‚The Wall’, eines der prägendsten und erfolgreichsten Konzept-Alben der Rockmusikgeschichte, wird noch einmal von Roger Waters (Ex-Komponist, Ex-Bassist und Ex-Sänger von Pink Floyd) und seiner aktuellen Band europaweit Open Air aufgeführt. Dabei wendete sich das Album einst gegen riesige Stadionkonzerte.
Als Pink Floyd 1977 das Abschlusskonzert ihrer für damalige Verhältnisse gigantischen ‚In the Flesh’-Tour‘ im Olympiastadion von Montreal gaben, war Insidern klar, dass eine Ära zu Ende geht. Zumindest Roger Waters hatte genug von überbordenden Stadienkonzerten mit fliegenden Gummi-Schweinen, von reinen Party-Fans (weshalb er in Montreal von der Bühne herunter auf einen Besucher spuckte) und den scheinbar unvermeidlichen ‚Nebengeräuschen’ wie Drogen, Groupies, Betrug durch lokale Konzertveranstalter und der ständigen Event-Berichterstattung, in der die Musik gar keine Rolle mehr spielte. Also schloss er sich in ein Studio in Südfrankreich ein und bastelte aus den Tourerfahrungen, aus seiner Kindheit ohne Vater aber mit übermäßig besorgter Mutter, aus negativen Erlebnissen in der Schule und aus seinen verkorksten Liebesbeziehungen das Album seines Lebenswerkes. Grundthema: Aus Angst baut man Mauern um sich herum und wird zum Psychopaten. Und als Musiker zum Diktator auf der Bühne, der das Publikum nach Belieben aufzuhetzen vermag.
Waters war in der Tat zum Diktator bei Pink Floyd geworden. Er warf den damals allerdings auch drogenbedingt etwas derangierten Keyboarder Richard Wright aus der Band und beschäftigte ihn nur noch als Mietmusiker für Live-Auftritte. David Gilmour, der geniale Gitarrist und Co-Sänger, der sonst eher gemeinsam mit Waters komponierte, durfte nur noch die Musik zu drei Songs von ‚The Wall’ beisteuern und ein bisschen mitsingen. Roger Waters besorgte sich lieber andere Studiomusiker und mit Bob Ezrin und Michael Kamen sogar zusätzliche Komponisten und Arrangeure, um ‚The Wall‘ 1979 fertig zu stellen. Die Aufnahmen kosteten die damals unvorstellbare Summe von 600.000 Pfund und Pink Floyd war einmal mehr fast pleite. Aber kaum war ‚The Wall’ veröffentlicht und mit ‚Another Brick in the Wall (Part 2)’ auch noch eine veritable Single-Auskopplung auf dem Markt, stellte sich auch sofort der Erfolg ein. Bis heute verkaufte sich das Album etwa 30 Millionen Mal weltweit. Es ist das meistverkaufte Doppelalbum der Geschichte und prägte wohl eine ganze Generation von Jugendlichen, die sich auch wie eingemauert fühlten und ausbrechen wollten. Über kein anderes Werk der Rockgeschichte wurden so viele akademische Arbeiten veröffentlicht. Zahlreiche Musiker geben ‚The Wall’ als für sie wichtiges und inspirierendes Album an, darunter auch Marilyn Manson.
‚The Wall’ wurde 1980/81 für jeweils 5 bis 8 Konzerte hintereinander in Hallen in Los Angeles, New York, London und Dortmund aufgeführt, im Rahmen derer sich die Band auf der Bühne in der ersten Hälfte der Show einmauern ließ und in der zweiten Hälfte für das Publikum unsichtbar hinter der Mauer spielte. Die Produktionskosten waren so hoch, dass keine weiteren Konzerte gegeben wurden. Die Band hatte ein Minus von 400.000 Pfund zu verkraften – das dürfte mit dem derzeitigen Tour-Umsatz von 380 Millionen Dollar nicht passieren. 1982 wurde das Album von Alan Parker mit Bob Geldof in der Hauptrolle als ‚Pinky‘ verfilmt. Und das war es dann. Auch mit Pink Floyd. Die Band zerbrach und als David Gilmour, Richard Wright und Nick Mason (am Schlagzeug) 1987 alleine als Pink Floyd weiter machten, kommunizierten die drei und Roger Waters nur noch über Anwälte. Waters hatte sowieso keine Lust mehr auf die Band und arbeitete für sich weiter, zunächst relativ erfolglos. 1990 führte er dann mit Hilfe von Gastmusikern ‚The Wall’ auf dem gerade mauerbefreiten und minengeräumten Areal des ehemaligen Potsdamer Platzes (weitere Infos findest du hier) in Berlin auf. Es war das größte Einzelkonzert aller Zeiten: Etwa 400.000 Menschen waren auf dem damals noch unbebauten, staubigen Feld dabei.
Nach einigen durchaus erfolgreichen Solo-Tourneen in den 2000er Jahren fasste Roger Waters dann den Entschluss noch einmal ‚The Wall’ aufzuführen. 2010 bis 2012 tourte er mit seiner Band, in der so überaus talentierte Musiker wie Snowy White und David Kilmister mitwirken, hauptsächlich durch große Hallen in der ganzen Welt. Doch spätestens nach unglaublichen neun (!) ausverkauften Konzerten im River Plate Stadion in Buenos Aires vor jeweils etwa 50.000 Zuschauern ist die Entscheidung gefallen, ‚The Wall’ 2013 noch einmal, leicht verändert und der aktuellen politischen Lage angepasst, Open Air in europäische Stadien zu bringen. Schon merkwürdig, wenn man bedenkt dass verhasste Stadienkonzerte einst der Auslöser für das Album waren. Roger Waters sagt dazu heute nur: “I’ve reworked the show to work outdoors in large stadiums. It’s really good. Even more moving, engaging, dramatic and thrilling than the Arena shows. I’ve had to rethink the whole thing about stadiums. This stadium show couldn’t have been done 40 years ago. We couldn’t have filled the space in a way that would have been emotionally, musically and theatrically satisfying. Technology has changed. Now we can.” Lassen wir uns überraschen, ob er damit das Thema nicht gegen die Wand fährt.
Die Termine der Konzerte in Deutschland sind: 9. August in der Frankfurter Commerzbank-Arena, 4. September im Berliner Olympiastadion und 6. September in der Düsseldorfer Esprit-Arena. Karten sind noch zu haben. KROSSE wird für Euch am 14. September aus dem Wembley-Stadion in London, der Heimat von Pink Floyd und Roger Waters, berichten.
Marco Höhn