Silvester – Die längste Nacht des Jahres
Wenn die politisch inkorrekte Weihnachtsgans verputzt ist und noch schwer im Magen liegt, die Tanne ihre letzten Nadeln lässt und die ungeliebten Verwandten samt ungewollten Geschenken endlich aus der festlich geschmückten Wohnstube verschwunden sind, ist es nicht mehr weit bis zum nächsten „Jahreshighlight“. Silvester oder „die Party des Jahrhunderts“ ist aber jedes Jahr dasselbe: ein Desaster.
Bereits etliche Monate vorher muss sie gut geplant und durchdacht sein, damit sie auch zum unvergesslichen Erlebnis wird, über das wir noch Monate später sprechen: die Silvesternacht.
Aus diesem und weiteren unerfindlichen Gründen werden schon Mitte August die ersten Silvesterparty-Gruppen auf Facebook erstellt, Freunde ein- und wieder ausgeladen, um sie dann erneut einzuladen, weil dann doch die Hälfte wieder absagt. Es wird über mögliche Mottos und Locations diskutiert, verschiedenste Outfits werden anprobiert und dann doch wieder verworfen und die Getränkeliste wird regelmäßig um weitere fancy Cocktails und Co. erweitert.
Tankt man also in spätsommerlicher Manier gerade noch die letzten Sommer-Sonnenstrahlen für die bevorstehende kalte Jahreszeit, muss man sich schon für eine der unzähligen ultimativen Jahreswende-Feiereien entscheiden. Die Qual der Wahl: jeder beansprucht für sich das Zertifikat der „besten, lautesten und unvergesslichsten“ Party.
Ist man selbst Organisator einer dieser Partys, zittert und bibbert man, ob sich die kleine WG-Küche, in der eh nur vier bis fünf Gäste stehen können, überhaupt füllen wird. Sagt man als Gast ab, indem man auf Facebook den Absage-Button drückt, lebt man in der ständigen Ungewissheit, dass man dadurch die Sause schlechthin verpasst. Die Erwartungshaltung steigt dieser Tage unverhältnismäßig weit nach oben. Von jeder Partymaus und jedem Partymäuserich wird passend zur besten Fete des Jahres auch die beste Laune des Jahres erwartet. Ja. Heute haben wir alle Spaß. Auf Knopfdruck. Lachen bitte.
Und dann gibt es da auch noch das Trink-Dilemma: Sicher, grundsätzlich ist es jedem selbst überlassen, ob er sich für Variante 1 „Trinken in Maßen“ oder für Variante 2 „Trinken in Massen“ entscheidet. Das ist aber eigentlich egal. Denn das eigentliche Problem, die Silvesternacht, bleibt. Durch Alkohol wird sie auch nicht erträglicher. Egal, wie viel man davon trinkt. Spielt man also mit und feiert feucht-fröhlich die Nacht der Nächte, beginnt das neue Jahr mit einem heftigen Kater. Stößt man gesittet um Mitternacht mit Freunden und (Un)Bekannten an, fehlt die Betäubung, um den Abend überhaupt zu überstehen. Dann doch lieber den Kater…
Ein weiteres Problem an Silvester sind die guten Vorsätze. Aber ab wann treten die in Kraft? Ab null Uhr dann keinen Alkohol mehr? Die Kippen aus dem Fenster werfen? Den Sahnekuchen verschmähen und sich sofort an die Hausarbeit setzen? „Ach komm, heute ist Silvester, dann fängst du halt erst am 2. Januar damit an!“ Damit tätschelt man verständnisvoll den Arm des Gegenübers, tauscht die immer selben Vorsätze aus, beruhigt sich gegenseitig, dass es nun wirklich halb so schlimm ist, einen Tag später damit anzufangen. Spätestens Mitte Januar trifft man sich dann, um gemeinsam Uni zu schwänzen, zum Frühshoppen zu gehen und dabei zu rauchen.
In einer pseudo-ökologischen Gesellschaft darf der Umweltschutz natürlich nicht fehlen – denn dafür interessieren wir uns alle sehr. Daher darf er bei der „Party des Jahrhunderts“ nicht zu kurz kommen, er ist schließlich wichtig. Dann hört man Sätze wie: „Ja, also das mit der globalen Erwärmung ist echt ‘ne schlimme Sache. Ich hab mir auch fest vorgenommen, im neuen Jahr mehr Fahrrad zu fahren“ oder „Also ich finde Mülltrennung auch extrem wichtig, darauf wollen wir ab Januar in der WG auch mehr achten!“
Aber jetzt schnell raus, es ist gleich Mitternacht und da wollen wir schließlich kräftig böllern.
Lasst es krachen! – Ein Plädoyer für Silvester
Silvester. Ein Tag voll mit Lichtern, Farben und Geräuschen. Gemütliche Stunden mit Wunderkerzen, Raclette-Pfännchen, Luftschlangen, Sekt und Bleigießen, „Dinner for one“ und natürlich Feuerwerk. Ein Manifest für den bunten Tag eine Woche nach Heiligabend.
Der 31. Dezember ist für mich ein Tag gefüllt mit Intensität in allen Dingen. Ein Tag, der zugegebenermaßen erst einmal ein Kalendertag wie jeder andere ist. Was man aber daraus macht, bleibt jedem selbst überlassen und ist im Endeffekt dann entscheidend dafür, ob man Silvester-Fan oder eher -Gegner ist.
Ich für meinen Teil freue mich schon wochenlang vorher auf die vielen Dinge, die ich mit dem Tag verbinde. Das traditionelle Raclette-Essen gehört genauso dazu wie das Bleigießen. Hierbei ist es zweitrangig, ob man ein unförmiges Etwas bekommt, das nach zerdrücktem Schokokuss oder klobigem Knödel aussieht (was zumeist der Fall ist). Der Interpretation dieses Missgeschicks sind keine Grenzen gesetzt. Vielleicht ist es ja doch das Kleeblatt, das Glück und Zufriedenheit für’s nächste Jahr verspricht oder ein Stern, der das große Liebesglück bringen soll.
Eine wichtige Rolle spielt selbstverständlich auch die ein oder andere Flasche Sekt, die dafür sorgt, dass man das alles für noch lustiger, schöner und intensiver hält. Wunderkerzen, Luftschlangen, Tischfeuerwerk und Knallbonbons können zusätzlich für die typische Silvesternacht-Vorfreude sorgen. Am Silvestertag stelle ich keine Niveauanforderungen und Existenzfragen an das billig wirkende Zeug. Ich weiß ja, dass Knallbonbons und Bleigießen Dinge sind, die eigentlich kein Mensch braucht. Doch an diesem Tag gewinnen diese Stimmungsbringer an Bedeutung. Einmal im Jahr steht sie ihnen auch zu.
Pünktlich um 19.40 Uhr wird dann der Fernseher eingeschaltet. Einmal im Jahr verfolgt die ganze Familie dann gemeinsam das „Dinner for one“ im NDR. Miss Sophie, Butler James und der ca. 20-minütige Sketch gehören ganz selbstverständlich am 31. Dezember dazu und haben ihren Platz im heimischen Wohnzimmer. Auch wenn es die „same procedure as every year“ ist.
Nachdem der Bauch voll und der Kopf schon etwas nebelig ist, steigt die Vorfreude auf’s neue Jahr und der damit verbundenen lauten, bunten, sektreichen und fröhlichen Silvesternacht. Es wird geknallt, geböllert und gechinakrachert, bis einem die Lust vergeht. Mit kleinen Brüdern macht das Ganze gleich doppelt Spaß. Danach geht die Party natürlich noch weiter: das Familienwohnzimmer wird gegen die große Disko getauscht, wo man auf der Tanzfläche all die Freunde und Bekannten trifft, die man schon länger nicht gesehen hat. Das hat bei uns auf dem Dorf einfach Tradition.
Auch wenn dieser konsumintensive und ökologisch fragwürdige Tag vielleicht auch zu Recht viele Gegner hat: Ich freue mich auch dieses Jahr wieder auf einen quietschbunten und kitschigen Abend mit meinen Freunden und meiner Familie.
Anna Siewerts & Franziska Riedel