„How the Fuck did this happen?“ fragt sich Michael Moore in seinem neuen Film Fahrenheit 11/9 mit Blick auf Donald Trumps Wahlsieg. Um das herauszufinden, geht er auf Spurensuche quer durch Amerika. Er liefert auf diese Frage dabei unbequeme Antworten, die schockieren, belustigen, berühren – und der Amerikanischen Politik den Spiegel vorhalten.
Michael Moore verstand es schon immer, mit seinen essayistischen Dokumentarfilmen den Finger in Wunden des amerikanischen Traums zu legen, wenn dieser durch Krisen in’s Wanken geriet. Ob er sich nun, wie in Bowling for Columbine, mit Amokläufen in amerikanischen Schulen auseinandersetzte, oder aber im namensgebenden Vorgänger seines aktuellen Films, Fahrenheit 9/11, mit dem Angriff auf das auf das World Trade Center und der daraus resultierenden Eskalation, dem Irak Krieg, beschäftigte. Stets ging es ihm um die humorvolle, pointierte und derbe Offenlegung gesellschaftlicher Probleme. Während es im ersten Fahrenheit jedoch eher um die tragisch-komische Darstellung des miserablen Krisenmanagements eines überforderten George W. Bush ging, führt Moores Frage diesmal über die bloße Abrechnung mit der Inkompetenz eines US-Präsidenten hinaus. Er begibt sich auf die Suche nach Ursachen: Wie konnte Donald Trump, in dessen Angesicht selbst Bush noch als kompetenter Staatsmann durchging, überhaupt zum Präsidenten der USA gewählt werden?
Viel mehr als eine reine Trump-Show
Moore versucht diese Frage dabei aus der Perspektive der Bevölkerung zu beleuchten, nah an politischen „Graswurzelbewegungen“. Es zeigt sich dadurch immer wieder: Trump ist nicht der einzige Star dieses Films. Sein Aufstieg wird vielmehr in schaurig genialer Weise zum Symptom stilisiert, zur Folge von Korruption und gesellschaftlichem Desinteresse.
Als ich so im Kino saß, beschlich mich nach der Einleitung langsam das Gefühl, dass Moore sich hier – mit den vielen persönlichen Geschichten und Ereignissen, die zunächst einmal nichts mit der US-Wahl zu tun haben schienen – verzettelt haben könnte. All diese thematischen Schauplätze werden präsentiert: Die Ärztin, die durch Bleivergiftungen geschädigten Familien zu helfen versucht, die Lehrer, die für ein menschenwürdiges Gehalt auf die Straßen gehen, die Schüler, die Angst vor Waffengewalt in ihrem eigenen Land haben. Und zwischenzeitlich fragt man sich als Zuschauer: Wollte Moore im Laufe der Jahre eigentlich zwei, drei andere Filme machen, die nun halbgar zusammenmontiert wurden? Je mehr Zeit man dem Film allerdings gibt, desto mehr werden diese Zweifel zerstreut. Es mag sein, dass Moore noch nicht so recht wusste, wohin seine Arbeit ihn führen würde, als er zur Versorgung mit verseuchtem Wasser in seinem Geburtsort Flint recherchierte oder Schüler-Aktivisten in ihrem Hauptquartier besuchte. Das hat dem Endprodukt aber nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Moore scheint die Aktivisten und ihre Anliegen stets ernst zu nehmen. Dabei wird er nicht müde, anzuprangern und zu zeigen: Der Ursprung für Trumps Wahlerfolg kann lange vor dessen Kandidatur ausgemacht werden.
Die Demokratie schafft sich ab
All diese Aktivisten, denen Moore auf Augenhöhe zu begegnen scheint, verbindet eines: Das Gefühl, nicht gehört zu werden. Der Film zeigt allerdings nicht bloß Menschen, die nach Hilfe rufen. Er sorgt auch für einen Perspektivwechsel und zeigt ebenso diejenigen, die lange Jahre nicht hingehört haben. Da wären zum einen die Demokraten, die aufgrund von internen Machtinteressen ihre eigene Parteibasis bei der Nominierung von Kandidaten ignorierten. Oder der korrupte Gouverneur von Michigan, dem das General Motors Werk in Flint mehr wert war als die Gesundheit der ansässigen Bevölkerung. Und ein Ex-Präsident Obama, der einer ganzen Stadt in‘s Gesicht log, um Spendengelder an seine Partei nicht zu gefährden. „Das Böse“, scheint Moore uns zuzurufen, „sitzt nicht erst seit gestern im Weißen Haus und den Parlamenten dieses Landes“. Er entlarvt ein politisches System, in dem das Wohl der Bevölkerung schon lange den wirtschaftlichen Interessen Einzelner weichen musste.
Aufruf zur Veränderung
In solchen Momenten weckt der Film Emotionen, er macht wütend. Wie kann die Bevölkerung das mittragen? Hier stellt Moore klar, dass wir eigentlich die falsche Frage stellen: Nicht die Trump- oder Clinton-Unterstützer waren die zahlenmäßigen Gewinner der Wahl, sondern die Nichtwähler. Wir sehen nicht bloß einen Anti-Trump-Film, sondern viel eher einen Aufruf zur Veränderung. Die nicht-Gehörten werden nicht als passive Opfer gezeigt: Sie mobilisieren, wenden sich gegen die Verhältnisse – friedlich und menschlich. Dabei sehen wir nicht nur das Aufbegehren der Bevölkerung. Der Film zeigt uns ebenso, welche Früchte so ein Wille nach Veränderung tragen kann. In diesen Momenten, in denen nicht bloß die Ohnmacht, sondern auch die Möglichkeit der Veränderung greifbar wird, wühlt Moore die Zuschauer am meisten auf. So sehr, dass so Mancher im Kino während der Vorführung feuchte Augen bekam.
Fazit: So fern – und doch so nah
Michael Moore gelingt mal wieder der Spagat zwischen ernsten Themen und humoristischen Elementen, ohne sich dabei in Zynismus zu verlieren. Dieser Balanceakt funktioniert auch durch die emotionale Nähe am Geschehen. Das Publikum wird eingeladen, sich mit den Opfern der politischen Verhältnisse Amerikas zu identifizieren. Während man in Moores vorherigem Film Fahrenheit 9/11 George Bushs Amerika dabei noch als etwas Fernes „jenseits des großen Teichs“ betrachtete, scheint das jetzt Gezeigte beängstigend nah an uns heran zu treten. Fahrenheit 11/9 ist deshalb absolut zu empfehlen – nicht bloß für Trump-Hater. Moore informiert, amüsiert und desillusioniert sein Publikum nicht nur. Dieser Film macht auch Lust auf Protest und auf aktive, politische Mitgestaltung. Von Moores Aufruf sollten wir uns lieber alle schnell anstecken lassen, bevor auch wir einen Trump als Kanzler bekommen und unser Wahlzettel nicht mehr das Papier wert ist, auf das er gedruckt wurde.
von Hendrik Meyer