Es ging wieder rund in der Bremer ÖVB Arena. Wortwörtlich rund! Denn zum 50. Mal trafen sich dort in den vergangenen Tagen die Radprofis zum traditionellen 6-Tage-Rennen. Allerhand Bremer Prominenz ließ sich sehen, für das Rahmenprogramm wurde ordentlich aufgefahren. Doch dabei wurde zur Nebensächlichkeit, was eigentlich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollte.
„Sechs Tage lang dreht sich in der Bremer Stadthalle wieder alles ums Rad“, schreibt Radio Bremen online über die Six-Days. Gerne würde ich das so unterschreiben, doch es fällt mir schwer. Sechs Tage lang SOLLTE sich in der Bremer Stadthalle wieder alles ums Rad drehen. Doch mich lässt der Eindruck nicht los, dass es hier viel mehr um die große Sause drum herum geht. Boney M. und Mickie Krause zieren das Showprogramm, die eigene Six-Days Hafenkneipe lädt zum kalten Bier und wer in Bremen etwas auf sich hält, der lässt sich diesen Event nicht entgehen. Der altbekannte Spruch „Das einzige, was beim 6-Tage-Rennen stört, sind die Fahrer!“ scheint einen wahren Kern zu haben und das Gros der Besucher nicht zu wissen, was das 6-Tage-Rennen eigentlich ist…
Ein Blick zurück: Das Rennen in den Kinderschuhen
Von Zürich nach Rotterdam, von Rotterdam nach Bremen und schon nächste Woche über Berlin nach Kopenhagen. Nicht nur in der Weserstadt hat das 6-Tage-Rennen lange Tradition. Bereits 1875 entstand die Idee in England. Ursprünglich als „Produkttest“ für Hochräder gedacht, fuhren zunächst nur Einzelfahrer von Montag bis Samstag zwölf Stunden lang um eine Bahn. Den Sonntag ließ man aus – Ruhetag! Das Konzept fand seinen Weg über die Ozeane nach Amerika und auch nach Australien, doch die Resonanz blieb aus. Wie konnte man die Zuschauer zu den Radrennen locken?
Die New Yorker hatten einen trügerischen Plan. 1898 verbreiteten die Veranstalter das Gerücht, dass einige Radfahrer aufgrund der enormen körperlichen Belastung während des Rennens ihren Verstand verloren hätten. Der Plan ging auf! Die neugierigen New Yorker zog es in Scharen in den Madison Square Garden, um sich selbst ein Bild von den vermeintlichen Irren zu machen. Doch das war noch nicht genug. Sie ließen die Gerüchteküche weiter brodeln. So hieß es im darauffolgenden Jahr, die New Yorker Polizei könne diese Form der Menschenschinderei nicht länger unterstützen. Als Konsequenz gingen fortan nur noch Zweierteams an den Start, die man langfristig gesehen als spannender vermutete.
So fahren sie heute
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts existiert das 6-Tage-Rennen auch in Deutschland. Seitdem hat sich viel verändert. Aus dem Hochrad-Produkttest ist eine der populärsten Veranstaltungen im internationalen Bahnradsport geworden. Mittlerweile werden die Rennen nur noch in den Abendstunden abgehalten und sie sind aufgrund neuer Disziplinen facettenreicher geworden. Neben dem Zweier-Mannschaftsfahren, den sogenannten „Jagden“, gehören auch Sprints, Derny-Rennen und Ausscheidungsfahren zum Programm.
Nach wie vor bilden die Zweier-Mannschaftsfahren den Hauptbestandteil des Rennens. Wie beim Staffellauf wechseln sich die beiden Mitglieder des Teams ab, sodass immer nur einer der beiden Fahrer im Rennen ist, während der andere auf der Bahn langsam weiterfährt. Der Wechsel erfolgt meist alle 2 bis 2 ½ Runden.
Um den Sieger der 6-Tage-Rennen zu ermitteln, werden am Ende die Ergebnisse bzw. die jeweiligen Punkte aller Rennen addiert. Dabei unterscheidet sich die Anzahl der Punkte je nach Bedeutung der einzelnen Disziplin. Den Sieg der diesjährigen Bremer Six-Days konnten sich der Deutsche Leif Lampater und sein niederländischer Partner Wim Stroetinga sichern.
„Bremer 6-Days? Da kann man gut feiern, hab ich gehört!“
Ein Mann steht neben mir im Foyer der ÖVB-Arena und telefoniert: „Ich bin beim größten Volksfest Bremens“, erzählt er der Person am anderen Ende der Leitung. Damit hat er wohl nicht ganz Unrecht. Die Tribünen rund um die Bahn sind wie leer gefegt, nur ein paar Journalisten zieren die Ränge. Doch rund um die Getränketheke im Zuschauerraum tobt der Bär. Das Bier fließt in Massen und die Unterhaltungen der in den VIP Bereich geladenen Gäste übertönen fast die Stimme des Kommentators. Was zur gleichen Zeit auf den Bahnen passiert, scheint niemanden zu interessieren. Der Schweizer Franco Marvulli, mehrfacher Welt- und Europameister im Zweier-Mannschaftsfahren, verabschiedet sich nach 20-jähriger Karriere vom Radrennsport. Zu den Klängen von Sinatras „My Way“ dreht er seine letzten Runden durch die Bremer Halle. Der wahrscheinlich emotionalste Moment des Bremer 6-Tage-Rennen geht im Lachen und im Gequatsche der Besucher völlig unter.
Zur gleichen Zeit geht in den Hallen 2, 3 und 4 bei Live-Musik von Hermes House Band und in der Deka Dance Lounge die Post ab. Es ist schwer, sich durch die Massen zu kämpfen, so voll ist es. An ein Radrennen erinnert hier nichts, zumindest nicht auf den ersten Blick. Denn zwischen allerlei Gastronomieständen hängt ein Schild: „Radfahrer bitte absteigen“. Ich brauche einen Moment, bis ich den Witz der Aufschrift verstehe. „Achja, hier geht‘s ja ums Radfahren!“
Sina-Mareike Schulte