wo ich zuvor ein Jahr lebte, sie lernte Spanisch in der Schule – und sprach dennoch bei weitem besser als ich.
Ich trug weite Hosen mit Kapuzenpullis und diversen Aufnähern auf meinem Parka, sie den exaktesten Mittelscheitel, den ich je gesehen habe. Ich rauchte, sie hatte noch nie an einer Zigarette gezogen. Sie war Klassenbeste, ruhig und bedacht. Ich betont desinteressiert an Schule, Tafelbildern und Co. und dabei stets laut und impulsiv.
Keiner weiß und niemand verstand, wie sich eine so innige Freundschaft zwischen uns entwickeln konnte – selbst wir nicht. Nichtsdestotrotz dauerte es nicht lange und wir wurden beste Freundinnen. Wir verbrachten so viel Zeit miteinander, wie nur irgend möglich, gingen oft zusammen aus, schrieben die Klausuren neben – und miteinander und übten uns auch in der Vorabitur-Phase in gemeinsamer Prokrastination. Ihr akkurater Mittelscheitel wich einem modernen Bob, meine spätpupertär bedingte Unlust wandelte sich zum Spaß am Unterricht und auch ansonsten fanden wir irgendwie in vielen Bereichen des Lebens unsere ganz eigene goldene Mitte.
Nach der Schule sorgte das Schicksal dafür, dass wir trotz diverser Sinnkrisen, spontanen Lebenswandeln und einigen Selbstfindungstrips nie lange geografisch voneinander getrennt waren. Irgendwie meinte es das Leben gut mit uns und gab stets einer von uns beiden einen Anlass der anderen in die selbe Stadt zu folgen. Wohnten wir längere Zeit an unterschiedlichen Orten, war die Freundschaft zu Nina einer der wenigen Dinge, der ich mir immer sicher sein konnte. Ich hielt sie für unumstößlich.
2011 wagten wir dann den großen Schritt und zogen, eher aus Zufall und ziemlich überstürzt, zusammen.
Viele Freunde rieten uns damals davon ab, weil eine WG unter besten FreundInnen schon zu manch schmerzlichem Ende geführt hat, doch wir winkten ab.
„Das passiert uns nicht“, lachten wir sie an – und wir sollten Recht behalten.
Ich kochte, sie putze, ich ging einkaufen, sie brachte den Müll runter – Bilanz unseres Zusammenwohnens: 2 Jahre und kein einziger Putzplan-Streit. Nina und ich waren auch im Zusammenleben das perfekte Team.
Sie war mir noch nie so fremd gewesen
Als wir studiumsbedingt wieder einmal in die selbe Stadt zogen änderte sich das plötzlich. Jeder war so sehr mit seinem ganz individuellen Neuanfang beschäftigt, dass wir uns und unserer Freundschaft zu wenig Platz einräumten und das einst so dicke Band zwischen uns plötzlich kleine Risse zierte.
Wenngleich wir nur wenige Gehminuten voneinander entfernt wohnten und sich unser Alltag erstmalig stark gleichte, sahen wir uns immer seltener. Und obwohl wir nun sogar weitaus mehr gemeinsam hatten und uns in so vielen Bereichen und Streitfragen plötzlich einig waren, war mir Nina noch nie so fremd gewesen.
Warum genau sich die Freundschaft plötzlich nicht mehr richtig angefühlt hat, weiß ich nicht. Vielleicht gerade weil sich unser Leben nun erstmals ähnelte und wir nicht mehr von der Andersartigkeit der Anderen profitieren konnten, vielleicht weil nicht alle Freundschaften für die Ewigkeit bestimmt sind oder wir Missverständnissen zu viel und Kommunikation zu wenig Raum gegeben haben, vielleicht weil wir unsere Bindung zu wenig gepflegt haben, vielleicht ist es auch einfach egal.
Wenn etwas nicht mehr stimmt, merkt man das oft an Kleinigkeiten und erst, wenn es zu spät ist und sich der Wurm schon durch das einst so dicke Band gefressen hat.
Ich fing irgendwann an nicht mehr als erstes Nina anzurufen, wenn es mir schlecht ging, sondern sprach mit anderen FreundInnen. Sie tat Selbiges. Wenn wir uns dann trafen stand etwas zwischen uns und ich war verdutzt, wenn in Ninas Leben Dinge passiert sind, von denen ich nicht einmal im Ansatz wusste. Mich hat das verletzt – gesagt habe ich nichts. Zeitgleich fiel mir plötzlich auf, dass Nina Dinge sagte und tat, die ich weder nachvollziehen konnte, noch teilte. Sie wurde mir einfach fremd und mir schien als würden wir schlichtweg aufhören uns blindlings zu verstehen.
Es folgte ein langes Gespräch über unsere Freundschafts-Sackgasse: Viele Tränen flossen dabei und einige Missverständnisse wurden beiseite geschoben. Die Luft war zum Zerschneiden dick und voll mit gegenseitigen Beteuerungen an der Freundschaft festhalten zu wollen. Wir schmiedeten diverse Zukunftspläne und ich schlug Nina vor uns zusammen zum Taekwondo anzumelden und im Frühjahr zu verreisen – sie willigte ein. Und plötzlich füllte sich die Luft wieder mit Hoffnung.
Doch binnen kurzer Zeit war die Stimmung zwischen uns wieder ebenso verfahren wie zuvor, unser Kontakt nur noch dürftig und oberflächlich und die Zukunftspläne scheinbar wieder vergessen. Unsere Freundschaft war am Ende, gestand ich mir endlich ein.
Wie trennt man sich von einer Freundschaft
In einer Liebesbeziehung ist eine Trennung irgendwann schlichtweg unausweichlich. Dann wird gestritten und mit den Türen geknallt, diverse Gegenstände fliegen durch die Zimmer oder direkt aus der gemeinsamen Wohnung. Heiße Tränen werden vergossen und weichen später tiefen Zornesfalten. Dann wird die gesamte Beziehung und die bessere Hälfte verflucht, die gemeinsame Zeit bereut und haufenweise Weinflaschen geleert. Im Laufe der Zeit glätten sich dann die Wogen, bis man sich nach einigen Monaten des gegenseitigen Ignorierens, das erste Mal heimlich und mit minimaler Gesichtsregung auf der Straße zunickt.
Kurzum: von einem klar definierten Beziehungsende über zum emotionalen Roundhouse-Kick bishin zum schleichenden aber stetigen Heilungsprozess.
Bei Freundschaften hingegen ist das so viel verfahrener und meist haben wir nicht den Mut uns laut und klar von eben dieser zu lösen. Also melden wir uns schließlich einfach immer seltener, reden immer weniger, bis sich der Aufwand zum Hörer zu greifen nicht mehr zu lohnen scheint und wir es ganz sein lassen. Später werden wir dann samt Enkelkindern und Fotoalbum auf dem Wohnzimmersofa sitzen und auf die Frage „Wer ist das Oma“, nur mit „Eine Freundin mit der ich mich irgendwie auseinander gelebt habe“ antworten können“. “Warum denn, Oma“ wird das Kind auf unserem Schoß zu quengeln beginnen und wir werden nicht wissen, was wir darauf antworten sollen und sagen lieber gar nichts – so wie damals.
Aber es ist auch eine verzwickte Angelegenheit einer Freundschaft den Laufpass zu geben.
Theoretisch sind sicher die meisten der Ansicht, dass jede Beziehung – ganz gleich welcher Art – ein würdevolles Ende verdient hat. Praktisch aber können sich wohl nur die wenigsten vorstellen die betreffende Person an einem bewusst neutralen Ort zu treffen und das Ende der Freundschaft leise vor sich hin in eine Kaffeetasse zu murmeln. Wir würden all die Phrasen runter beten, die wir aus Trennungsszenarien kennen. „Wir wollen einfach zu unterschiedliche Dinge“ oder „Wir sind einfach zu verschieden“ oder besser noch „Es liegt nicht an dir“.
Nein. Das ist absurd und in unserem Fall auch einfach nicht wahr.
Denn wir wollen durchaus das Selbe, waren schon immer sehr verschieden und außerdem liegt es sehr wohl an ihr. Und an mir.
Es liegt an uns.
Nina und ich pflegen beide viele Freundschaften mit Menschen, die sich in völlig anderen Lebenssituationen befinden als wir selbst und das klappt dennoch. Auch völlig spontane Lebenswandel haben diese Freundschaften nicht verändert. Die einzige die plötzlich nicht mehr die selbe ist, ist unsere.
Ich verwerfe die Idee mit dem Kaffee. So sinnvoll und wichtig Kommunikation in Beziehungskrisen auch sein mag – genau diese funktioniert bei uns ja leider eh schon lange nicht mehr.
Also überlege ich sie anzurufen oder einen kurzen Brief zu schreiben. „Danke für die letzten 9 Jahre, meine liebe Wegbegleiterin, aber ich halte es für besser, wenn wir unsere Freundschaft an diesem Punkt beenden“ oder mit einem Zitat von Enno Bunger „Ich sehe unsere Namen im Abspann, ich schreibe Abschiedszeilen auf Papier“.
Das Für und Wider beschäftigt mich Wochen. Wochen in denen unser Kontakt gänzlich eingeschlafen ist.
An wieder einem dieser Grübel-Tage sitze ich gedankenverloren vor dem Rechner und überfliege Ninas Facebook-Profil. Erst kürzlich hat sie neue Fotos vom Taekwondo Kurs online gestellt, den sie scheinbar mit Bea besucht. Außerdem verrät mir ihre Seite, dass sie eine große Frühjahrsreise mit Laura plant.
Und dann zeichnet sich schlagartig ein ziemlich deutliches Bild unserer ganz offensichtlich längst zerbrochenen Freundschaft ab. Denn während ich mir ständig Gedanken über ein würdevolles Ende unserer gemeinsamen Zeit machte, hatte Nina diese schon lange beendet – ohne das ich das wusste.
Impulsiv greife ich zum Stift und schreibe Abschiedszeilen aufs Papier. „Ich wünsche dir von Herzen alles Gute“ steht da drin und „So schmerzhaft diese Einsicht auch ist, aber unsere Wege haben sich getrennt“. Mit diesen Zeilen im Gepäck, springe ich auf mein Fahrrad und mache mich auf den Weg zu Nina. Auch wenn sie es nicht für wichtig erachtet, einen ehrlichen und respektvollen Umgang mit dem Ende unserer Ära zu finden – mir ist es ein großen Anliegen, denke ich während ich in ihre Straße einbiege. Als ich vor ihrer Haustür stehe, gehe ich unsere gemeinsamen neun Jahre noch einmal im Zeitraffer durch, atme laut aus und werfe den Umschlag in den Briefkasten. In mir drin macht sich ein Gefühlschaos aus Trauer, Wut und Erleichterung breit.“Machs gut, Nina“, sage ich leise vor mich hin. Dann steige ich wieder auf mein Rad und mache mich, begleitet von den ersten Sonnenstrahlen in diesem Jahr, wieder auf den Heimweg.
Nachtrag einige Wochen später
Vor wenigen Tagen ereilte mich eine sehr traurige Nachricht und ich rief sofort meine gute Freundin Sarah an, um ihr davon zu berichten. Sie war sogleich zur Stelle. Keine 20 Minuten später schleuderte sie ihr Fahrrad gegen unseren Zaun, nahm gleich zwei Stufen auf einmal und hielt mich fest in den Arm. Fürsorglich wie sie ist, kochte sie uns eine große Kanne Tee, setzte sich zu mir aufs Sofa und sagte „So, nun erzähl mal ganz in Ruhe, ich hab die ganze Nacht Zeit“
Und während ich in Sarahs Armen liege, sie mir meinen Kopf streichelt und ich ihr währenddessen die beige Bluse nass weine, denke ich: „Nina anzurufen, kam mir nicht einmal mehr in den Sinn“.
* Name von der Redaktion geändert