Martin Scorsese läuft erneut zu Höchstformen auf: mit „The Wolf Of Wall Street“ ist dem Regisseur nicht viel weniger als ein kleines Meisterwerk gelungen! Unsere KROSSE-Redakteure Marian und Chris haben sich drei Stunden lang Scorseses neusten Film angesehen und erzählen euch ad hoc, ohne Bedenkzeit und ohne Punkt und Komma, was sie davon halten.
Worum gehts?
Der junge Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) will es an der Wall Street zu Geld und Wohlstand bringen. Doch gerade, als es so richtig losgehen soll, crasht es gewaltig: der „schwarze Montag“. Nach dem gigantischen Börsendrama gründet Belfort seine Firma Stratton Oakmont und verscherbelt Billig-Aktien an gutgläubige Käufer. Der Markt ist profitabel. Bald schon visieren er und seine Firmenkollegen, allen voran sein Co-Founder Donnie Azoff (Jonah Hill) nicht mehr die mittelständischen Haushalte an, sondern wollen ihre Papiere an die Großkunden bringen. Natürlich ruft der gigantische Aufstieg der jungen Firma nach einiger Zeit auch das FBI und den Ermittler Patrick Denham (Kyle Chandler) auf den Plan.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist der Charakter Jordan Belfort. DiCaprio spielt seine Rolle unglaublich charismatisch und authentisch, sodass es uns nicht schwer fällt, ihm 3,5 Stunden lang zu folgen, über seine Kaltschnäuzigkeit zu staunen oder einfach an seinen Lippen zu hängen: denn immer wieder durchbricht der Charakter die 4. Wand, um sich direkt an den Zuschauer zu richten und eine komplexe Betrugsstrategie zu erläutern, um dann ab der Hälfte abzuwinken und es auf den Punkt zu bringen: „was Sie doch eigentlich wissen wollen: war das alles legal? Natürlich nicht!“
Auch Jonah Hill in seiner Rolle als Donnie überzeugt und sorgt für einige der absurdesten und witzigsten Szenen aus dem ganzen Film. Und von denen hat „The Wolf Of Wall Street“ einige zu bieten. Bilder, die so ikonenhaft ausgerichtet sind, dass zukünftige popkulturelle Referenzen quasi vorprogrammiert scheinen: die Episode mit dem Teddybären oder die tablettenbedingte Lähmung Belforts sind denkwürdig inszeniert und kongenial in ihrer Absurdität. Ebenso natürlich das alltägliche Treiben in der Broker-Firma, das unter anderem ein paar Kleinwüchsige und eine gigantische Zielscheibe vereint (allein die Besprechung vor dem Vertragsabschluss – göttlich!)
Martin Scorsese ist virtuos darin, Höhenflüge (und die zwangsläufig daraus resultierenden Abstürze) zu inszenieren. So bereits geschehen beispielsweise auch bei seinen frühen Großtaten „Goodfellas“ (1990) und „Casino“ (1995). Und auch „The Wolf of Wall Street“ schlägt diese Richtung ein. Hierbei war auch ein anderer Faktor stets richtungsweisend und wirkte als weiteres Leitmotiv in Scorseses Werken: die Gewalt.
Wie ist das Teil?
„The Wolf of Wall Street“ ist kein Gewaltfilm. Denn das „Broker-Syndikat“ um Jordan Belfort wütet nicht mit Schusswaffen und blanken Fäusten wie einst die von Scorsese portraitierten Mafiaclans. Die Opfer der Betrugsstrategien sind zunächst Familien der (unteren) Mittelschicht, später dann Großinvestoren, die gutgläubig ihr Kapital in riskante Anlagen investieren.
Dennoch ist es ein expliziter Film. Denn wo die Gewalt kürzer tritt, da wird mehr Platz für Fäkalsprache und offenherzige Sexualität eingeräumt. Und auch die hat es in sich und auch wenn der abwertend-respektlose Broker-Jargon oder die überdrehten, ungehemmten Sexszenen geradezu überspitzt wirken, so bleibt es unterm Strich doch authentisch und nie bloß selbstzweckhaft. Für das satirische Portrait eines Börsenhais, der für seinen Erfolg sprichwörtlich über Leichen geht, sind die Ausschnitte aus seinem exzessiven Lifestyle jedenfalls von hoher Bedeutung.
Ein hochkarätiger und perfekt aufgelegter Schauspielcast, schrullige Charaktere und geniale Szenen ergeben ein höchst unterhaltsames Filmerlebnis. Was bleibt noch zu sagen: schaut euch „The Wolf Of Wall Street“ an. Schon jetzt einer der Filme des Jahres!
Marian Rossol und Christoph Thiele