Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Eine Branche für die Gesellschaft leidet unter dem Druck der Gesellschaft. „Architektur für Alle?!“ Ein Themenbereich, welches jeden Menschen betrifft, bekommt eine Stimme.
An dieser Idee arbeitet das Team von Insa Meyer und 7 KuratorInnen gemeinsam mit der Hochschule, dem Wilhelm Wagenfeld Haus und über 130 weiteren UnterstützerInnen 3 Jahre, um ihre Erkenntnisse über die Baukultur in einer Ausstellung zu präsentieren. Die Ausstellung befasst sich mit Werken, Frauenbewegungen, Institutionen, Fakten und Erfahrungsberichten im Feld der Architektur in Bremen von 1945 bis heute. Dabei wird der Fokus auf die Emanzipation im Berufsleben gesetzt. Durch die weibliche Unterdrückung in der Baukultur wurden große Werke aufgrund der damaligen Geschlechterrollen nicht gewürdigt. Namen wurden verschleiert oder hinter männlichen Namen versteckt.
Erst in den späten 1970er-Jahren wurden die ersten emanzipatorischen Erfolge nach kritischer Betrachtung der patriarchalischen Strukturen sichtbar gemacht. Die Frauenquote an Universitäten stieg fortlaufend und es bildeten sich Intuitionen und Frauenbewegungen. Dabei stellt die Ausstellung das Frauenstadthaus, die Bremer Sektion der Feministischen Organisation von Planerinnen und Architektinnen (FOPA) und viele weitere Frauenbewegungen in Bremen vor.
Einblicke hinter die Fassade
30 Bremerinnen aus dem Feld der Architektur wurden für die Ausstellung befragt. Ihre Gesichter werden porträtiert und hängen an einer Wand – gegenüber werden malerisch die Themenfelder des Interviews visualisiert. Darunter befinden sich Zitate und sexistische Äußerungen, die sie erleben mussten. Zur Untermalung dessen kann man sich selber unter die „Sexismusdusche“ stellen und sich die Zitate ebenfalls verbal an den Kopf werfen lassen. Außerdem kann man viele Entwürfe, Skizzen und Interviewausschnitte betrachten oder mit einer VR Brille in eine visuelle Bau-Landschaft eintauchen. Neben den interessanten Aktivitäten wird auch eingeladen, sich die überregionale Literatur zu der Thematik anzuschauen. Die Ausstellung bietet neben dem informativen Kern sehr anschauliche und zukunftsorientierte Objekt an, wie der Kosk*i mat: ein Automat, gerichtet an die Bedürfnisse von FLINTA*.
Warum die Ausstellung wichtig ist: Mangel an Frauen in der Architekturbranche
Hinter jedem Baugerüst steckt eine Arbeitskultur, welche unter gesellschaftlichen und sozialen Rollenbildern leidet, neben dem Wettbewerbsdruck und der 40-Stunden-Woche ist der Beruf nur schwer mit dem Privatleben aller zu vereinbaren. Das führt zu einem immer noch präsenten Mangel an Frauen in der Architekturbranche. Vor allem, weil Frauen noch immer einen Großteil der Care-Arbeit übernehmen, was zu noch mehr Druck führt. Über die Aufteilung spalten sich dennoch die Meinungen, in der Ausstellung gibt es eine Statistik, die über die Wahrnehmungen der Rollenaufteilung im Arbeitsleben grobe Einblicke verschafft. Die im Studium steigende Frauenquote sinkt nach dem Abschluss drastisch, nur um die 5 % der Absolventinnen treten in die Architektenkammer ein und können sich nach dem marathonähnlichen Berufsweg als „ArchitektInnen“ betiteln. Die Rahmenbedingungen sind schwer zu übersehen, trotz der Liebe zum Beruf sollte man die Fakten nicht ausblenden, sondern eine Veränderung anstreben.
Starke Meinungen und der Wille zum Umbruch
In einem Interview mit Sophia Wolfrat und Frederike Schons, aus dem KuratorInnen Team wird die Sicht von Studierenden vertreten. Beide sind am Ende ihres Studiums und erleben den Arbeitsanspruch bereits in der Uni. Neben den anhäufenden Ausgaben für Materialien, die Überarbeitung und den zeitlichen Druck wird das Konkurrenzdenken bestärkt. „Was wir in der Lehre erleben ist eine ‚Ellbogengesellschaft‘ im Bezug auf deinen eigenen Namen, das ist anstrengend“, sagt Frederike. Ein allgemein bekanntes Problem, dennoch gibt es keine radikale Veränderung im Curriculum.
„Dabei geht es gar nicht darum, wer die bessere Arbeit liefert, sondern wer am meisten gearbeitet hat, das wird Honoriert“, so Frederike.
Bei all den Abgaben und Präsentationen der Objekte wird die mentale Kraft in Mitleidenschaft gezogen: „Man wird irgendwann zynisch, wann soll ich das machen, von welchem Geld soll ich das machen?“, berichtet Sophia. Trotz der belastenden Umstände ist es für die beiden eine Leidenschaft & Herzensangelegenheit, in der Architektur geht es nicht nur um Hochhäuser, Wohnungen und Gebäude. Es geht darum, einen Raum und Ort für die Menschen zu schaffen. „Einfach mal was honorieren, was nicht Riesen-Hochbau-Architektur ist, sondern etwas, was wirklich dazu geführt hat, dass sich die Lebensrealität der Menschen verbessert“ , findet Sophia.
Die Ausstellung „Architektur für Alle?! – Emanzipatorische Bewegung in Planung und Raum. Eine Ausstellung über Frauen in der Architektur“ läuft bis zum 12.03.2023 im Wilhelm Wagenfeld Haus
*FLINTA= Akronym für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen
von Victoria Lang