Jessie Ware live @ Astra Kulturhaus Berlin:
„Don’t ask for encores, they are fucking stupid”
Schwarzes Outfit, weißes Bühnenbild. Showelemente? Nicht im Entferntesten. Jessie Ware liebt es schlicht. Sie hat diese unnahbare Eleganz und eine gewaltige Stimme zugleich. Mit ihrem aktuellen Album „Devotion“ war sie nun zu Gast in Berlin. Doch wer großes Schauspiel erwartet, der ist bei Jessie Ware an der falschen Adresse: sie kam, sie sang, sie ging. Aber wie sagt man so schön: wer hat, der kann. Und sie hat.
Wenn man als Nicht-Berliner nach Friedrichshain kommt und auf den Hof des Astra Kulturhauses abbiegt, dann mag man ob des von außen etwas heruntergekommenen Zustandes vielleicht erschrecken. Doch eins ist mir jetzt klar: Wenn ich das nächste Mal auf der Brücke an der U-Bahn Station Warschauer Straße stehe, linker Hand die o2 World, rechter Hand das Astra Kulturhaus – ich würde wieder rechtsherum gehen. Vielleicht auch in der Hoffnung wieder ein solches Konzert zu erleben wie das am vergangenen Wochenende.
„Jessie Ware? Kenn ich nicht!“
Das war durchgehend der Kommentar meiner Kollegen als ich von meinem Wochenendtrip nach Berlin erzählte. Sollte man aber. Denn nicht nur ihre Musik hat einen ganz eigenen Sound, auch mit Stimme kann sich die 28-jährige Britin ohne weiteres mit Neo-Soul Größen wie Alicia Keys, Joss Stone oder Lauryn Hill messen. Dabei wollte sie eigentlich nie in der ersten Reihe stehen. Zumindest nicht in der Musik. Sie studierte englische Literatur, plante eine Karriere als Anwältin. Dann plötzlich ein Engagement als Backgroundsängerin für den Singer- und Songwriter Jack Peñate. Doch den Gedanken an eine Solo-Karriere hatte sie, laut Rolling Stone, lange Zeit nicht. „I just didn’t think [music] was a realistic thing.”
“Sophisti-Pop? Kenn ich nicht!”
Sollte man aber. Auf Deutsch: anspruchsvolle Popmusik. Es ist eine Mischung aus Neo-Soul und Elektropop, mit der Jessie Ware sich von den anderen glattgebügelten Popkünstlern abhebt. Voluminöse Bässe, atmosphärische Synthesizersounds, zwischendurch ein paar kantige Gitarrenriffs. Die raffinierten und zugleich eingängigen Melodien spielen mit den verschiedenen Facetten ihrer Stimme und rücken sie in den Vordergrund ihrer Songs. Live kommt ihre Ausnahme-Stimme dabei noch besser zum Ausdruck als bei den Studioaufnahmen. Selbst bei einem Song wie „Pieces“, bei dem der Wechsel von hohen, ausdrucksstarken Refrains und tiefen Strophen einem echten Spagat der Stimmbänder bedarf, sitzt jeder Ton. Die Backingvocals kommen zwar auch beim Live-Konzert nur vom Soundpad, geben Songs wie „Running“ und „Wildest Moments“ aber unglaublich viel Raum. Musik zum „Hineinfallen“.
„Keine Zugabe? Wo gibt’s denn sowas?“
Bei Jessie Ware. Sie weiß was sie will. Und sie weiß, was sie nicht will. Und sie versucht nicht jemand zu sein, der sie nicht ist. „I feel more like a singer than an artist“, sagte sie gegenüber dem Guardian. Und das merkt man auch. Zwischen den Songs lässt sie manchmal ein paar freche Sprüche fallen oder sie erzählt von Überraschungseiern, die die Stimmbänder verkleben. Das ist alles, was man an Publikumsinteraktion von einem Jessie Ware Konzert erwarten kann. Wahrscheinlich wäre ich günstiger weggekommen, wenn ich mir das Konzert hinterher bei Youtube angesehen hätte. Viel anders wäre es nicht gewesen. Und ich hätte mich nicht mal über das fummelnde Pärchen vor mir aufregen müssen. Dennoch hätte ich mich dann nicht live von einer Künstlerin überzeugen können, die ihren ganz eigenen Sound geschaffen hat und die beweist, dass es auch noch Sängerinnen gibt, die ohne Auto-Tune die Töne treffen. Da verzichtet man im Sinne der Kunst auch gerne mal auf die Zugabe.
Sina-Mareike Schulte