Man wacht in einem fiktiven russischen Dorf nach einer ungeklärten Virus-Epidemie auf und wird von computergesteuerten Zombies und anderen überlebenden Mitspielern via Internet verfolgt. Soweit ganz normal. Doch die Story hinter der Entwicklung des post-apokalyptischen Multiplayerspiels ‘DayZ’ ist eine ganz eigene. Sie zeigt, wie ein unabhängiges kleines Entwicklerstudio den nächsten großen Wurf auf dem Markt der Computerspiele landen will und schon zwei Jahre vor der offiziellen Veröffentlichung mit Verkaufszahlen für Aufsehen sorgt.
Bei einem Blick auf die offizielle Internetseite von DayZ springt einem sofort eine imposante siebenstellige Zahl ins Auge: Über 2,4 Millionen „Survivors“ gibt es bereits (Stand: August 2014). Mit Survivors meint der Entwickler Bohemia Interactive die Zahl der Verkäufe des Spieles über Steam, einer Vertriebsplattform für Computerspiele. Dabei ist das Spielprinzip so simpel wie fesselnd: Auf einer im Vergleich zu anderen Spielen unendlich groß-wirkenden Map mit über 255km² startet jeder Survivor an einem zufälligen Punkt und ist zunächst auf sich alleine gestellt. Es gibt keine Runden oder Levels und auch die Anzahl an Erfolgen wird nirgendwo festgehalten: Das einzige Ziel ist es, sich so lange wie möglich gegen computergesteuerte Zombies und andere Multiplayer-Kontrahenten durchzukämpfen oder mit ihnen zu kooperieren. Dabei muss der Spieler in verwaisten Unterkünften nach Lebensmitteln, Medikamenten und Verteidigungsinstrumenten Ausschau halten. Bei Misserfolg wird der Bildschirm schwarz und man startet wieder zufällig auf der Karte, die größer ist als die Fläche der Stadt Frankfurt am Main.
Der Anfang des Erfolgs
Das Spiel aus dem Hause Bohemia Interactive kommt zwar voraussichtlich erst 2016 auf den Markt und befindet sich momentan erst in einer sehr frühen Entwicklungsphase, trotzdem wurde das Spiel innerhalb des ersten Monats der frei verfügbaren Early-Access-Alpha-Version bereits über 170.000 Mal heruntergeladen und spülte so umgerechnet über vier Millionen Euro in die Kasse des tschechischen Entwicklerstudios.
Warum so viele Leute auf Anhieb das Spiel gekauft haben und was das Erfolgsrezept ist, haben wir Andreas “pre“ Lenski gefragt, seines Zeichens ehemaliger GIGA und ESL-TV Moderator, der sich ebenfalls kurz nach Erscheinung der Alpha-Version das Spiel zugelegt hat und sich nach wie vor damit auseinandersetzt.
Aus Andreas’ Sicht spielen mehrere Faktoren eine Rolle für den Erfolg von DayZ: Zum einen war die ursprüngliche DayZ-Mod für das Spiel Arma II schon sehr erfolgreich – so wusste der Spieler im Grunde schon was ihn erwartet und braucht für DayZ kein anderes Spiel mehr: es gibt nach wie vor viele Personen, die sich nicht an Mods und deren Installation herantrauen und davon Abstand nehmen. Außerdem sind Zombies nach wie vor angesagt und gepaart mit dem Genre Survival Horror und dem Open World-Modus, ergibt sich ein interessantes Szenario.
Keine vorgegebene Story
Im Unterschied zu vielen Spielen mit einer mehr oder weniger stringenten Handlung, die mit Cut-Szenen eine filmähnliche Atmosphäre aufbauen, generiert sich in DayZ die Story von selbst: Durch die große Entscheidungsfreiheit ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, die dem Spieler offen stehen. Dadurch entwickeln sich die skurrilsten Geschichten durch die Interaktionen der Spieler selbst – wie etwa die von Morgan Freeman, der aus unerklärten Gründen auch in einem der russischen Dörfer von DayZ gelandet ist:
Entgegen der Entwicklung
Ursprünglich sind sogenannte Alpha- und Beta-Versionen der PC-Spiele nur einem kleinen und geschlossenem Kreis an Personen zugänglich, die den Entwicklern bei der Auffindung von Bugs und der allgemeinen Verbesserung des Spielerlebnisses durch Berichte helfen sollen. Zugänge zu Beta-Versionen waren bis vor ein paar Jahren meistens durch diese Exklusivität ein besonderer Anreiz für die Spielergemeinschaft, weil nicht jeder sofort einen Zugang bekommt.
Spielepublisher wie Electronic Arts haben den Begriff Beta-Version in den letzten Jahren ausgeweitet und aus den sogenannten ‘Beta-Versionen’ eine Marketingaktion gemacht: Viele Leute wurden bereits frühzeitig in die Beta eingeladen, ohne dass diese konkretes Feedback auf das Spielerlebnis für die Entwickler hinterlassen – es ging vielmehr darum, die Leute vom zukünftigen Spiel zu überzeugen, Vorbestellungen zu generieren oder den Servern einem Vorab-Stresstest zu unterziehen. Die Grenze zwischen einer klassischen Demo-Version und einer Beta-Version verschwanden so.
Ein weiterer Trend sind die immer kürzer werdenden Veröffentlichungszyklen: Neben der jährlich erscheinenden FIFA-Fußballsimulation mit der passenden Jahreszahl, erscheinen die anderen Zugpferde der großen Entwickler wie EA, Ubisoft und Activision wie etwa Call of Duty, Battlefield, Assasin’s Creed oder Need for Speed zum Teil mehrmals im Jahr – der Käufer wird dann noch durch sogenannte Add-ons oder Downloadable Contents (DLCs) motiviert, weiteres Geld in das bereits zum Vollpreis erworbene Spiel zu stecken. Diese Entwicklungen sehen Experten kritisch, die Vorfreude auf den nächsten Titel der Serie kann so kontinuierlich abnehmen.
DayZ geht da einen anderen Weg: Im Zeitraum, in dem Electronic Arts mehr als zwei FIFA-Vollversionen veröffentlicht, lassen die Entwickler von DayZ jeden an der nicht-fertigen Version des Horror-Survival-Games teilnehmen. Dabei muss der interessierte Spieler einfach nur den momentanen Preis (aktuell: 25,99 Euro) bezahlen – der Preis steigt mit der zunehmenden Fertigstellung: einmal bezahlt, hat man jedoch schon bereits das 2016 erscheinende Vollpreisspiel erworben und muss für alle dazwischen hinzugefügten Elemente des Spiels keinen Taler mehr auf den Tisch legen.
Ausblick
Dean Hall, der Erfinder und die treibende Kraft hinter DayZ, verlässt das Entwicklerstudio Ende dieses Jahres, weil er selbst mit der Entwicklung des Spiels nicht einverstanden ist. Trotzdem hat er in der vergangenen Woche auf der GamesCom in Köln angekündigt, dass eine Konsolenversion für die PlayStation 4 ebenfalls in der Mache ist. Der Abgang von Dean Hall ist dabei aber nicht der einzige Faktor, der den zukünftigen Erfolg von DayZ beeinflussen kann: Seit dem Release der ersten Early-Access-Alpha-Version im Dezember 2013 gibt es zahlreiche Ableger von DayZ, die im immer beliebter werdenden Genre ‘Horror Survival’ ein Stück vom Kuchen abhaben wollen.
Eine weitere wichtige Rolle spielen die hohen Erwartungen der Community an das fertige Produkt. Experte Lenski denkt sogar, dass die Erwartungshaltung bereits utopische Züge angenommen hat. „Die Community hat schon extreme Vorstellungen, wie das Spiel auszusehen hat. Im Grunde möchte man ein der realen Welt nachempfundenes Spiel mit identischer Physik, Ballistik, Geologie und ausgeprägtem Wildleben. Und realistische Zombies. Man muss das Spiel irgendwann einmal als “fertig” betrachten, denn die Entwickler wollen sicher auch mal wieder Geld verdienen und das geht dann vermutlich leichter mit einem DayZ Teil 2. Aber das Spiel macht bereits jetzt sehr viel Spaß und wöchentlich kommt neuer Inhalt hinzu. Dean Hall sagte, er werde auf keinen Fall ein halbfertiges Spiel hinterlassen. Diesen Eindruck hat man zurzeit auch. Außerdem wurde DayZ ja auch kürzlich auf der GamesCom für die PS4 angekündigt. Dort werden sie ja keine halbfertige Alpha-Version anbieten.
Julian Koldewey