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Doomscrolling: Warum dein Gehirn schlechte Nachrichten liebt 

22. Juni 2025

Jeden Tag eine neue Krise, eine neue Schlagzeile und trotzdem scrollen wir weiter. Die Bilder fesseln, die Angst wächst. Warum fühlen wir uns von dem Negativen angezogen? Eine Bremer Studentin kann das Handy nicht mehr aus der Hand legen. 

von Finja Schmidt

Maya liegt in ihrem Bett, das Handy in der Hand. Auf dem Nachttisch stapeln sich ungelesene Bücher, die sie eigentlich lesen wollte. Doch stattdessen befindet sie sich in einem endlosen Strudel aus Nachrichten, Meinungen und emotionalen Videos. Für die 21-Jährige Studentin aus Bremen gehören Schlagzeilen wie ´Merz paktiert mit der Afd´ oder ´Trump plant Säuberungen´ zu der täglichen Abendroutine. Eigentlich wollte sie nur die neuesten Infos zur Wahl lesen, doch plötzlich ist eine Stunde vergangen. „Es ist wie ein unsichtbares Seil, das mich an die App bindet”, sagt sie und scrollt weiter. 

Soziale Medien, einst als Unterhaltungsplattform gedacht, haben sich längst zu einem Nachrichtenstrom entwickelt. Gerade jüngere Generationen verbringen täglich Stunden auf Plattformen wie Instagram oder TikTok. Neben viralen Trends und Influencer-Videos sind es oft auch politische und gesellschaftliche Themen, die die Feeds dominieren: “Es ist eine emotionale Achterbahn und das alles innerhalb weniger Minuten”, beschreibt Maya. Wie ihr geht es vielen: Soziale Medien sind längst zur Hauptquelle für Nachrichten geworden – schnell, direkt und oft ungefiltert. 

Süchtig nach Doomscrolling?! 

Stundenlanges Scrollen durch tausende Videos und Meinungen. Von Alltagsvideos, lustigen Memes, zu tränen rührenden Momenten und dann zwischendurch die negativen Nachrichten der Welt. Die Lösung wäre einfach: Die App schließen. Das passiert jedoch selten. Der Begriff Doomscrolling beschreibt den Prozess des aktiven oder auch passiven Scrolls, bei dem wir negative Nachrichten konsumieren. Der Begriff setzt sich aus „Doom„ (englisch für Untergang) und „scrolling„ (dem Verschieben von Bildschirminhalten auf einem Smartphone) zusammen. 

Doomscrolling ist für Maya nichts Ungewöhnliches. Nach mehreren politischen Videos merkt sie, wie sie in den Sog der App gezogen wurde. Zumeist befindet sie sich in ihrer ganz persönlichen Filterblase, doch vor allem in der Kommentarspalte erfährt man dann den Reality Check. „Nicht jeder stimmt für die Werte, die einem selbst total selbstverständlich erscheinen.” Sie scrollt weiter, gelangt zu einem Reisevideo und dann zu einem emotionalen Clip über eine Adoption. Doch wenn sie sich später erinnert, bleiben vor allem die negativen Inhalte hängen. 

Breaking News – Dein Gehirn liebt Drama 

Maya schaut auf die Uhr: 0 Uhr. Dies wäre der Moment, das Handy auszuschalten, denn morgen früh um acht hat sie einen wichtigen Termin. Doch sie legt es nur kurz zur Seite. Eigentlich ist ihr klar, dass sie schon längst schlafen sollte, doch nach wenigen Minuten greift sie wieder zum Handy. Es ist ein ständiger Kreislauf zwischen dem Bewusstsein, dass der exzessive Medienkonsum nicht gut tut und der Angst, etwas zu verpassen. Wir sehen die Konsequenzen, doch wir wollen nicht ausgeschlossen sein. Für Maya ist Social Media mehr als nur Medienkonsum: „Ich muss über nichts nachdenken, wenn ich durch Social Media scrolle. Natürlich bin ich manchmal frustriert, aber wenigstens muss ich mich nicht mit meinen eigenen Emotionen auseinandersetzen.” Eine Stunde in den sozialen Medien zu scrollen, kommt ihr vor wie Urlaub fürs Gehirn. 

Für die Bremer Studentin Maya ist Scrollen durch Social Media geistige Entspannung.

Junge Menschen, die durch die sozialen Medien versuchen, ihre eigenen Gedanken auszuschalten, hat Nicole Schueler täglich in ihrer Praxis. Die begleitende Kinesiologin erzählt in unserem Telefonat von den vielen jungen Patient*innen, die in ihrem TikTok Algorithmus Antworten auf ihre Sorgen suchen. „Es ist ein Phänomen, das gerade in der Generation Z auftritt, denn sie ist die erste Generation, die mit den digitalen Medien aufgewachsen ist und sich nicht mehr an eine Zeit vor dem Internet erinnern kann.” Das Scrollen in den sozialen Medien kann die Ängste minimieren, da man in seiner eigenen Filterblase steckt und dementsprechend Content vorgeschlagen bekommt, dem man ähnlich gegenüber gestimmt ist. Allerdings kann das damit einhergehende Konsumieren negativer Nachrichten und Inhalten bei einigen Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung auslösen. „Der übermäßige Nachrichtenkonsum versetzt uns in eine ständige Alarmbereitschaft, was nicht nur zu Schlafstörungen führen kann, sondern auch zu Depressionen”, betont Nicole Schueler. 

Für immer weiter scrollen? 

Auch Maya sucht nach Bestätigung durch das Scrollen. „Wenn ich politische Videos der Linken sehe und die vielen Menschen, die diese Videos dann teilen, gibt mir das ein sicheres Gefühl.” Dieses Bedürfnis nach Kontrolle ist einer der Hauptgründe für Doomscrolling. Doch das Design sozialer Medien verstärkt die Sucht: Der Infinite Scroll, der niemals endet, sorgt dafür, dass immer neue Inhalte nachgeladen werden. 

Die Studentin scrollt immer weiter, sie könnte theoretisch stundenlang so weitermachen. Durch den Infinite Scroll werden sogar Inhalte vorgeschlagen, denen man gar nicht folgt. Der User oder die Userin weiß noch nicht, was er oder sie gleich sehen wird. Es entsteht ein Reiz, eine Neugier. Gefällt uns, was wir im automatisch ladenden Feed angezeigt bekommen, setzt unser Gehirn Glückshormone frei. Wir belohnen uns selbst, indem wir immer weiter scrollen, in der Hoffnung, noch einmal dieses Glücksgefühl zu erleben. Doch je länger wir scrollen, desto mehr kippt die Stimmung. Die Reizüberflutung kann zu Erschöpfung und Frustration führen. Besonders negative Beiträge erhalten viele Kommentare und Shares, was dazu führt, dass sie sich weiter verbreiten. So entsteht eine Negativ- Schleife, aus der unser Gehirn nur schwer ausbrechen kann. 

Maya spürt diese Auswirkungen: „Ich sehe ein schockierendes Video, dann etwas Lustiges, dann wieder eine traurige Story. Am Ende denke ich einfach nur: Unsere Welt ist so am Ende.” Die Mischung aus Gewalt, Witz und Tragik überfordert sie. Besonders abends, vor dem Schlafengehen, greift sie noch einmal zum Handy. „Eigentlich will ich zur Ruhe kommen. Aber ich verliere mich dann total in diesem Mix. Und danach fühlt sich alles schlimmer an als vorher.“ Keine gute Voraussetzung für einen erholsamen Schlaf. 

Die Antwort liegt in uns selbst 

Dass Menschen sich von negativen Nachrichten angezogen fühlen, ist evolutionär bedingt. Wir klicken negative Schlagzeilen an und wir schließen auch nach dem zehnten frustrierenden Video nicht die App, denn unser Gehirn sucht nach Informationen, die uns vor einer potenziellen Bedrohung schützen. 

Genau hier setzt Nicole Schueler an. Die begleitende Kinesiologin beschäftigt sich mit dem inneren Selbst und warnt vor der Gefahr, sich durch den ständigen Medienkonsum von der eigenen Wahrnehmung zu entfremden. „Wir stellen nicht mehr unsere eigene Wahrheit an erste Stelle, sondern die der anderen.“, sagt sie. Stattdessen plädiert sie für bewusste Reflexion: Warum greife ich kurz vor dem Einschlafen noch einmal zum Handy? Was suche ich wirklich – Ablenkung oder innere Ruhe? 

Die Auswirkungen von Doomscrolling sieht sie täglich in ihrer Praxis. Diese Reflexionsfragen sind die Tools, die sie ihren Patient*innen mit an die Hand gibt. Sie beschreibt, wie wichtig eine positive Grundstruktur im Leben ist, das bedeutet, am Tag auch mal bewusst Stille auszuhalten und zu meditieren. Dazu den Ausgleich zu bewahren, also Zeit in der Natur zu verbringen, eine gute Ernährung und wie einfach es auch zu scheinen mag: Wasser trinken. Genügend Wasser nimmt unserem Gehirn den Stress und lässt uns besser denken. Mit einer solchen positiven Grundstruktur kann man den Konsum von Inhalten besser ausbalancieren und man lässt nicht die anderen bestimmen, was man denkt. 

Balance statt Detox 

Die Studentin hat schon häufig versucht, eine Social Media Detox einzulegen, vor allem in Nächten, in denen das Handy ihr den Schlaf raubt. Allerdings dauert es meistens nicht mal einen Tag, bis sie die Apps wieder herunterlädt und fleißig nach den aktuellen Nachrichten schaut. Die Herangehensweise von Nicole Schueler gefällt ihr jedoch. Eher einen Ausgleich finden, als ein straffes Verbot. Denn Maya möchte informiert sein und sie möchte nichts verpassen, warum auch? Sie versucht jetzt eher, im Ausgleich zu einer Stunde Medienkonsum auch eine Stunde Natur und Reflexion einzubauen. 

Maya legt schließlich ihr Handy zur Seite. Nicht, weil sie sich satt gesehen hat, sondern weil ihr Körper die Müdigkeit nicht mehr ignorieren kann. Doch ihr Kopf ist voller Gedanken über die Welt, über das, was sie gerade gelesen hat, über die ständige Flut an Informationen. Während sie versucht einzuschlafen, wird ihr bewusst: Sie hat sich wieder einmal in einem Strudel aus Nachrichten, Emotionen und Meinungen verloren und schläft einfach ein. 

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