Nach der Reform des Paragrafen 219a gibt Gesundheitsminister Spahn eine Studie zu den potenziellen psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen in Auftrag – für fünf Millionen Euro. Dagegen regt sich erneuter Widerstand. Auch in der Bundesregierung.
Nach jahrelangem Kampf findet die große Koalition schlussendlich einen Kompromiss zum Umgang mit dem Paragrafen 219a. Krosse berichtete darüber. Neben der Erweiterung des Gesetzes will Gesundheitsminister Spahn jedoch außerdem parallel eine Studie zu den seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland in Auftrag geben lassen. 5 Millionen Euro wurden ihm dafür vom Bund zugesichert, die Studie ist damit der teuerste Forschungsauftrag des Ministeriums der letzten zehn Jahre. Üblicherweise kosten Studien im Gesundheitswesen zwischen 50 000 und 400 000 Euro. Die Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung Ines Scheibe hält das Vorgehen für skandalös, verdeutliche es doch, dass sich christliche Fundamentalist*Innen und selbsternannte Lebensschützer*Innen in der Bundesregierung durchgesetzt haben.[1] Dabei sei der Mythos des erhöhten Risikos psychischer Störungen in Folge eines Schwangerschaftsabbruchs längst mehrfach wissenschaftlich widerlegt. Abtreibungsgegner*Innen nutzen den Begriff des Post-Abortion-Syndroms aber dennoch immer wieder, um in der Gesellschaft Angst und Ablehnung zu schüren.
Laute Gegenstimmen zu 219a
Internationale Studien, die den Gesundheitsminister Spahn jedoch scheinbar unbeeindruckt lassen, belegen, dass schwangere Frauen nicht unter den Abbrüchen als solche, sondern vor allem unter der Stigmatisierung und Kriminalisierung dieser psychisch leiden.[2] Diese Stigmatisierung hat die Grünen-Abgeordnete Laura Dornheim am eigenen Leib erfahren. Die 35-Jährige spricht seit Jahren offen über ihre Abtreibung und kritisiert nicht nur den Paragrafen 219a, sondern das gesamte gesetzlich geregelte Abtreibungsprozedere.[3] Besonders, dass Frauen noch immer wie unmündige Bürgerinnen behandelt werden, wenn sie sich vor dem Eingriff einer Zwangsberatung unterziehen und eine dreitägige Bedenkzeit einhalten müssen, widerstrebt ihr. Dabei müssen die Betroffenen die Gründe sowie den Hergang ihrer Schwangerschaft gegenüber einer völlig fremden Person offenlegen, bevor sie frühestens drei Tage später den Eingriff vornehmen lassen dürfen. Psychologisch betreut werden die Betroffenen in dieser Zeit nicht. Im Interview mit Deutschlandfunk sagt die feministische Aktivistin dazu: „Wenn ich mich für ein Kind entscheide, fragt niemand drei Tage später noch mal nach: Bist du dir sicher? Und diese Entscheidung ist eine viel weitreichendere. Da kommt ein neuer Mensch. Aber wenn ich vielleicht sage: Es ist nicht die beste Situation für einen neuen Menschen auf dieser Welt, dann wird es hinterfragt. Das fühlt sich wie eine krasse Bevormundung und Gängelung an“.
Ähnlich sieht es auch die Journalistin und Frauenrechtsaktivistin Teresa Bücker, die in der Talkshow Anne Will zum Thema „Recht auf Leben und Selbstbestimmung – die neue Debatte über Abtreibungen“ außerdem darauf verweist, dass die Weltgesundheitsorganisation die vorgeschriebene Bedenkzeit in Deutschland für überflüssig hält. Die Gießener Ärztin Hänel gibt außerdem zu bedenken, dass viele Studien in der Vergangenheit verdeutlicht haben, dass Länder, in denen Gleichberechtigung sowie eine liberale Gesetzesgebung“ vorherrscht und Verhütungsmittel frei zugänglich sind, auf besonders niedrige Schwangerschaftsabbruchraten verweisen.
Drohender Streit im Bundestag
Trotz dieser Studien halten die konservativen und rechtspopulistischen Parteien aus CDU, CSU und AfD sowie die selbsternannte Lebensrechtsbewegung, die Schwangerschaftsabbrüche zu Teilen mit dem Völkermord an den Juden im Dritten Reich vergleicht, mit dem Erhalt der strafgesetzlichen Regelung dagegen. Die Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring (Die Linke) hält das für fahrlässig. „Welches Frauenbild verbirgt sich eigentlich dahinter, wenn behauptet wird, dass eine Frau sich aufgrund von Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet. Das ist doch komplett irre. Ich kenne keine Frau, die sagen würde: Was für ´ne coole Werbung, jetzt mache ich mal einen Schwangerschaftsabbruch“.[4] Mit dieser Haltung ist Die Linke nicht allein und bereitet mit den Oppositionspartnern aus Grünen und FDP aktuell offenbar eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht vor, um den Paragrafen gerichtlich zu kippen. Dafür wollen diese unter der Federführung der FDP bereits im März ein Gutachten des Gießener Rechtswissenschaftlers Arthur Kreuzer erstellen lassen, der davon ausgeht, dass der Paragraf in seiner aktuellen Fassung verfassungsrechtlich nicht haltbar sei.
Spahn bastelt während dessen weiterhin an seiner großzügig finanzierten Studie. Fragen muss man sich, was er damit überhaupt bezwecken will. Denn die Szenarien sind dabei überschaubar: Entweder folgt die Studie den Ergebnissen vorangegangener Studien und eine Mehrheit leidet nach einem Abbruch nicht unter psychischen Störungen, dann hätte die Bundesregierung nichts gewonnen. Oder aber sie bricht mit ihnen und kann belegen, dass Abbrüche in direktem Zusammenhang mit seelischen Erkrankungen stehen, wobei dabei grundsätzlich fraglich bleibt wie das belegt werden soll. Welche Folgen hätte das? Stellt Spahn dann nicht nur die Reform, sondern auch den legalen Abbruch in den ersten 12 Schwangerschaftswochen, der seit 1974 strafrechtlich geregelt ist, infrage?
Eins ist dabei klar, die fünf Millionen Euro hätten fernab seines aktuellen Einsatzes auch wunderbar für die Erforschung männlicher Verhütungsmittel genutzt werden können. Aber auch 2019 ist das Thema Kinderkriegen wohl noch immer alleinige Frauensache.
von Anna Siewert
Quellen
[1] Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung über den Paragraf 219a: http://www.taz.de/!5494752/
[2] Eine Arbeitsgruppe der American Psychological Association hat alle in Englisch publizierten Studien zu Schwangerschaftsabbrüchen und deren möglichen psychischen Folgen zusammengetragen und 2008 veröffentlicht. Die Studie dazu findest du hier: https://www.apa.org/pubs/journals/features/amp-64-9-863.pdf
[3] Laura Dornheim spricht im Interview mit Deutschlandfunk über Abtreibungen und den Paragraf 218/ 219: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/paragraf-219a-laura-dornheim-hat-abgetrieben
[4] Die Partei Die Linke zu 219a: https://www.linksfraktion.de/parlament/namentliche-abstimmungen/detail/cornelia-moehring-frauenfeindlichen-nazi-paragraphen-abschaffen/