Abi in der Tasche und keine Ahnung wohin damit. Hauptsache weg. England? War ich schon. Amerika? Zu teuer. Kanada? Zu kalt. Australien? Sind sie doch alle. Schottland? Das Land der Mythen und Helden, der Kilts und Dudelsäcke, der Burgen und Pubs und des Haggis und Whiskey: Das ist, wo ich hin will.
Regen oder Nebel, so heißt es, ist alles, was zwischen Brighton und Inverness meteorologisch möglich ist. In Edinburgh werden die beiden Dinge unaufhörlich von eiskaltem Wind der Nordsee unterstützt. Norddeutsche sind also einwandfrei vorbereitet, sollten sie die Reise wagen. Edinburgh ist die Hauptstadt Schottlands, das zu dem vereintem Königreich von Großbritannien gehört. Zu den fast 500.000 Einwohnern gesellen sich auch viele Touristen dazu, für die die Stadt ein beliebtes Reiseziel darstellt. Neben Sehenswürdigkeiten wie dem „Edinburgh Castle“ oder dem „Carlton Hill“, ist „das Athen des Nordens“ für die ikonische Alt- und Neustadt bekannt, die beide zum UNESCO Weltkulturerbe gehören.
Sieben Euro und fünfzig Cent überweise ich an die Discount-Fluglinie meines Vertrauens. One-Way, natürlich. Mein Vater brachte mich damals auf die Idee, nach dem Abitur nach Schottland zu gehen. Er hätte dort einen alten Studienkollegen, dem wohl mittlerweile ein Hostel gehört. Man könne dort arbeiten für Kost und Logis. Ohne wirklich nachzudenken entschied ich mich dazu, den Schritt nach Edinburgh zu wagen. Hauptsache irgendwas zu tun, denn die Frist für Bewerbungen an Universitäten war schon längst verstrichen und mein Horizont bewegte sich zu der Zeit irgendwo zwischen Capri Bar und Lila Eule. Auslandserfahrungen sind immer gut.
Karrierechancen eines Backpackers
Im August jeden Jahres verdreifacht sich die Zahl der Einwohner. Das Kulturfestival „Fringe“ lockt Menschen aus aller Welt an und präsentiert jeden Tag unzählige Straßenkünstler wie Musiker, Akrobaten, Magier etc. Auch die großen Theatersäle der Stadt werden mit Veranstaltungen gefüllt und in jedem Jahr werden mehrere Millionen Tickets für die Comedians und Künstler verkauft. Doch auch die kleinen Pubs bieten Unterhaltungsprogramm an – umsonst. Überall ist etwas los und man kann wirklich jeden Tag etwas erleben, man braucht nur auf die Straße zu gehen.
Beim Arbeiten hatte ich wider der Erwartungen „hohe“ Aufstiegschancen. Die Neulinge müssen Betten machen. Dann durfte ich irgendwann die Toiletten putzen und das Treppenhaus wischen. Ja, „durfte“, denn zu Zeiten des Fringe war das Hostel immer voll und Gäste blieben meist nur für eine Nacht. Wenn man sich gut anstellte, konnte man in die Wäscherei und am Ende lockte die Rezeption. Zwei Stunden arbeiten, eine Nacht umsonst schlafen. Mein Job nach mehreren Wochen: Nachtwächter. Das beste daran: Ich hatte mein eigenes Zimmer. So konnte ich aus dem 16-Mann-Zimmer, in dem ich bisher untergebracht war, fliehen. Ich mochte zwar den „Dschungel“, wie wir ihn nannten, aber diese Beförderung konnte ich nicht ausschlagen. Der Arbeitszeitraum liegt zwar zwischen 23-4 Uhr, aber an der Rezeption zu stehen macht mehr Spaß, als Klos zu putzen – egal, wie spät es ist. Bevor ich meine Schicht als „Night-Porter“ antrat, trank ich für gewöhnlich ein paar Pints in meinem Stamm-Pub. So oft, dass ich bald auf „Du und Du“ mit der Belegschaft war. Der Beweis: Als erster und einziger Kunde überhaupt war ich mit auf der betriebsinternen Weihnachtsfeier.
Jamie Oliver für Arme
Edinburgh ist die Stadt mit der höchsten Kneipendichte pro Einwohner der Welt. Es ist noch besser als es klingt. Wer die Kneipenkultur in Großbritannien kennt, weiß was ich meine. Ein Pub ist nicht nur „Kneipe“, sondern auch Restaurant, Café, Bistro und Disco in einem. Nicht umsonst steht „Pub“ für Public House. Wenn ein 80-Jähriger neben einem 18-Jährigen zu Live-Musik tanzt, und zwar egal an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit, dann greift das Lebensgefühl Schottlands. Die Menschen sind zwar schroff und direkt, aber dafür ebenso herzlich und gutmütig. Etwas gewöhnungsbedürftig ist aber die Sperrstunde. Ab 23 Uhr bzw. spätestens um 1 Uhr (es gibt Ausnahmefälle) wird kein Alkohol mehr ausgeschenkt und die Pubs schließen.
Neben dem Hostel-Job, für den ich erst Geld bekam, als ich Nachtwächter wurde, arbeitete ich kurz als Koch in einer Grundschule. Was? Ja! Bei der Agentur, bei der ich vorstellig wurde, fragten sie mich, was ich denn so könne. Selbstbewusst wie ich war, zählte ich diverse Dinge auf, von denen ich dachte, ich würde sie beherrschen. Unter anderem das Kochen. Der Mitarbeiter legte mir einen Fragebogen vor, wo Fragen vorkamen wie: „Bei wie viel Grad muss Rindfleisch gekühlt werden?“ und „Wie lange muss man sich die Hände waschen bevor man die Küche betritt?“ Wegen der vielen Fachausdrücke verstand ich sowieso nur die Hälfte aller Fragen. 20 Minuten später kam der Prüfer und gratulierte mir. Morgen könne ich anfangen. In der Küche arbeitete ich mit vier netten Damen. Ich allein hatte mehr Zähne als alle vier. Das Essen bewegte sich meist zwischen Fish & Chips und Burger, daher war das Arbeiten als „Koch“ nicht wirklich schwierig, sofern man eine Fritteuse bedienen kann. Dennoch hat die Agentur – Achtung Wortwitz – irgendwann den Braten gerochen und ich wurde entlassen.
Auf den Spuren meiner Vorfahren
Neben Edinburgh gibt es weitere Reiseziele in Schottland. Glasgow ist die größte Stadt und vor allem für Fußballfans attraktiv, da die großen Fußballvereine Celtic und Rangers dort zuhause sind. Die „Highlands“, die sich nördlich der beiden großen Städte bis zum obersten Zipfel erstrecken, bieten malerische Landschaften und viel Geschichte. Der schottische Nationalheld William Wallace (besser bekannt als Braveheart) war ein Highlander und kämpfte mit den „Highland-Clans“ für die schottische Unabhängigkeit. Nur kurz von Erfolg gekrönt – bekanntlich gehört Schottland zur englischen Krone und ist nicht (mehr) unabhängig. Den Schotten steht ein Volksentscheid bevor, der über eine erneute Unabhängigkeit entscheiden soll. Die Mythen um Loch Ness sind weltbekannt, genauso wie das Nationalgetränk der Schotten: Whisky, der in den Destillen der Highlands hergestellt wird.
Zurück zu meinem Vater. Besagter Studienkollege lud mich eines Abends auf ein Bier ein. Wir steuerten den Pub „Sandy Bell’s“ an. Ein Pub, von dem Vater bereits vor meiner Abfahrt schwärmte. Angekommen bestelle ich einen Pint, während ich mich umsah und dem Flöten-Solisten in der Ecke lauschte. Peter (Studienkollege) nuschelte etwas in seinen roten Bart, mit einem schottischen Akzent jenseits von Gut und Böse. Auf Nachfrage wiederholte er seinen Satz, in dem er sagte, dass mein Vater auch immer an der Stelle stand, wo ich just in dem Moment meinen Pint genoss. Peter fragte einen anderen Pub-Besucher, ob er sich an einen schwarzhaarigen Bartträger erinnere, der in den 70ern öfter hier war. „Bernhard!“ fiel dem Mann sofort ein.
Nachdem ich von August 2010 bis März 2011 in Schottland lebte, kam ich als Tourist bisher viermal nach Edinburgh. Es ist wie nach Hause kommen. Im Hostel arbeiten immer noch ein paar alte Freunde und in den Pubs kennt man noch die Live-Musiker und Barkeeper. Für mich war es die beste Erfahrung in meinem Leben und ich werde auf ewig in Edinburgh auch Heimat wissen. Ich kann nur eines sagen: Auslandserfahrungen sind, in diesem Fall stimmt es sogar, immer gut.
Maximilian Kamp