Was sagt die Kleidung über einen Menschen aus? Ist sie reine Verkleidung oder zeigen wir mit ihr wer wir sind? Klar ist, dass wir mit ihr und durch sie in irgendeiner Weise auf andere Menschen wirken und sie damit beeinflussen. Doch gibt es auch Momente, in denen wir der Kleidung keinerlei Relevanz zukommen lassen? Wann spielt unsere Kleidung keine Rolle mehr? Diesen Fragen geht unsere Redakteurin heute auf den Grund. Über unsere täglichen Verkleidungen und die Angst davor, „nackt“ zu sein.
Überall auf der Welt schließen Menschen morgens hinter sich ihre Haustür zu und beginnen ihren Tag. Doch bevor dieser Schritt geschieht, stehen sie alle vor ihren Kleiderschränken mit immer derselben Frage im Kopf: „Was soll ich heute nur anziehen?“
Es ist doch so, dass wir mit unserer Kleidung dem, was wir am Tag begegnen, gewappnet sein müssen. Es muss nicht nur einfach „gut“ aussehen und bequem sitzen, nein, wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, wie wir mit unseren Outfits bei unseren Mitmenschen ankommen. Wollen wir cool, professionell, adrett oder ausgeflippt wirken? Unsere Outfits sind der erste Eindruck, die Wirkung unserer Umwelt auf uns.
Gewiss vermag der erste Eindruck oft zu täuschen, denn wir wissen alle, wenn man einen Menschen näher kennenlernt, ist er oftmals ganz anders als wir es zuvor glaubten. Doch leider ist der erste Eindruck auch oft entscheidend. Denn so wie wir auf der einen Seite mit unserer Kleidung Macht ausüben und mit ihr die Wirkung der ersten Begegnung bestimmen, so können wir auf der anderen Seite auch Opfer dieser Macht werden. Dies geschieht nämlich immer dann, wenn wir uns über die Wirkung unserer Outfits mal keine Gedanken machen. Dann sind es nämlich meist unsere Mitmenschen, die, geleitet von Vorurteilen, unsere Kleidung mit unserem Charakter verbinden (Das ProSieben Wissensmagazin Galileo hat einst mit spannenden Tests die Wirkung untersucht, die das äußerliche Erscheinen einer Person tatsächlich auf sein Umfeld haben kann). Doch auch dies kann sich als Vorteil erweisen, denn so ist es in manchen Situationen möglich, zu erkennen, welche Menschen nur unsere Oberflächlichkeit betrachten und welche uns als Person kennenlernen möchten. Ich erkenne also, dass das Problem, dass wir uns hinter unserer Kleidung oftmals zu verstecken scheinen, auch in anderer Hinsicht Vorteile in sich birgt.
Kleid oder doch lieber die gute alte Jeans?
Für jeden Anlass und jede Gelegenheit hält unser Kleiderschrank die perfekte Kleidung parat. Wir können uns in jeder Situation auf ihn verlassen. Eben dieser Verlass gibt uns die nötige Sicherheit, um bei unserem Gegenüber punkten zu können. Doch wenn wir immer nur das tragen, was unsere Mitmenschen als schön empfinden, kann sich unsere Wirkung auch in das komplette Gegenteil umwandeln. Wenn ich also beispielsweise auf eine Party gehe und mir meine Freundin rät, unbedingt das enge Pailettenkleid anzuziehen, dann lasse ich mich natürlich von ihr beeinflussen, weil es mir wichtig ist, wie andere mein Aussehen beurteilen. Eigentlich jedoch gefällt mir der Casual-Look mit einer ausgefranzten Jeans und einem coolen Rolling-Stones T-Shirt viel besser an mir. Darin würde ich mich viel wohler fühlen, einfach weil dieses Outfit viel mehr meinem Charakter entspricht. Wenn wir also nur das tragen, was andere an uns toll finden und nicht auf unser eigenes Gefühl hören, dann wirkt sich das negativ auf unser Selbstvertrauen und unser Auftreten aus und das wäre kein Outfit der Welt wert.
Ich stelle also fest, dass es manchmal angebracht ist, sich viele Gedanken über das passende Outfit zu machen. Manchmal jedoch vergeuden wir auch diese Gedanken an unsere Kleidung, anstatt einfach mal den Fokus auf uns selbst zu legen und nicht ständig darüber nachdenken zu müssen, was andere über uns denken.
Und doch: Warum verstellen wir uns also immer wieder, um zu gefallen? Warum zwängen wir uns in Kleidung, die uns nicht gefällt und tragen nicht einfach das, worauf wir Bock haben? Natürlich geschieht das nicht immer, aber immer wieder. Es mag am gesellschaftlichen Druck oder den Anforderungen liegen, denen wir glauben nicht zu genügen. Viel wichtiger ist doch die Frage: Ist es uns jemals möglich ganz und gar wir selbst zu sein und der Kleidung keinerlei Bedeutung zukommen zu lassen?
Ja, das ist es, denn während wir also mit gestriegeltem Aussehen einen guten Eindruck beim Chef machen oder in der Schule Anschluss finden wollen, indem wir Markenklamotten kaufen oder anstatt zerfetzter Jeans ein Kleidchen tragen, erzählen wir unserem besten Freund, wie wir uns gefühlt haben, als der Chef uns wieder mal vor der ganzen Belegschaft niedermachte. Wir lassen uns von unseren Eltern trösten und in den Arm nehmen, wenn wir uns in der Schule einsam und ausgegrenzt fühlen. Und wir erzählen unserem besten Freund, wie unwohl wir uns heute in den hohen Schuhen gefühlt haben, weil doch Chucks eigentlich viel bequemer sind. Und ganz genau diese Momente sind es, in denen wir „nackt“ sind. Es sind die Momente, in denen wir wir sind. Ich stelle also fest: Auch wenn wir uns Tag für Tag verkleiden, gibt es Menschen auf dieser Welt, vor denen wir, wenn wir unsere Haustür am Ende des Tages wieder schließen, „nackt” sein dürfen, ohne uns zu schämen. Ganz egal, ob es die beste Freundin, die Schwester, der Vater oder der Ehemann ist. Und wenn es diese Person in eurem Leben noch nicht gibt, dann, glaubt mir, werdet ihr sie eines Tages finden. Bleibt also ihr selbst und habt keine Angst „nackt“ zu sein, denn es wird immer Menschen geben, die genau das an euch zu schätzen wissen.
Luka Koppe