In einem unscheinbaren Bunker in Bremen findet monatlich die FLINTA* Jam Session statt. Hier treffen Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen zusammen, um Musik zu erleben. Dieser Raum ist mehr als nur Musik – er ist eine sichere Oase, frei von Hierarchien. Die FLINTA* Jam Session verkörpert eine musikalische Utopie, die zeigt, wie wichtig solche inklusiven Orte sind, während wir auf eine Gesellschaft hinarbeiten, in der sie nicht mehr notwendig sind.
Es ist 18 Uhr, ich fahre auf meinem Fahrrad ins Viertel zum Bunker. Patricia, eine der Organisatorinnen begrüßt mich freundlich. Zwei Menschen seien krank geworden, deswegen werde heute Abend ein wenig stressiger, weil sie die Aufgaben von den anderen mit übernehmen müsse, warnt sie mich vor.
Zunächst macht der Bunker einen nicht all zu einladenden Eindruck, es erinnert von außen an einen lost place. Durch die Stahltür geht es in den Innenraum, der gemütlich eingerichtet ist: An der Seite sind Sofas und Sessel platziert und ein Wohnwagen als Bar lädt zum Trinken und Quatschen ein. Der Ort an sich ist ein sehr besonderer.
Der Bunker ist ein gemeinnütziger Verein, der nicht-kommerziell aufgebaut ist und von sich selbst sagt, kein professioneller Veranstaltungsort zu sein. Dabei dient der Bunker als Ort, ist aber dazu auch ein gemeinnütziger Verein. Durch den einmalig ausgestellten Mitgliedsausweis wird jede Besucher:in automatisch zu einem passiven Mitglied des Vereins für ein ganzes Kalenderjahr. Dadurch erhalten sie freien Zugang zum Veranstaltungsraum und können jede Veranstaltung besuchen. Die heutige Veranstaltung ist der FLINTA* Jam und findet monatlich im Bunker statt.
FLINTA* ist eine Abkürzung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen.
Anarchie statt Hierarchie – Hinter den Kulissen der FLINTA* Jam Session
Kurz telefoniert Patricia, um dann Jenny, auch eine der Organisatorinnen, entgegen zu laufen, um ihr mit dem Verstärker zu helfen. Also schnell einen Ikea Gepäckwagen geschnappt, über Backsteine gepoltert, fast von Fahrrädern überfahren worden, um endlich beim Bunker anzukommen. Es wird über dies und jenes geschnackt, sei es über persönliche Probleme oder einfach nur das anstehende Überseefestival.
Ich merke, wie herzlich die Organisatorinnen miteinander umgehen. Es wird viel geraucht, dann wird sich eine Cola oder Bier geschnappt, um zusammen das Plenum zu gestalten. Es wird über Personen des Kollektivs gequatscht, die vermisst werden, weil sie lauten Metal spielen und immer Stimmung machen können. Heute muss nicht so viel Organisatorisches geklärt werden, es ist eher ein Get-Together.
Die Gruppe sei fast anarchisch aufgebaut, es gäbe keine Hierarchien, obwohl Guida die Idee zur FLINTA* Jam Session hatte. Sie lebte selbst in der WG im Bunker und hatte mit Freund:innen die Idee, eine FLINTA* only Jam Session zu veranstalten und das ist dann später für mehrere Menschen geöffnet worden. Mittlerweile wird alles in der Gruppe besprochen, ein Konsens wird immer gefunden. In kurzer Zeit bauen wir das Equipment auf, jede hat ihre Aufgabe und jede:r findet etwas, bei dem die Person helfen kann.
Warum FLINTA* only?
Die Musikszene ist sehr cis-männlich geprägt, es gibt wenige spaces, die exklusiv für nicht cis-männliche Menschen vorgesehen sind. In offenen Jam Sessions käme es häufig zu Situationen, in denen sich cis Männer in den Vordergrund drängen, sich battlen und Wissen nicht teilen möchten. Cis Männer beschreibt Männer, deren Geschlechtsidentität demjenigen Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
Ich merke schnell, dass es beim FLINTA* Jam anders ist. Hier geht es nicht darum, wer am besten spielen kann: „hier wird nicht gebattlet“, betont Patricia. An vorderster Stelle steht das Wohlfühlen und das Erstellen eines safe spaces.
Ein safe space ist ein Raum für Menschen, die von Diskriminierung oder anderen Formen gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen sind. In safe spaces sollen sich Menschen sicher fühlen, um dort ihre Diskriminierungserfahrungen zu teilen, wenn sie das möchten und sich gegenseitig empowern.
Hier lernen alle voneinander. Ich beobachte zwei Menschen, eine Person mit viel Erfahrung im Blasorchester, die andere hat keine Ahnung von Noten. „So geht die Pentatonic Bassleiter“ erklärt die eine Person „was ist das? Egal, spiel einfach, ich mach’s dir nach.“ Das beschreibt die Dynamik an diesem Abend, an dem es egal ist, wie viele und ob musikalische Vorkenntnisse vorhanden sind.
Die Abende seien sehr ausgeglichen, was Profis und Amateur:innen angeht, sowohl im Team als auch bei den Gäst:innen. Während manche seitdem sie 6 sind Gitarre spielen, liegt bei anderen die Ukulele im Schrank herum und es wird die Motivation gesucht, es zu spielen. Die Altersgruppe ist sehr durchmischt – von jung bis alt ist alles dabei.
„Maja, willst du Bass spielen?“
Als ich das von einer anderen Teilnehmerin gefragt werde bin ich erstmal zu schüchtern, ich habe seit Jahren kein Instrument mehr in der Hand gehalten, geschweige denn gespielt. Doch es macht richtig Spaß, laut zu sein, Lärm zu machen und Raum als FLINTA*s einzunehmen, den sonst so oft cis männliche Menschen für sich reserviert haben. Mehrmals wird das Lied Zombie gespielt, dabei ist ein Ohrwurm vorprogrammiert. Eine Person stimmt das Wort „Spiegelei“ an, während andere Menschen zur Trompete, Bass und Schlagzeug greifen.
Den Anspruch, perfekt zu sein, abzulegen ist super befreiend und fühlt sich gut an. Manche Menschen singen, andere tanzen im Raum herum, an der Bar findet ein Gespräch zwischen zwei Menschen statt. Eine Person lässt ihren Gefühlen am Schlagzeug freien Lauf. Es ist eine Wohlfühlstimmung, in denen Menschen einfach Menschen sein können. Ich ertappe mich dabei, lächelnd alles zu beobachten und zu schauen.
Musikalische Utopie: Der FLINTA* Jam als Raum für kreative Entfaltung
Um 22 Uhr geht’s für mich müde nach Hause. Ich habe viele neue Eindrücke, viele Geschichten und bin davon überzeugt, dass es spaces braucht, in denen sich Menschen ausleben können. Ich bin beeindruckt von dem doch recht simplen Konzept: Es werden einfach Instrumente zur Verfügung gestellt und Menschen dürfen einfach losspielen.
„Ich brauche diese Utopie“, das ist ein Satz, den eine Teilnehmerin am Anfang der Jam Session erwähnte. Genau dieser Satz beschäftigt mich noch lange. Der Flinta* Jam stellt einen kleinen Schritt zur noch gesellschaftlichen Utopie dar, in der es irgendwann keinen safe space mehr braucht. Doch bis dahin finden die Treffen monatlich statt, bei denen sich Menschen austauschen können, laut sein dürfen und ihre Energien aufladen dürfen. Jede FLINTA* ist willkommen und die Organisatorinnen freuen sich über jedes neue Gesicht, egal, ob Profi oder Amateur:in.
Die FLINTA* Jam Session findet monatlich im Bunker statt (Berlinerstraße 22C, 28203 Bremen). Schaut gerne für mehr Informationen auf @flintajambremen vorbei.
Von Maja Wahl