Porto, Portugal: Das Optimus Primavera Sound Festival fand dieses Jahr zum zweiten Mal an der Mündung des Douro in der zweitgrößten Stadt Portugals statt. Ein echter Youngster unter den europäischen Festivals! Dass es schon bei seiner Premiere im letzten Jahr auf Anhieb ein großer Erfolg war, verdankt es nicht nur der wunderschönen Stadt, die das Festival beherbergt, sondern in erster Linie seinem großen Bruder, dem San Miguel Primavera Festival in Barcelona. Seit nunmehr zehn Jahren schon pilgern Musiknerds von diversen Kontinenten in die spanische Stadt am Mittelmeer, um ein Booking zu erleben, wie es kaum ein anderes europäisches Festival bieten kann. Für diejenigen unter ihnen, die den Festivalzirkus etwas gemütlicher angehen wollen, bietet nun die Atlantikküste die passende Alternative.
Ein Festival wie Urlaub: Am Rande der Stadt, im Parque da Cidade, bietet das urbane Festival alles, was das Herz begehrt: einen Strand, schattige Bäume, einen Linienbus in die Innenstadt (die UNESCO Weltkulturerbe ist) und vor allem die unmittelbare Nähe zu einem Supermarkt für den Vinho Verde-Nachschub. Was man nicht findet, ist ein Campingplatz. Den vermisst aber auch keiner.
Mit Ryanair verhältnismäßig sicher, aber vor allem billig in Porto gelandet, geht es demnach erst einmal ins Hostel, das spärliche Gepäck abladen. Es ist übrigens Donnerstag, wie in Deutschland auch, nur eine Stunde früher. Das Festival wird bis Samstag gehen. 53 Künstler auf 4 Bühnen. In Barcelona am vorherigen Wochenende waren es knapp 200 Künstler. Man muss zwar Abstriche machen, wird dafür aber mit einer unglaublich entspannten, friedlichen, geradezu urlaubüschen Atmosphäre belohnt. Die ersten Acts beginnen um 18 Uhr, am Wochenende dann um 17 Uhr, entsprechend lang werden die Nächte werden. Die darauffolgenden Tage bieten dafür aber genug Zeit, sich zu verhalten, wie es sich für einen Touristen gehört: Eisessenderweise mit dem Stadtplan unterm Arm auf der Ponte Dom Luís I überlegen, wann es denn Zeit für das erste Bier ist.
Denkwürdiger Donnerstag:
Auf dem Festivalgelände angekommen, bekommt man als Erstes eine relativ hübsche Picknickdecke in die Hand gedrückt, auf der man es sich auf den Hügeln vor einer der beiden Hauptbühnen bequem macht und den ersten Bands lauscht, bevor man sich ins Getümmel stürzt. Spätestens zu den Headlinern verwandeln sich die Hügel in eine Tribüne, auf der selbst die kleinsten Menschen eine passable Sicht haben. Headliner an diesem Abend sind Nick Cave & The Bad Seeds, die ersten Anzugträger des Indierock, The Breeders, die ihr 1993 Album „Last Splash“ performen, die amerikanischen Dreampopper Wild Nothing, die den Soundtrack zu dem Artikel liefern, und zu später Stunde James Blake, dem man nachsagt, den Dubsteb zu revolutionieren.
Famoser Freitag:
Nach einer erholsamen Nacht im Hostel und den Annehmlichkeiten des obligatorischen Stadtrundgangs, die von Galão bis Espresso reichen, geht es am späten Nachmittag wieder auf das Festivalgelände. Nach dem der Donnerstag Line-Up-technisch noch sehr reserviert daherkam, bieten einem der Freitag und Samstag ein volles Programm. Neben den beiden Hauptbühnen gibt es nun zwei weitere Bühnen: Zum einen die ATP Bühne, deren Programm von dem Londoner Festival- und Konzertveranstalter All Tomorrows Parties kuratiert wird, die in Sachen Booking ihre ganz eigene Philosophie vertreten, zum anderen das Pitchfork Zelt, eine Bühne, deren Programm von dem einflussreichen Online-Musikmedium Pitchfork kuratiert wird.
Die Highlights des Autoren an diesem feuchtfröhlichen Freitag: Der Low-Fi Singer/Songwriter Daniel Johnston, mit Band und all seinen Hits; Grizzly Bear, die mit ihren ruhigen, verschachtelten Sounds auf einer Festivalbühne leider nicht ganz ihren Platten gerecht werden konnten; Four Tet und Blur; und zu guter Letzt die beiden Engländer von Fuck Buttons, die mit ihrem Eletro-Noise alle, die noch wach waren, in Trance versetzt haben.
Superber Samstag:
Der Samstag bietet wieder ein volles Programm: Dinosaur Jr. starten früh und liefern gekonnt ab. Sogar ein Schnabeltier und eine Ratte sollen mehrmals im Publikum erblickt worden sein, offenbar große Fans der Indie-Kultband um J. Mascis. Explosions in The Sky und White Fence, leider eine der wenigen persönlichen Überschneidungen im Timetable, überzeugen ebenfalls. Letztere, als vielleicht noch Geheimtipp, sind wärmstens zu empfehlen. Für viele ein Highlight des Abends: Der Auftritt von My Bloody Valentine. Ihr aktuelles Album M B V ist die erste LP, seit sie mit ihrem Album Loveless 1991 für großes Aufsehen in der Indiependent-Szene gesorgt haben. Der Auftritt ist laut, es lassen sich in dem Feedback-Gitarrensound aber die einzelnen Songs erkennen, was auf einem My Bloody Valentine-Konzert nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Als letzte Gitarrenband des Festivals freut man sich um halb Vier am Morgen auf die kanadische Punkband Fucked Up, die allerdings eine Stunde früher spielen und aufgrund mittelmäßiger Informationspolitik zumindest zwei enttäuschte Gesichter zurücklassen.
Wo ist der Fado?
Pitchfork stellte unlängst in seinem Review zum Primavera Sound in Barcelona die Frage, ob es sich bei dem Festival um ein spanisches Festival handelt, oder um eines, das nur in Spanien stattfindet. Dieselbe Frage stellt man sich in Portugal auch, nicht zuletzt, da das Booking, wenn auch in abgespeckter Form, dasselbe wie in Barcelona ist. Und tatsächlich vermittelt auch in Porto nur der große Anteil einheimischer Besucher den Eindruck, man befände sich auf einem portugiesisches Festival – und natürlich der beliebte Portwein-Stand auf dem Festivalgelände – in Porto ist man sehr stolz auf das Nationalgetränk.
Tipps:
– Badehose einpacken – auch wenn man sie nie brauchen wird!
– Den Süden nicht überschätzen – auch im Juni wird es dort nachts kalt!
– Sich im Supermarkt die Zeit für einen Espresso und ein Pastéis de Nat nehmen!
– Sich vor ‘Nail on Plate’ (oder wie der Portugiese sagt: Prego no Prato) hüten!
Simon Höhne