Anlässlich des 200-jährigen Bestehens des Kunstvereins in Bremen entwickelte eine Gruppe von jungen Menschen eine Ausstellung, die den Titel „Generation*. Jugend trotz(t) Krise“ trägt. In dieser Ausstellung können 110 zeitgenössische und historische Werke betrachtet werden, die Themen, wie mentale Gesundheit, diverse Körperbilder und die Klimakatastrophe, behandeln – jene Themen, die die Jugend von heute beschäftigen. Bis zum 10. September 2023 besteht die Möglichkeit, diese Ausstellung zu besuchen. Doch mit welcher Motivation nahmen die jungen Kurator*innen teil und wie gestalteten sich die Vorbereitungen? Krosse ist diesen und weiteren Fragen im Gespräch mit Emily und Paul aus dem Jugendkuratorium New Perceptions auf die Spur gegangen.
Krosse: Vielen Dank für eure Zeit. Mögt ihr euch zunächst einmal vorstellen?
Emily: Ja klar. Ich heiße Emily, bin 21 und habe mich jetzt für das kommende Semester an der Uni beworben. Nebenbei bin ich noch Künstlerin, habe ein Kleinunternehmen und mache das auch als Hobby.
Paul: Ich bin Paul. Ich gehe noch zur Schule und mache gerade mein Abitur. Ich bin 19 und politisch aktiv.
Was war eure Motivation, an diesem Projekt teilzunehmen?
Paul: Es war einfach eine große Chance, eine Ausstellung selbst zu gestalten, mit der am Ende Menschen erreicht werden, die sonst vielleicht nicht so mit Themen in Berührung kommen, die uns beschäftigen. Dass wir einfach diese große Plattform, die diese altehrwürdige Institution uns bietet, nutzen dürfen, um unsere Geschichten zu erzählen.
Emily: Ja, in diesem Sinne denke ich auch, etwas von uns selber miteinbringen zu können, unsere eigenen Geschichten erzählen zu können, aber auch Diversität und unterschiedliche Kunst miteinfließen zu lassen, die man normalerweise nicht im Museum sieht.
Wie sah der Ablauf aus?
Paul: Ich fang zunächst erstmal mit der Entstehung des Projekts an. Der Kunstverein hat ja sein 200-jähriges Jubiläum dieses Jahr und aus diesem Anlass hat das Museum dieses Projekt ins Leben gerufen. Das Museum wollte eine Ausstellung, die die Lebensrealität von jungen Menschen widerspiegelt. Dann wurde Dina Koper ans Haus geholt, die quasi unsere Koordinationsstelle ist. Sie ist dann an Schulen gegangen und hat erstmal junge Menschen zusammengesammelt. An diesem Punkt war vieles noch sehr unklar. Wann und wie oft treffen wir uns? In welchem Umfang können wir diese Arbeit leisten? Und dann hat sich relativ schnell gezeigt, dass wir als Gruppe sehr viel Bock auf diese Aufgabe haben und wir haben dann angefangen, uns einmal die Woche immer dienstags zu treffen und sind in Diskussion gegangen. Ich glaube, das war für alle sehr aufregend, insbesondere als dann auch von der Kunsthalle die Kurator*innen Eva Fischer-Hausdorf und Jennifer Smailes dazukamen und mit uns in eine Diskussion gingen. In den ersten Monaten haben wir uns erstmal mit Themenfindung beschäftigt und dann im zweiten Schritt Werkrecherche betrieben.
Welche Themen waren euch besonders wichtig, die die Ausstellung behandeln sollte?
Paul: Wir haben uns einfach gefragt: Was macht uns denn als Generation aus? Und dann haben wir miteinander geredet. Was sind denn Themen, die uns unterscheiden von Generationen vor uns? Da haben sich dann Sachen herauskristallisiert, wie zum Beispiel ein anderer Umgang mit Queerness und Fragen nach Gender, psychische Belastungen, digitale Medien und ihre Auswirkungen auf unser Leben, wie zum Beispiel, dass wir weniger private Rückzugsräume haben, als sie unsere Eltern vielleicht noch hatten, da vieles nun mal im öffentlichen Netz stattfindet. Und natürlich auch die großen Krisen, wie die Klimakrise und Corona. Das waren halt immer wieder die Punkte, über die wir gestolpert sind, und dann haben wir versucht, die zu clustern. So sind wir dann zu den drei großen Themen gekommen: Körperbilder, Mentale Räume und Öffentliches Aufbegehren.
Wie seid ihr auf den Titel „Generation*. Jugend trotz(t) Krise“ gekommen?
Emily: Das war ein längerer Prozess. Lange waren wir uns nicht einig, in welcher Sprache das Ganze überhaupt stattfinden soll. Irgendwann haben wir uns dann auf einen deutschen Titel geeinigt, wollten aber auch die Ausstellung für internationales Publikum auf Englisch zugänglich machen. Aber wie der endgültige Titel zustande kam, weiß ich so spontan gar nicht. Weißt du das noch, Paul?
Paul: Sofern ich mich erinnere, gab es einen Vorschlag aus dem Haus und einen von einer Textagentur. Die haben uns beide nicht gefallen. Wir haben viel gebrainstormt und hatten lange keinen Titel, was aber sehr üblich für Ausstellungen ist.
Emily: Der Titel war lange: „Jugend heute“, oder?
Paul: Ah ja, das war der Arbeitstitel. Dann hatten wir zwischendurch wilde Titel, die alle toll fanden, aber sehr unzugänglich waren. Am Ende haben wir dann gemerkt: Ok, das, worüber wir die ganze Zeit reden, ist eigentlich, wie unsere Leben durch Nachrichten von Kriegen erschüttert sind und wie wir damit klarkommen. In unserer Gruppe gibt es verschiedene traumatische Erfahrungen, die gemacht wurden und wir haben in den vielen Monaten immer wieder gemerkt: so unterschiedlich auch unsere Erfahrungen sind, eint uns doch diese Erfahrung, dieser Trotz, weiterzumachen. So hat sich der Titel gefunden: „Jugend trotz(t) Krise“, weil eigentlich Jugend anders, mit einer gewissen Leichtigkeit, sein sollte. Die ist zwar auch Teil unseres Lebens, aber deshalb sind wir auch jung, trotz der Krisen und der Belastungen, die auf uns liegen, müssen wir als junge Menschen versuchen, eine Leichtigkeit in unser Leben zu bringen.
Ihr standet ja auch im permanenten Austausch mit den Kurator*innen der Kunsthalle. Wie empfandet ihr den Austausch mit ihnen und der Kunsthalle als Institution?
Emily: Jennifer und Eva haben immer ihr Bestes getan, unsere Wünsche durch das Haus zu tragen. Es ist auf jeden Fall eine große Institution, nicht jeder Wunsch kann natürlich erfüllt werden, aber es wurde viel für uns getan und wir hatten viele Freiheiten.
Paul: Ich unterstreiche auf jeden Fall, dass der Umgang sehr respektvoll und wertschätzend war. Am Anfang war da eine große Neugierde. Wer kommt da? Was bringen sie so mit? Seit der Eröffnung der Ausstellung gibt es generell eine große Begeisterung im Haus und die Ausstellung kommt bei den Gäst*innen gut an, vor allem im Hinblick darauf, dass der ursprüngliche Gedanke der Ausstellung war, neue Leute ins Haus zu holen und für Kunst zu begeistern. Es sind durch diese Ausstellung auf jeden Fall auch mehr jüngere Menschen ins Haus gekommen und Menschen, die zuvor noch nie in der Kunsthalle waren. Der Altersdurchschnitt bei dieser Ausstellung ist deutlich gesunken. Das Publikum ist auf jeden Fall insgesamt auch viel diverser geworden.
Was wünscht ihr euch zukünftig von Museen und Kultureinrichtungen im Hinblick auf ihre Historie?
Paul: Ich glaube, und das ist meine persönliche Meinung, dass viele Institutionen, wie die Kunsthalle, aber auch zum Beispiel das Übersee-Museum, schon seit langem merken, dass sie an Relevanz verlieren. Sie haben zwar einen sehr prominenten Platz in der Kulturlandschaft, werden auch mit öffentlichen Geldern gefördert, aber bilden immer weniger eine Realität ab, die in der Gesellschaft stattfindet. Wir wollen Museen für alle gestalten. Viele Institutionen hängen noch in Gesellschaftsbildern fest, in denen der weiße, wohlhabende Mann das Zentrum aller Politik und Kulturpolitik war. Bezogen auf die Kunsthalle – die Sammlung besteht zum Großteil von eben diesen Künstlern. Man könnte beispielsweise neu sammeln, indem nur noch Kunst in Ausnahmefällen von weißen Männern ausgesucht und lediglich Kunst von FLINTA* Personen, PoC oder trans Personen gesammelt wird – all jene Perspektiven, die bisher kaum Betrachtung fanden und in Museen einfach nicht stattgefunden haben. Letztes Jahr wurde zum Beispiel das Leitsystem für sehbeeinträchtigte Menschen und Tastleisten an bestimmten Werken eingeführt. Solche Entwicklungen sind gut und brauchen wir auch dringend, aber es muss noch weitergegangen werden.
Was ist das Wichtigste, was ihr für euch persönlich aus diesem Projekt mitnehmt?
Paul: Ich glaube, ein empowerndes Take-Away ist, dass diese Institution uns braucht. Und ganz persönlich habe ich aus dem Prozess mitgenommen, dass uns trotz unserer unterschiedlichen Erfahrungen auch unglaublich viel eint, wenn wir uns die Zeit nehmen, genauer hinzuschauen und einander zuzuhören.
Emily: In erster Linie nehme ich aus der Ausstellung und dem Projekt mit, dass ich so viele tolle und unterschiedliche Personen kennenlernen durfte, mit denen ich mich angefreundet habe. Ich denke, was für mich besonders wertvoll war, war, meine Gedanken ins Rollen zu bringen, was für unterschiedliche Menschen es gibt und wie unterschiedlich unsere Lebensrealitäten sind, man aber trotzdem viele Anknüpfungspunkte findet, obwohl man das am Anfang nicht erwartet hatte.
Paul: Ich möchte auch noch eine Sache ergänzen. Wir von New Perceptions geben auch Führungen, bei denen ich Begegnungen hatte, gerade mit älteren Menschen, mit denen ich dann über die Themen der Ausstellung geredet habe, wo ich auch eine Wertschätzung gespürt habe. Wo wir auch mit ihnen Anknüpfungspunkte finden, obwohl man diese vielleicht nicht vermutet hätte. Am Ende der Führung gibt es meistens noch eine Diskussion darüber, was wir jetzt machen. Wie geht es jetzt weiter? Die Ausstellung behandelt ja auch ganz schön schwere Themen, die sich mit der eskalierenden Realität auseinandersetzt. Ich habe das Gefühl, dass sich die Menschen dann ganz schön öffnen und zulassen, ins Nachdenken zu kommen. Unser größter Erfolg ist, wenn sie sagen: „Danke, ich habe etwas für mich mitgenommen“.
Krosse: Danke für das Interview!
Interview: Madeleine Weiler
Titelbild: Nicole Benewaah
Die Ausstellung Generation*. Jugend trotz(t) Krise ist noch bis zum 10.09.2023 in der Kunsthalle Bremen zu sehen.
Öffnungszeiten
Di 10 – 21 Uhr | Mi bis So 10 – 17 Uhr | Mo geschlossen
Tickets
Erwachsene: € 10,-
ermäßigt: € 5,-
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre: Eintritt frei
Eintritt frei für Inhaber:innen des Kultursemestertickets.