Die Debatte um den umstrittenen Paragrafen 219a zur sogenannten Werbung für Schwangerschaftsabbrüche führt seit Jahren zum Streit in der Großen Koalition. Anfang Februar kommt diese überraschend zu einem Kompromiss. Was dieser bedeutet, weiß Krosse.
Wer in Deutschland ungewollt schwanger ist und einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen will, tut etwas Verbotenes. So ist es im Strafgesetzbuch unter Paragraf 218 geregelt. Zwar wurde die Ursprungsfassung des Paragrafen seit 1872 durch verschiedenste Ausnahmeregelungen gelockert – ein Straftatbestand, der im selben Gesetzbuch wie Mord geregelt wird, ist die Abtreibung aber noch heute. Zu Zeiten der Weimarer Republik liberalisiert, verschärft die NSDAP den Paragrafen 1933 durch den Zusatz des Paragrafen 219a, in dem es strafrechtlich untersagt ist über Abbrüche, ihr Vorgehen und die Durchführung zu informieren. Irreführenderweise wird dabei die Bereitstellung von Informationen zum medizinischen Eingriff beispielsweise auf Internetseiten von Gynäkolog*Innen als Werbung für einen Abbruch der Schwangerschaft postuliert.
Der Fall der Frauenärztin Kristina Hänel
Die Klausel führte in der Vergangenheit und Gegenwart immer wieder zu zivilgesellschaftlichem Protest. Zuletzt rund um den Fall der Gießener Frauenärztin Kristina Hänel, die auf ihrer Homepage darüber informierte Abbrüche vorzunehmen. Bereits im November 2017 wird sie dafür vom Gießener Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Angezeigt hat sie Markus Krause, der sich selbst als Lebensretter bezeichnet und eigentlich Yannik Hendricks heißt. Der TAZ gegenüber sagt er in einem Interview: „Ich überlege mir: Wo würden schwangere Frauen im Internet suchen? Also auf Seiten von Arztpraxen. Ich gucke dann, ob ich auf Seiten stoße, auf denen angegeben ist, dass Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. Wenn das der Fall ist, dann erstatte ich online Strafanzeige. Ich mache das jetzt seit gut drei Jahren und habe, würde ich mal schätzen, 60 bis 70 Anzeigen erstattet. Das ist halt so mein Hobby.“ Er sehe sein Vorgehen als seine gesellschaftliche Pflicht, schließlich sei er als Mann viel objektiver, als eine Frau es je sein könnte, so der 28-Jährige.[1]
Solidarität und politische Debatte um §219a
Der Fall hat medial, gesellschaftlich als auch politisch für viel Aufruhr gesorgt. Hänel erfährt seither viel Solidarität, aber auch Anfeindungen und Morddrohungen erreichen die 62-Jährige regelmäßig. Die Ärztin, die vor dem Amtsgericht sowie in zweiter Instanz vor dem Gießener Landesgericht scheiterte, bleibt davon bislang unbeeindruckt und hofft den Fall bis vor das Verfassungsgericht bringen zu können, um zu beweisen, dass der Paragraf 219a nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Unterstützung erfährt sie dabei auch politisch. Linke, Grüne und Teile der FDP sprechen sich für die Streichung des Nazi-Paragrafen aus, der seinerzeit die arische Rasse bewahren sollte. Auch die SPD verfasst Anfang 2018 einen entsprechenden Gesetzesentwurf, geht dann aber noch vor der Verabschiedung vor dem Koalitionspartner in die Knie, um eine weitere politische Odyssee zu vermeiden. Denn die Union will den Paragrafen unverändert beibehalten und spricht sich auf ihrer Homepage gegen die „Werbung für ein Geschäft zur Tötung ungeborenen Lebens“ aus.[2]
Der lange Weg zur Reform 219a
Insgesamt anderthalb Jahre streiten CDU, CSU und SPD über 219a und einigen sich am 06. Februar diesen Jahres auf einen vermeintlichen Kompromiss. Dabei bleibt der Paragraf im Strafgesetzbuch grundlegend weiterhin bestehen, wird aber um eine Zusatzklausel erweitert. Ärzt*Innen dürfen Patientinnen nun darüber informieren, ob sie Abbrüche vornehmen. Außerdem steht man ihnen zu auf weitere Informationen neutraler Stellen verweisen zu dürfen. Eigene Informationen über die individuellen Verfahren und Kosten der entsprechenden Ärzt*Innen sind hingegen weiterhin kriminalisiert, die Abbrüche als solche dadurch noch immer stark stigmatisiert. Das Papier sieht außerdem vor, dass junge Frauen die Verhütungspillen nicht mehr bis zum 20., sondern bis zum 22. Lebensjahr von der Krankenkasse bezahlt bekommen. Der Abbruch selbst muss jedoch auch weiterhin aus eigener Tasche finanziert werden und wird nicht von den Kassen übernommen. Damit bleibt dieser auch weiterhin ein ausschließliches Frauenthema, an dessen Kostenübernahme die Männer auch im Jahr 2019 noch immer nicht beteiligt werden.
Ein Kompromiss als Scheinlösung
Wundern tut dieser Umstand mit Blick auf die verantwortlichen Minister*Innen hinter dem Kompromissvorschlag der großen Koalition nicht. Der im Februar verabschiedete Entwurf ist das Ergebnis der beiden Sozialdemokratinnen Katarina Barley und Franziska Giffey sowie der CDU und CSU-Abgeordneten Jens Spahn, Helge Braun und Horst Seehofer. Damit entscheiden vor allem konservative (alte) Männer über den Körper vornehmlich junger Frauen.
Für Kristina Hänel ändert die Sonderregelung des neuen §219a gar nichts. Sie sagt, ungewollt Schwangere werden weiterhin stigmatisiert, die Ärzte kriminalisiert und die Abbrüche als solche tabuisiert. Sie wird das Thema weiter verfolgen und auch juristisch dagegen vorgehen. Den Kampf für die Informationsfreiheit für Frauen ficht sie dabei aber nicht allein. Unzählige Initiativen und Vereine haben weiteren Protest angekündigt, mit dem Ziel beide Paragrafen endlich ersatzlos zu streichen. Der Protest ist dabei auch bitter nötig, denn während die Tinte der Gesetzesreform noch nicht ganz trocken ist, sägt der konservative Gesundheitsminister Jens Spahn bereits wieder an ihr. Er will, wie wir im zweiten Teil dieser Serie zeigen werden, in den kommenden Monaten eine Studie über den Zusammenhang psychischer Erkrankungen in Folge von Schwangerschaftsabbrüchen auf den Weg bringen.
… Fortsetzung folgt.
von Anna Siewert
Quellen
[1] Zum TAZ-Interview mit dem selbsternannten Lebensretter Yannik Hendricks: http://www.taz.de/!5494752/
[2] Stellungnahme der Union zu 219a: https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/union-tritt-weiter-fuer-beibehaltung-von-ss-219a-stgb-ein