Zukunft der Stadt – Zukunft der Region
Rassismus ist braun, trägt Glatze und Springerstiefel und dass man ihn sogleich erkennt; ein riesiges Hakenkreuz auf der Brust. Rassismus war damals. In unseren Geschichtsbüchern steht’s ja schließlich auch geschrieben. Der Mann mit der zu kurz geratenen Popelbremse über der Oberlippe ist böse. Der Inbegriff von Rassismus.
Aber der ist ja tot.
Gott sei Dank.
Rassismus? Heute? Aus der gesellschaftlichen Mitte?
Ein Irrtum! Oder doch nicht?
Pegida, Hogesa, die AfD und der europaweite Rechtsruck verdeutlichen, dass Rassismus wieder salonfähig geworden ist – auch in Bremen.
Es ist ja nicht so, als würden wir uns mit dem Thema Rassismus nicht beschäftigen.
Nein. Schließlich haben wir in der Schule zur Genüge Goebbels Sportpalast-Rede im Ethik-Unterricht diskutiert, haben ehemalige Konzentrationslager besucht und das totalitäre Regime unter Hitler aufs Schärfste verurteilen gelernt. Uns wurde beigebracht wie Nazis früher und Neonazis heute aussehen und dass Rassismus kein gegenwärtiges Problem unserer modernen Gesellschaft ist.
Denn Nazis sind nur eine Randerscheinung und auf den ersten Blick zu erkennen: sie tragen Glatze, Springerstiefel und ein Hakenkreuz auf der Brust, schreien „Ausländer raus“ und andere fremdenfeindliche Parolen.
Wir wissen, dass Neonazis vor allem im Osten wohnen und nur deutsche Bananen essen, sie schlecht gebildet und meist arbeitslos sind und außerdem Bier aus Dosen trinken.
Kurzum: Sie sind deutlich zu unterscheiden von den „normalen Menschen“.
Dass dem eben nicht so ist und Rassismus schon längst die bürgerliche Mitte erreicht hat, ist der breiten Masse wohl spätestens bei der letzten Bundestags- und Europawahl aufgefallen. Der für viele völlig überraschende Wahlerfolg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland und dem prozentualen Zuwachs weiterer rechts-konservativ bis rechtspopulistischer Parteien in der gesamten EU hat das unbestreitbar zum Vorschein gebracht.
Dass sich also auf diesem vergifteten Boden eine soziale Bewegung wie die der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes – kurz Pegida, etablieren kann, scheint daher weder verwunderlich, noch überraschend.
Was ist Pegida ?
Die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes entstand ursprünglich durch eine von Lutz Bachmann gegründete Facebook-Gruppe, die sich gegen eine Solidaritätskundgebung für die in Deutschland verbotene PKK richtete. Schnell bekam diese Zuwachs und politprominente Unterstützung durch den ehemaligen FDP-Stadtratskandidat Däbitz aus Meißen, der sogleich eine großangelegte Demonstration gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes forderte.
Der erste Pegida-Spaziergang fand am 20. Januar in Dresden statt und zählte 350 sich selbst als „besorgte Bürger“ bezeichnende Sympathisant_Innen, die sich für eine Null-Toleranz-Politik, den „Schutz der Identität der jüdisch-christlichen Abendlandkultur“ und eine konsequente Abschiebepolitik aussprachen.
Die Spaziergänge finden seitdem wöchentlich montags in Dresden statt und zählten am 08. Dezember 2014 mehr als 10 000 und 5 Wochen später schon 25 000 Teilernehmer_Innen.
Seit Dezember kommen darüber hinaus unzählige Pegida-Ableger in anderen großen Städten dazu, die ebenfalls unter dem Deckmantel der Sorge ums „eigene“ Land Hetze gegen den Islam und Flüchtlinge betreiben.
Viele der Ableger-Demonstrationen werden zu Teilen massiv vom rechten Lager unterstützt und sogar initiiert.
So wurde zum Beispiel in Bonn die Bogida-Demo maßgeblich von der rechtsextremen Bürgerinitiative NRW in Gang gesetzt, in München vom ehemaligen Generalsekretär der rechten Partei „Die Freiheit“ und in Berlin von dem ehemaligen „Die Rechte“-Mitglied Schmitt.
Dass die Bewegung immer weiter vom rechten Rand unterwandert wird, rechtsradikale Bündnisse, rechtsextreme Hooligans und Mitglieder rechter Parteien in Dresden und anderen Städten mitlaufen, scheint die Masse der Pegida-Teilnehmer_Innen nicht zu stören.
Als Nazis wollen sie sich nicht verstehen und betonen immer wieder, dem rechten Rand nicht anzugehören, sondern einfache Bürger aus der gesellschaftlichen Mitte zu sein. Dennoch stimmen sie enthusiastisch mit in die fremdenfeindlichen Parolen ein, brüllen Nazi-Vokabular wie „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ ins Mikro oder vor sich hin und tragen stolz ihre selbstgemalten Transparente mit Aufschriften wie „Deutschland den Deutschen“ durch die Innenstädte.
Die Wut der Pegida-Teilnehmer_Innen richtet sich aber nicht nur gegen die vermeintlichen sozial schmarotzenden Asylbewerber_Innen, Wirtschaftsflüchtlinge und sogenannten integrationsunwilligen Ausländer_Innen, sondern auch gegen alle von ihnen als „Gutmenschen“ bezeichneten Bürger_Innen, die sich gegen Rassismus, Rechtspopulismus und für eine humane Einwanderungs- und Asylpolitik einsetzen. Der Hass gilt dabei insbesondere den politisch linken und linksradikalen Menschen, die bei Pegida alle stumpf unter dem Namen „Antifa“ zusammengefasst werden und denen mehr und mehr Hass in Form einer immer größer werdenden Anti-Antifa-Bewegung entgegengebracht wird.
Nein, nicht alle Sympathisant_Innen sind Nazis, auch die deutsche Tradition des stumpfen Mitlaufens wird bei Pegida gepflegt und selbst der noch ungeklärte Mord an einem 20-jährigen Flüchtling am Abend des 12. Spaziergangs von Pegida in Dresden, ändert bis heute nichts daran, dass die rassistische Bewegung stetig wächst.
Ereignisse wie der brutale Mord der 12 Redakteure des Satire Magazins „Charlie Hebdo“ in Frankreich durch zwei mutmaßliche Islamisten oder das Massaker in Nigeria durch die terroristische islamistische Gruppierung „Boko-Haram“, bei dem kürzlich mehr als 2000 Menschen barbarisch ermordet wurden, feuern die Bewegung nur noch weiter an. Ungeachtet der Tatsache, dass Flüchtlinge vor genau dieser Radikalisierung und dem Islamischen Staat fliehen, wird weiterhin von integrationsunwilligen, islamistischen Asylant_Innen gesprochen, dessen Ziel es ist, die westlichen Werte zu vernichten und die globale Islamisierung voranzutreiben.
Die von Pegida-Teilnehmer_Innen oft geäußerten Ängste vor dem Aufbau eines Islamischen Staates in Deutschland, der Zwangs-Konvertierung zum Islam und der vollkommenen Verdrängung „unserer“ jüdisch-christlichen Abendlandkultur, können daher in keinster Weise als begründete Sorgen ernst genommen werden.
Wer ist Pegida – eine fragwürdige Studie ?
Doch wer sind diese Menschen, die ihrem Unmut und ihrer Wut wöchentlich auf den Straßen in Dresden und anderen Städten Luft machen?
Der Politologe Professor Hans Vorländer hat sich als erster dieser Frage angenommen und eine Studie über Pegida in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der Befragung von 400 Teilnehmer_Innen in Dresden nach den Gründen für ihre Teilnahme an den Spaziergängen, ging in den vergangenen Tagen massig durch die Medien.
Der Studie zufolge gaben 54 Prozent der Befragten an mit der deutschen Politik und 20 Prozent mit den deutschen Medien unzufrieden zu sein. Nur rund 5 Prozent haben laut dieser Studie Angst vor einer religiösen oder ideologisch motivierten Gewalt in Deutschland.
Desweiteren konnte Vorländer und sein Team der TU Dresden im Rahmen der Studie feststellen, dass der typische Pegida-Teilnehmer männlich, Mitte 40, berufstätig, gut gebildet, parteilos und Dresdener ist.
Viele Medien schienen diese Statistik freudig, kritiklos und erleichtert aufzunehmen, bildet sich doch in dieser ab, dass es sich bei den Pegida-Anhänger_Innen wahrlich nicht um Nazis oder Rassisten handele, sondern schlicht um einfache Bürger der gesellschaftlichen Mitte, die Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg haben.
Vorländer hat damit also scheinbar bewiesen, dass es nicht rassistische Gründe sind, die die Dresdener_Innen auf die Straße treiben, sondern eine allgemeine Unzufriedenheit.
Rassismus aus der Mitte? In Deutschland?
Sag ich doch – gibt es nicht!
Viel zu selten und nur am Rande erwähnten die meisten Medien, dass mehr als Zweidrittel der Befragten überhaupt keine Angabe zu den Gründen ihrer Teilnahme machen wollten und dem Rat von Lutz Bachmann und Co., sich nicht auf die Presse einzulassen und jede Aussage zu verweigern, Folge leisteten. Dass vor allem Teilnehmer_Innen mit radikalerem Meinungsbild die Antwort also verweigerten, ist durchaus denkbar.
Da die Studie von Vorländer in ihrer Statistik die antwort-verweigernde Zweidrittel-Mehrheit nicht einmal mit aufgreift, wirkt diese stark verharmlosend und zeichnet ein Bild, was dem der Realität nicht zwangsläufig entsprechen muss.
Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat in einem Artikel über Vorländers Studie jene 800 wortkargen Demonstrierenden in die Statistik mit aufgenommen. Das Ergebnis ist eine völlig neue Statistik, die erahnen lässt, dass es sich bei den Teilnehmer_Innen in keinster Weise mehrheitlich um besorgte Bürger_Innen mit Abstiegsangst handelt.
Rechtsruck auch in Bremen
Auch die rote Hochburg Bremen erlebt derzeit einen spürbaren Rechtsruck. So hat sich im vergangenen Jahr aus dem nicht abebben wollenden großen Protest gegen ein Flüchtlingsheim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Farge die breite Bürgerinitiative „Nicht mit uns“ entwickelt, die im Mai wohl möglich sogar unter dem Namen „Die Bremer Bürger“ zur Bürgerschaftswahl antreten wird.
Bei dem Flüchtlingsheim in der Rekumer Straße handelte es sich um vier (!) jugendliche, straffällige Flüchtlinge, die dort unter ständiger Aufsicht untergebracht werden sollten.
Neben diesem neuen Bündnis wird auch die rechtspopulistische Partei „Bürger in Wut“ unter wachsendem Zulauf wieder zur Bürgerschaftswahl antreten. Martin Korol und Co. setzen sich für eine Bürgerwache und kontrollierte Zuwanderung ein.
Schenkt man den Prognosen für die kommende Bürgerschaftswahl Glauben, so ist es außerdem durchaus möglich, dass sich auch in Bremen die Alternative für Deutschland, die ihre Nähe zur Pegida-Bewegung erst kürzlich offen bekundet hat, in der Bremer Bürgerschaft etablieren kann. Ihren nächsten Bundesparteitag hält die AfD am 31. Januar zumindest schon einmal euphorisch in der Bremer Hansestadt ab.
Neben all diesen realpolitischen Begebenheiten scheint sich darüber hinaus zusätzlich auch in Bremen ein Pegida-Ableger zu formieren, der derzeit eine Bregida-Demonstration für den 2. oder 9. Februar nach dem Dresdener Modell plant und in ähnlicher Manier Hetze gegen den Islam und Asylsuchende betreiben wird.
Zwar kann bei der Bewegung des Bremer Pegida-Bündnisses nach aktuellem Stand nicht von einer Welle des Rassismus gesprochen werden, da sich die Sympathisant_Innen-Zahl auch nach zwei monatiger Facebook-Präsenz nur auf 600 Likes beschränkt und viele dieser Likes von Pegida-Anhänger_Innen anderer Bundesländer stammen, doch auch hier gehören zahlreiche Bregida-Sympathisant_Innen dem rechtsradikalen Milieu an.
Bremen muss sich positionieren
Für die Hansestadt gilt selbiges wie für alle anderen Städte derzeit in Deutschland – sie muss sich positionieren. Überall finden parallel zu den Pegida-Veranstaltungen große Gegendemonstrationen statt, die von linksautonomen Bündnissen bishin zu kirchlichen Initiativen organisiert werden. In einigen Städten, wie Hannover, konnten mehrere hundert bis tausend Pegida-Kritiker_Innen den Spaziergang durch eine Blockade verhindern, in anderen Städten wiederum forderten unterschiedliche Bündnisse Kirchen und Unternehmen dazu auf, ihre Beleuchtung für den Zeitraum der Pegida-Demo auszuschalten, anderorts kritisierten Politiker_Innen die rassistische Bewegung indem sie für die Gegendemo mobilisierten.
Wie Bremen sich dem scheinbar salonfähig gewordenem Rassismus aus der Mitte gegenüber positioniert, wird sich zeigen.
Derzeit wird von dem gewerkschaftlichen „Bündnis gegen Rassismus und Rechtspopulismus“ und dem linksradikalen „Bündnis gegen Nationalismus“ eine große Veranstaltung gegen Rechtspopulismus und Rassismus für den 31. Januar 2015 organisiert.
Die Demo, zu der auch Jugendorganisationen der Grünen und der SPD, als auch die Studierendenvertretung der Hochschule und Universität Bremen aufrufen und welche um 13 Uhr vom „Brill“ aus startet, ist in jedem Fall eine gute Gelegenheit für alle Bremer_Innen sich gegen Rassismus, Hetze und Rechtspopulismus zu positionieren.
Anna Siewert