In Städten dominiert Infrastruktur, die Fußgänger verdrängt und Nachbarschaften trennt. Die Urbanismus-Bewegung will dagegen etwas tun. Was Urbanismus sein kann und warum das Bremer Viertel fast abgerissen wurde, erfahrt ihr hier!
Urbanismus ist zunächst ein Begriff, der sehr viel abdeckt: Wissenschaftsdisziplinen, Städteplanungsstile und Guerilla-Bewegungen. Gemeinsam verfolgen sie aber alle das gleiche Ziel: Die Stadt wieder auf das Level des Menschen zu holen, damit dieser wieder gerne in der Stadt lebt. Manchmal wird auch von der „Life-Sized-City“ gesprochen, also der Stadt, die auf Höhe des Menschen stattfindet, statt diesen in unübersichtlicher Infrastruktur zu verschlucken. Die Vertreter des Neuen Urbanismus haben eine Charta ausgearbeitet, in der sie Herausforderungen und Ziele der Bewegung anführen.
Was sind die Probleme der modernen Stadt?
Die Stadt ist eng und voll, Ressourcen werden nicht effizient genutzt und Stadtviertel sind segmentiert und von großen Straßen eingekesselt. Die Infrastruktur der Autos erdrückt das Leben und schiebt es auf enge Bürgersteige oder in einige, wenige Grünflächen. Vor allem Innenstädte sind nicht mehr als homogene Lebensräume verbunden, in denen alles bunt durchmischt ist.
Das Bremer Viertel ist ein schönes Beispiel dafür, wie es aussehen kann, wenn Menschen einen Stadtteil zu Fuß erleben. Im Viertel gibt es sowohl beliebte und belebte Wohnungen als auch viele unterschiedliche Bars und Einkaufsmöglichkeiten, Orte zum Treffen, wie den Ulrichsplatz oder Ziegenmarkt und eine gute ÖPNV Anbindung an den Rest der Stadt. Hier kann man wohnen und vor der Haustür die Nachbarschaft erleben, ohne dass man durch große Straßen und viele Autos ausgebremst wird. Das ist aber nicht überall so und das hat historische Gründe.
Die Stadtplaner der Nachkriegszeit wollten das Viertel abreißen
Nach dem zweiten Weltkrieg waren viele deutsche Städte zerstört und boten den Stadtplanern der 50er, 60er und 70er Jahre die Möglichkeit radikal zu denken und die Stadt der Zukunft zu planen. Man orientierte sich an den USA, wo der Autoboom Einzug gehalten hatte. Das Auto war das Symbol für individuelle Freiheit und Fortschritt, das wollte man in Deutschland auch, deshalb musste die moderne, autogerechte Stadt her. In Bremen gab es in diesem Zuge Planungen große Teile des Ostertorviertels abzureißen und dort Hochhaussiedlungen und die Verkehrsachse „Mozarttrasse“ zu errichten, die am Osterdeich zu einer weiteren Autobrücke zum Buntentorviertel in der Neustadt werden sollte.
Die Anfänge dieser Straßenbauvision sieht man heute noch: Der Rembertiring sollte mehrere große Verkehrsstraßen verbinden. Dafür wurde damals das baufällige Rembertiviertel zu einem Großteil abgerissen. Ein ähnliches Schicksal sollte dann auch das heute beliebte Viertel treffen, doch die Bremer Bürger wehrten sich dagegen. In vielen anderen Städten, zum Beispiel in Amsterdam, gab es in der Nachkriegszeit ähnliche Pläne.
Kein grundsätzliches Plädoyer gegen Autos
Dieser Artikel ist kein grundsätzliches Plädoyer gegen das Automobil an sich. Das Auto kann und wird für lange Zeit nicht komplett aus dem Stadtbild verschwinden, das wäre unrealistisch. Viele Menschen sind auf das Auto angewiesen, aber viele leben und lieben ihr Auto aus ideologischen Gründen, einfach weil sie es toll finden, oder sich aktiv gegen Klimapolitik wenden wollen. Deutsche Autokultur macht Heilig‘s Blechle zum Politikum. Es ist jedoch möglich Auto-Infrastruktur zurückzubauen, um Alternativen für einen menschengerechteren Stadtraum zu schaffen, ohne gleich das Auto vollständig zu verbannen.
Wie können wir uns die Stadt also wieder zu Eigen machen? Es gibt viele Ansätze und Projekte, die sich dem Lebensraum Stadt direkt und indirekt widmen. Einige davon kann man auch schon in Bremen sehen: Urban Gardening begrünt die Stadt und bringt Mensch und Natur wieder näher zueinander, der Parking Day des ADFCmacht für einen Tag im Jahr mehr Platz für Fahrradfahrer und Fußgänger und mit dem Fahrradmodellquartier Alte Neustadt wurde ein Schritt für eine engere und umweltfreundlichere Nachbarschaft gemacht.
Urbaner Lebensraum statt grauer Schneise
Es gibt viele Ideen und Vorschläge, wie man Bremen attraktiver für Fußgänger machen könnte. Die Initiative einfach einsteigen e.V. schlägt ein Konzept für umlagefinanzierten Nahverkehr vor, damit der öffentliche Nahverkehr für alle Bremer Bürger*innen unkomplizierter und attraktiver wird. Es gab Vorschläge Straßenbahnlinien von der Obernstraße in die breite Martinistraßen zu verlegen (auch eine Autoboomstraße), um die Obernstraße durch Cafés und weitere Möglichkeiten draußen zu verweilen attraktiver zu machen. Für die Martinistraße ist allerdings jetzt Anderes vorgesehen: Sie soll nach und nach zurückgebaut werden, um so zu einem urbanen Erlebnisraum zu werden.
Um eine grüne Oase inmitten von Beton-Bauten zu schaffen und einen ökologischen Beitrag für die eigene Stadt zu leisten, gibt es viele Möglichkeiten. Der erste Blick fällt vor die eigene Haustür. Guckt euch in eurer Nachbarschaft um. Was ist da? Was könnte hier sein? Was wünscht ihr euch? Vielleicht könnt ihr etwas davon selbst machen: DIY Urban Gardening oder eine kleine Sitzgelegenheit, die die Bürger*innen zum Verweilen einlädt.
Es kann auch motivierend sein, sich politisch zu engagieren. YouTube ist eine Goldgrube für kleine und große DIY-Projekte und für weitere Inspiration zum Thema. Urbanismus hat keine festgeschriebenen Regeln oder Hierarchien. Sowohl Stadtplaner als auch Bewohner können etwas bewegen. Werdet kreativ und packt an. Es gibt viele Möglichkeiten die Stadt wieder lebensfreundlicher zu gestalten, wenn man sich traut, den Status Quo zu hinterfragen. Es muss nicht bleiben, wie es ist, nur weil es schon immer so war. Denn „immer“ sind im Falle des Autos nur knapp über 100 Jahre.
Neugierig geworden? Auf folgenden Internetseiten könnt ihr vorbeischauen, sofern ihr noch weitere Informationen rund um das Thema Urbanismus sucht oder euch einfach inspirieren lassen wollt:
Not Just Bikes auf YouTube
die urbanisten e.V. auf Instagram
Das Buch Copenhagenize von Mikael Colville-Anderson gibt’s auch in der SUUB
von Tobias Lappe