Das Feuilleton ist begeistert, Politiker jubeln und Medienjournalisten prognostizieren die Ablösung des klassischen Fernsehens. Ist der Hype begründet oder sind es bloß verzweifelte Jubelschreie einer Generation, die sich um die angebliche Politikverdrossenheit sorgt?
Es ist still und düster, man blickt auf eine Haustür. Ein Quietschen, ein Krachen. Gejaule. Die Tür öffnet sich und Frank Underwood tritt heraus auf den Bürgersteig. Er blickt in beide Richtungen und geht zur angrenzenden Straße. Underwood und sein Personenschützer blicken auf einen angefahrenen Hund. „Haben Sie was gesehen?“ „Einen blauen Toyota – sonst nichts.“ Es ist das Haustier der Nachbarn. „Er wird es nicht schaffen“, konstatiert Underwood. Mit Sch-Lauten versucht er den Hund zu beruhigen. Dann blickt er direkt in die Kamera. Jetzt redet er mit uns, den Zuschauern: Es gäbe zwei Arten von Schmerz. Den, der einen stärken würde, und sinnlosen. Man hört ein dumpfes Knacken. Letzteres müsse beendet werden, führt er fort, doch wer würde sich dafür schon bereit erklären? Frank Underwood hat den Hund getötet – oder, wie er den Zuschauern verdeutlichen will, erlöst.
Damit läutet er die Serie „House of Cards“ ein.
Am Dienstag, den 16. September 2014, startete das Video-on-Demand Portal „Netflix“ in Deutschland. Die Serie „House of Cards“, die erstmals 2013 erschien, war wohl einer der Gründe für den großen Erfolg des Portals in den USA. Und gleichzeitig verändert der Streaming-Dienst damit das gesamte Fernseherlebnis: Die Serie bedarf keiner nervigen „Das geschah letzte Woche“-Einspieler zu Beginn jeder Folge und kann komplexe Handlungsstränge entwickeln, da der Zuschauer nun, sofern er sich dazu entschließt, mehrere Folgen am Stück schauen kann. Das erklärt auch die starken Zugriffszahlen im Netz und eher schwachen Quoten im TV. Netflix stellt alle Episoden einer neu produzierten Staffel gleichzeitig online.
Screenshot der Anfangssequenz
Tomorrow: @HouseOfCards. No spoilers, please.
— Barack Obama (@BarackObama) 13. Februar 2014
Obama bittet Euch, nicht zu spoilern.
Doch was macht die Serie so spannend? Der demokratische Fraktionsführer Francis (meist: Frank) Underwood, grandios gespielt von Kevin Spacey, hat neben seiner Frau Claire (Robin Wright), die eine Wohltätigkeitsorganisation leitet, eine große Liebe: Die Macht. Und im Streben nach ihr können die Ehepartner ihre Kräfte vereinen. Beim Greifen nach ihr geht jedoch etwas schief. Der neu gewählte demokratische Präsident, dem Underwood zum Sieg verhalf, löst sein Versprechen nicht ein und wählt einen anderen Politiker als Außenminister. Diese Entscheidung teilt ihm nicht etwa das neue Staatsoberhaupt selbst mit, sondern seine Stabschefin Linda Vasquez, die Underwood erst aufgebaut hat. Underwood glüht innerlich vor Wut, doch versichert ihr seine Loyalität. Mit seiner Frau schmiedet er daraufhin Rachepläne, die dem Präsidenten schaden und, das wird jedenfalls angedeutet, ihn selbst in Vasquez’ Position hieven sollen. Die Journalistin Zoey Barns, gespielt von Kate Mara, möchte ihm dabei helfen – im Austausch gegen exklusive Informationen. Und auch Peter Russo, demokratischer Abgeordneter in Pennsylvania, der sich nicht ganz im Griff zu haben scheint, wird erst von Underwood gerettet und dann in seine Intrigen eingespannt. Er deutet zu Beginn beider Verpflichtungen an, dass er entschlossen ist und im Ernstfall nur an sich selbst denkt. Zu Zoey Barns sagt er anfangs, sie säßen jetzt beide in einem Boot, und notfalls könne er nur einen retten. Wen Underwood damit meint, ist offensichtlich.
Episode für Episode wird deutlicher: Ganz so unrealistisch ist das alles nicht. Das hat auch einen guten Grund. Michael Dobbs, früher im Stab von Margaret Thatcher und immer noch aktiver Politiker, lieferte mit seinen Büchern über die moralischen Abgründe der konservativen Politiker und ihren Verflechtungen im Journalismus reichlich Grundlage für die Eigenproduktion von Netflix. Des Weiteren diente eine BBC-Adaption als Grundlage. Der grandiose Regisseur David Fincher ist zusammen mit Dobbs und Kevin Spacey als Executive Producer im Einspieler genannt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk gibt er aber zu, eine untergeordnetere Rolle zu spielen, als der Titel glauben machen will. Trotzdem fliegt er, wenn möglich, zum Drehort. Das Interessante an der US-Version der Serie, was sie gegenüber der BBC-Adaption abhebt, ist Underwoods politischer Hintergrund: Er kommt aus South Carolina, aus dem konservativen Süden, und ist Demokrat. Als wollte die Serie die Desillusion vieler Linker verdeutlichen, ja vielleicht sogar nachvollziehbar machen: Versprechen verlaufen im Sande oder werden als politisch kaum durchsetzbare Verheißungen entlarvt.
Kevin Spacey spielt diesen intrigenspinnenden Machtmenschen gekonnt, mit süffisantem Lächeln, unaufgeregter Stimme (im Original wie in deutscher Synchronversion) und selbstbewusster, immer haltungwahrender Art. Die Atmosphäre passt zu dieser Darstellung und ist meist düster – erzeugt durch den Soundtrack von Jeff Beal und durch Szenen, die wirken, als wären sie nur in Grautönen gedreht. Ein stilistisches Mittel, das bereits in der BBC-Adaption verwendet wurde, ist der direkte Kontakt Underwoods zu seinen Zuschauern. Er erklärt sein Vorhaben und weist auf Dinge hin, auf die er, wenn eingetreten, zum Beispiel mit einem kurzen Zwinkern noch einmal verweist. Dazu richtet er den Blick in die Kamera, als würde die Zeit kurz anhalten. Er nimmt einen an die Hand. Also mag man diesen Kerl irgendwie, er weiht einen schließlich freimütig in seine tiefsten Geheimnisse ein. Er manipuliert, und macht dabei nicht bei den fiktiven Charakteren halt.
Bleibt abzuwarten, ob, und wenn ja, wann das Kartenhaus einstürzt.
Die ersten beiden Staffeln sind auf Bluray und DVD erschienen und waren bereits im Free-TV auf ProSieben MAXX und Sat.1 zu sehen. Die dritte Staffel erscheint am 27. Februar 2015 auf Englisch und wird bei Netflix veröffentlicht.
Übrigens: Wer House of Cards guckt, ist in mächtiger Gesellschaft. Barack Obama und Bill Clinton zählen, so wie viele deutsche Politiker, zu den Fans der Serie. Die Clinton Foundation und Kevin Spacey in der Rolle Frank Underwoods schenkten ihm anlässlich seines 68. Geburtstags dieses Video. Obama hat die zweite Staffel angeblich innerhalb eines Tages geguckt.
Paul Fenski