Dieses Jahr stand die Verleihung der neunzigsten Academy Awards vor allem unter dem
Motto der Gleichheit, sowohl in der Auswahl der Nominierten als auch in den Reden der
Laudatoren und Gewinner. Ein wichtiger Schritt, angesichts der MeToo-Debatte, die
Hollywood im letzten Jahr im Griff hatte.
Hollywood lud ein und die Welt antwortete: in der Nacht vom 04. auf den 05. März fand die
alljährliche Verleihung der Oscars der Academy of Motion Picture Arts and Sciences im Dolby
Theatre auf dem Hollywood Boulevard und im livestream für millionen von Zuschauern weltweit
statt. In diesem Jahr ging die Zeremonie zu einem etwas späteren Zeitpunkt als sonst
(normalerweise am letzten Februarwochenende) über die Bühne, die Produzenten wollten eine
Überschneidung mit den olympischen Winterspielen in Korea vermeiden.
Der rote Teppich
Für die Filmschaffenden der Hollywood-Filmindustrie bietet sich bei den Oscars immer die
Gelegenheit, nicht nur sich und seine Arbeit selbst zu beweihräuchern, sondern vor allem, um den
eigenen Namen und die geballte Starpower der Veranstaltung zu nutzen, um eine politische Position
einzunehmen und als Industrie gemeinsam Flagge für ein großes Thema der aktuellen nationalen
und internationalen Politik zu zeigen. Besonders dieses Jahr waren die Auswahlmöglichkeiten
mannigfaltig. Da wäre zunächst der Elefant im Raum, oder halt in diesem Fall der Trump im weißen
Haus, der in den USA weiterhin für weitläufigen Unmut in der Bevölkerung sorgt, auch wenn es um
ihn in den letzten Wochen verhältnismäßig ruhig geworden ist. Hinzu kommt, dass sich die
amerikanische Filmindustrie immernoch vom weitreichenden Eklat um die Missbrauchsvorwürfe
gegen den Produzenten Harvey Weinstein und die daraufhin einbrechende Welle von
Anschuldigungen gegen verschiedenste große Namen der Filmbranche erholt. Und nicht zuletzt
steht die gesamte Nation immer noch in Schock nach dem kürzlichen Amoklauf am 14. Februar in
Parkland, Florida. Angesichts all dieser Zwischenfälle waren die Erwartungen hoch daran, wie mit
diesen heiklen Themen bei der Veranstaltungen umgegangen werden sollte. Ein paar Monate zuvor
waren beispielsweise noch sämtliche Stars bei der Verleihung der Golden Globes in schwarz
gekleidet aufgetreten, um ihre Anteilnahme an den Opfern der Metoo-Enthüllungen zu zeigen.
Interessanterweise wurden die Dinge auf durchaus erfrischende Weise gehandelt.
Schon nach der Ankunft der Stars auf dem roten Teppich zeigte sich Steven Gätjen, deutscher
Korrespondent für ProSieben und versierter Oscar-Veteran, enttäuscht über die in diesem Jahr recht
geringe Anzahl an Interviews, die er und sein Sidekick Scott Orlin für die Vorberichterstattung vor
die Kamera bekamen. Viele Stars hätten die Fotografen mitgenommen, sich aber kaum zu
Interviews bereiterklärt, waren stattdessen über die Express Lane des roten Teppichs gegangen, um
das Gespräch mit den Medien zu vermeiden. Orlin ging davon aus, dass viele Schauspieler und
Filmschaffende die Veranstaltung einfach mal wieder so nutzen wollten, wie sie gedacht war,
nämlich als Feier des zu Ehren des Films und politische Probleme vor der Tür lassen wollten.
Die Zeremonie
Etwas anders verlief allerdings die hauptsächliche Verleihungszeremonie. Wieder moderierte der
Talkmaster Jimmy Kimmel, der auch im letzten Jahr schon für die Moderation verantwortlich war.
In seiner Eröffnungsrede zeigte Kimmel sich recht selbstreferenziell, machte kleine Seitenhiebe auf
die letztjährige Verleihung, besonders auf den inzwischen berüchtigten Patzer bei der Verleihung
des Preises für den besten Film und machte ein paar kleinere Witze über die Nominierten.
Außerdem bot er ein Jetski als Preis für die kürzeste Gewinnerrede, regte die Anwesenden aber
auch an, ihre Reden zu nutzen, um über Dinge zu sprechen, die ihnen am Herzen lägen. Den besten
Gag der Eröffnungsrede lieferte er allerdings, als er die Oscarstatue clever mit Harvey Weinstein
vergleich, ohne seinen Namen explizit zu nennen. Der Löwenanteil der Verleihung verlief dann
weitestgehend ohne groß nennenswerte Ereignisse. Weitestgehend.
Wie für die Veranstaltung üblich gab es Performances der Nominierten für den besten Filmsong,
kurze, mehr oder weniger witzige Reden der Laudatoren, es wurden ein paar Normalsterbliche von
den Stars überrascht, nur kamen dieses mal nicht Leute von einer Stadtführung ins Theater, sondern
die Stars kamen in ein normales Kino und irgendwo zwischendrin wurden Preise verliehen. Dabei
wurde immer darauf aufgepasst, schön hervorzuheben, wie divers die Oscars in diesem Jahr doch
seien, eine politische Entscheidung als Antwort auf den Aufschrei im letzten Jahr angesichts
mangelnder farbiger Nominierten und weiblicher Nominierten in Kategorien wie Regie oder
Kamera.
Die Gewinner
Die Gewinner waren in diesem Jahr wieder recht weit über alle Nominierten verteilt, es gab in
diesem Jahr kein Mad Max: Fury Road, das einen Oscar nach dem anderen einstrich. „Großer“
Gewinner war Guillermo del Toros Fantasy-Drama „The Shape of Water“, das von 13
Nominierungen immerhin vier Siege, inklusive der Auszeichnung für beste Regie und den besten
Film einfahren konnte. Dreimal konnte Christopher Nolans bildgewaltiges Weltkriegswerk Dunkirk
gewinnen, allesamt in technischen Kategorien wie Sound Editing und Sound Mixing. Einige lange
verdiente Auszeichnungen gingen an Roger Deakins für seine Kameraarbeit in Blade Runner 2049
und an Gary Oldman für seine Hauptrolle in Darkest Hour, einem Biopic über Winston Churchill,
Englands Premierminister des zweiten Weltkrieges. Für die Beste Rede des Abends sorgte Frances
McDormand nach ihrer Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin für Martin McDonaughs Three
Billboards Outside Ebbing, Missouri, in der sie sich ausdrücklich für alle weiteren weiblichen
Nominierten des Abends einsetzte und für einen kleinen Hauch Revolutionsgefühl in der
Veranstaltung sorgte und letztlich auf den Inclusion Rider verwies, der in der amerikanischen
Filmindustrie Diversität nicht nur im Cast von Filmen, sondern auch in deren Crew zugesteht.
Joost Rademacher
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