Catcalling ist für weiblich gelesene Personen ein omnipräsentes Thema, die gesellschaftliche Sensibilität noch zu gering. Krosse hat mit einer Betroffenen gesprochen und erklärt, wie diese Form des Sexismus betroffene Personen beeinflussen kann.
“Ey, zeig mal deine Titten!”, “Wie bekommt man so einen geilen Arsch wie deinen?”, “So, wie du dich anziehst, wäre ich vorsichtig, wenn ich auf die Straße gehe …!”, hey Püppchen!” – Diese und noch unzählige weitere Aussagen und Anmachsprüche müssen sich weiblich gelesene Personen tagtäglich anhören, wenn sie den öffentlichen Raum betreten. Catcalling – kein unbekanntes Phänomen. Doch wie treten Betroffene dem entgegen?
Was genau ist Catcalling eigentlich?
Catcalling bezeichnet sexuell anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder andere Laute im öffentlichen Raum. Es handelt sich hierbei um eine Art der verbalen sexuellen Belästigung. Diese wird meist von Cis-Männern gegenüber weiblich gelesenen Personen ausgeübt.
“Cis” meint hierbei eine mit den äußeren Geschlechtsmerkmalen geborene Person, mit welchen sie sich identifiziert. Die Bezeichnung einer “weiblich” oder “männlich gelesenen Person” wird verwendet, um Personen keine Sexualität aufzuerlegen. Denn nur anhand der äußeren Erscheinung einer Person kann nicht definiert werden, welcher Sexualität sie sich zugehörig fühlt. An dieser Stelle ist allerdings zu sagen, dass auch diese Begrifflichkeit nicht ganz unumstritten ist und im Diskurs unterschiedlich verwendet wird.
Beim “Nachpfeifen” geht es in erster Linie um den Körper einer Person als Ganzes oder um bestimmte körperliche Merkmale. Wichtig zu sagen ist, dass es dabei weder um Sex noch um einen Flirt geht, sondern konkret um eine Machtausübung, durch welche der Raum begrenzt wird, den weiblich gelesene Personen öffentlich einnehmen dürfen. Diese Machtausübung findet in Form von verbaler Belästigung statt. Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen meiden 40 Prozent der Befragten bestimmte Orte. Der Grund: Catcalling.
Die Folge: Schamgefühle, Zustände der Angst, bezogen auf das eigene Aussehen. Essstörungen und Depressionen können in weiterer Konsequenz dazu kommen. Übergeordnet findet durch diese Art der verbalen sexuellen Belästigung eine Geschlechterstereotypisierung statt. Hierbei wird Gewalt an weiblich gelesenen Personen normalisiert. Warum es normalisiert ist? Per Gesetz ist Catcalling in Deutschland nicht strafbar. Es ist zwar eine Form der Beleidigung, jedoch nur dann, wenn gleichzeitig eine Verletzung der Ehre stattfindet. Aussagen wie “Hey Püppchen!”, oder “Du hast aber einen geilen Arsch!”, stellen somit keinen Straftatbestand dar. Beleidigungen wie “Schlampe” oder “Hure” allerdings schon. In diesem Fall würde eine solche Beleidigung das Opfer in seiner Ehre herabsetzen. Das fällt unter den Beleidigungstatbestand und dieser ist in Deutschland klar gesetzlich geregelt. Grundsätzlich können allerdings alle Catcalling-Fälle angezeigt werden. Das gestaltet sich jedoch schwierig, wenn keine direkte Beleidigung vorliegt oder die Personalien des Täters unbekannt sind – besonders bei Fremden auf der Straße.
So erlebt eine Betroffene Catcalling
Auch in Bremen ist Catcalling kein seltenes Phänomen. Eine Betroffene berichtet von ihrem Erlebnis auf offener Straße: “Ich bin am Osterdeich langgelaufen, hatte Kopfhörer drin und hab mich zur Musik bewegt und nach außen auch offensichtlich getanzt. Dann habe ich im Augenwinkel einen Typ gesehen und ich dachte, dass er mich nach dem Weg fragen will oder halt irgendwas will, deswegen habe ich meine Kopfhörer rausgenommen und ihn angeschaut.”
Anschließend hat er sie mit den Worten “Du schwebst ja wie ein Engel durch die Straßen” angesprochen, woraufhin sie zunächst nur gelacht, sich bedankt hat und weitergelaufen ist. “Dann hat er gefragt, wohin ich noch gehe, und ich meinte ‘nach Hause’. Bis dahin war es auch voll ok, ich rede manchmal echt gerne mit Fremden.”
Doch dann nahm die Situation eine negative Wendung an und sie berichtet, dass “er gefragt hat, was ich sonst so mache, und ich meinte, dass ich studiere, und dann hat er gefragt ‘Ach, studierst du Grabbelei und Lochkunde?’, und dann meinte ich ‘nein, ich studiere Biologie’.”
Als sie ihn daraufhin gefragt hat, warum er so etwas zu ihr sagt, entgegnete er nur damit, dass es eine andere Generation sei und man das früher so gesagt hätte.
“Dann meinte ich, dass ich so was auch nicht zu ihm sagen würde und dass das gerade ganz offensichtlich daran liegt, dass ich eine Frau bin. Dann meinte er, dass es ihm leidtut und er sich entschuldigen möchte und dass wir das jetzt einfach schnell wieder vergessen. Als ich dann ‘Tschüss’ sagen wollte, streckt er seine Hand nach meiner Wange aus und wollte seinen Daumen, glaube ich, auf meiner Lippe platzieren.” Daraufhin sagte sie ihm, dass er nichts gelernt hätte und sich verpissen soll.
Das Erlebnis hat in ihr ein sehr unwohles, beängstigendes, aber gleichzeitig auch wütendes Empfinden hervorgebracht. Berichte wie diese sind kein Einzelfall.
Aufklären, aufmerksam machen, Zivilcourage zeigen!
Vier Bremerinnen haben sich entschlossen, gegen das Catcalling anzukämpfen, indem sie auf der Straße und im Internet aktiv werden. Sie schreiben Catcalling-Sätze, welche zu weiblich gelesenen Personen gesagt wurden mit Kreide an die Stelle, an der die Aussagen getätigt wurden. Diese Sätze fotografieren sie dann und veröffentlichen sie auf ihrem Instagram Account “@catcallsofbrmn”.
Instagram-Accounts wie diesen gibt es in verschiedenen Städten, so auch in Berlin, Leipzig oder Stuttgart. Inspiriert aus New York, dort hat “Catcalls of NYC” im März 2016 begonnen.
Aber auch direkt auf der Straße kann den Opfern schon geholfen werden. Sollten sie sich nicht selbst durch klare ablehnende Worte äußern, so könnten beispielsweise Beobachter und Beobachterinnen helfen. Außerdem steht deutschlandweit das Heimwegtelefon mit der Nummer 030 12074182 zur Verfügung. So können Täter präventiv abgeschreckt werden.
All das ist wichtig für die Sichtbarkeit des Problems, jedoch trifft es den Täter nicht. Hierfür bräuchte es eine Rechtsgrundlage. Bis dahin: aufklären, aufmerksam machen, Zivilcourage zeigen und Anzeigen stellen! Die Verantwortung liegt auch in der Bevölkerung.
von Oliva Mo Höchst