Sonntagmittag stapfte ich etwas orientierungslos, einer großzügigen Einladung folgend, über ausgestorbene Bremer Hinterhöfe. Vorbei an Werkstätten, verschlossenen Türen, verhangenen Fenstern und einem Fetischtreff (!). Mein Ziel war die Kalle-Co-Werkstatt in der Neustadt.
DIY-Paradies, wo einen die Muse küsst, wie man es sonst nur in Hamburg, Berlin und anderen hippen Großstädten erwarten würde. Was da so alles verwirklicht werden kann und wie es mir erging mit Pasta, Packaging und packenden Gesprächen erfahrt ihr hier.
Unter einer Werkstatt, die den schroffen norddeutschen Namen „Kalle“ trägt, würde man etwas ganz anderes erwarten als diese großzügigen, hellen Räumlichkeiten, die jeden Inneneinrichter vor Neid erblassen lassen könnten. In Interieur und Dekoration ist hier gelungen, was ich in meinen eigenen vier Wänden schon seit Ewigkeiten angestrengt versuche, so mein erster Gedanke, als ich die Werkstatt betrete. Es wirkt wie ein modernes Gesamtkunstwerk, das den Betrachter aber nicht nur zum Schauen einlädt, sondern vor allen Dingen animiert, selber aktiv und kreativ zu werden. Empfangen werde ich von einem kleinen schwarz-weißen Hund (auch nur zu Gast), der fröhlich an mir hochspringt. Gleich danach kommt auch schon Saskia auf mich zu, um mich herzlich zu begrüßen.
Seit März 2013 gibt es die Kalle-Co-Werkstatt. Kalle, so erklärt mir Saskia Behrens, Inhaberin und Gründerin und offensichtlich absolutes Allroundtalent, steht für kreative Halle. Saskia sei vorher schon selbstständig gewesen und habe bei der täglichen Arbeit am Laptop einfach die Abwechslung vermisst, die haptischen Eindrücke, das körperliche Schaffen und auch die Anwesenheit von Menschen. Was eigentlich als Saskias Büro und Firmensitz von SCHORSE gedacht war, entwickelte sich so zu einem Ort, der von Menschen jeden Alters belebt und benutzt werden soll. „Co-Werken ist das neue Co-Worken“ ist die Idee dahinter. Ein buntes Miteinander von Menschen, die alleine oder gemeinsam an handwerklichen Projekten arbeiten oder sich die verfügbaren Arbeitsplätze mit ihrem Laptop zu Eigen machen. Egal, ob DIY-Guru oder blutiger Anfänger, alle sind willkommen und können je nach Bedarf für einen bestimmten Betrag Materialien und Werkzeuge nutzen. Zahlreiche gängige Bastelutensilien und Werkzeuge stehen zur Verfügung, aber auch Gerätschaften, die nur wenige Menschen zuhause haben. Darunter sind eine Siebdruckmaschine, Gravurgeräte, Nähmaschinen. Außerdem gibt es Folienplott, verschiedene Schleifgeräte, Lötkolben und vieles mehr. Wer sich genauer über die Angebote, Preise und Öffnungszeiten informieren will, kann das hier tun.
Auch für die Personen, die einen kleinen Anstoß benötigen, um in den DIY-Rausch zu geraten und deren kreative Ideen eher sparsam zum Vorschein kommen, gibt es Abhilfe: die Werkstatt bietet unterschiedliche Workshops an. Auch hier ist das Angebot breit gefächert, von Papierfalten über Häkeln, Nähen, Siebdruck, Möbelbau oder – wie in meinem Fall – Pasta selbst herstellen und in hübsche, selbst gebastelte Verpackungen eintüten, ist alles möglich.
Während wir also erst einmal ankommen und es uns in kleiner Runde zwischen Mehl, Eiern und Hartweizengrieß gemütlich machen, verrät uns Jutta, die Kursleiterin und Autorin des Blogs Popeyetalk, das uralte Pastarezept von Nonna Rosellina, einer echten italienischen Dame, der die Pasta gewissermaßen in die Wiege gelegt wurde. Und dann wird abgewogen, gemischt, geknetet und gekurbelt, bis alle freien Flächen von frischer Pasta überzogen sind und wir uns das mehrstöckige Trockengestell zu Eigen machen, das sonst nur für Gemaltes und Gedrucktes gedacht ist.
Saskia erklärt mir, dass es ihr wichtig sei, dass das Konzept für „Kalle“ keiner zu festen Konventionen bedarf. Wenn sich ein Konzert anbietet, das ihr gefällt, wird dieses Konzert stattfinden und wenn sie der Meinung ist, Pasta selbst herzustellen könnte ankommen, dann steht der Mehlschlacht nichts mehr im Wege.
Immer wieder spricht sie davon, dass das Projekt „Kalle“ noch am Anfang stehe und dass es auch die Besucher sind, die daran mitwirken und an der Entwicklung mitarbeiten. Und genau das kommt auch so rüber und wirkt sehr erfrischend. Alles wirkt durchdacht und gut vorbereitet, aber gleichzeitig offen für Anregungen. Die Materialien sind gegeben, die Werkzeuge stehen zur Verfügung, die Heißgetränke dampfen, die Kekse können genascht werden. Was aber letztendlich aus dem Angebot gemacht wird, das „Kalle“ offeriert, bleibt den Besuchern überlassen. Hier wird eine Trennwand aufgestellt, dort ein Tisch abgebaut und in der nächsten Ecke ein Sessel verschoben. Alles wirkt sehr dynamisch, wie ein Ort, der darauf wartet, genutzt und mit dem ganzen kreativen Potenzial seiner Besucher gefüllt zu werden.
Natürlich kann Saskia das ganze Projekt nicht alleine wuppen. Sie ist zwar die kreative Leitung des Projekts, aber auch Norman und Ralf helfen dabei, dass in der Werkstatt alles rund läuft.
Saskia, in bester Gastgeber-Manier, flitzt fleißig auf und ab, versorgt uns mit Heißgetränken und Keksen, zückt hier eine Schere und eilt dort nach einem Bleistift und nach 5 Stunden Pasta bestellten wir gemeinschaftlich Pizza, um in gemütlicher, bunt gemischter Runde zwischen Eiern und Hartweizengrieß zu speisen und zu plaudern.
Auch dem momentanen DIY-Hype wollte ich für euch einmal ein bisschen näher auf die Schliche kommen, wobei ich zugegebenermaßen schon lange selbst infiziert bin. Auf meine Frage nach einer bestimmten DIY-Philosophie, die sich hinter Kalle verbergen könnte, gibt Saskia ein paar gute Denkanstöße, die auch Bastelmuffel in Zukunft überzeugen könnten. Sie spricht von selbstverantwortlichem Handeln und einer gewissen Freiheit von Märkten und Konsum, ohne dabei zu dogmatisch und festgefahren zu wirken. Ihr sei es wichtig, eine bessere Relation und Wertschätzung zu den Dingen zu vermitteln und auch die Unabhängigkeit, die man erlangen kann, wenn man Dinge selber produziert. Und ich muss sagen, nie habe ich ein paar Nudeln mehr wertgeschätzt als nach dem Workshop, an dem ich 5 Stunden lang mit bloßer Hand versucht habe, aus viel trockenem Mehl und wenig feuchten Eiern einen geschmeidigen Teig zu kneten und jede Pasta mehrfach durch die Kurbel zu drehen, bis das erwünschte Ergebnis entstand. Aber neben all den edlen Bestrebungen soll das Ganze, und das ist besonders wichtig, vor allem Spaß machen und Menschen zusammen bringen. Und Spaß hat es gemacht und so fühlte sich ein Workshop mit Fremden durch die herzliche und lockere Atmosphäre am Ende fast wie ein Nachmittag mit Freunden an.
Gesa-Marie Böhme